Die Kreationisten und Atlantis

  • von Roland M. Horn
Abb. 1 Die erste bekannte Erwähnung des Begriffs ‚Atlantis‘ findet sich in den ‚Historien‘ des Herodot. (Abbildung: R. Cedric Leonard)

Überrascht war ich, als ich beim Stöbern auf der kreationistischen Seite https://answersingenesis.org/ erfuhr, dass sich die Betreiber recht intensiv mit dem Thema Atlantis beschäftigen. Ich hätte weiter nicht gedacht, dass es dort sogar mehrere Artikel zu diesem Thema gibt. Mit dem längsten und direktesten möchte ich mich an dieser Stelle befassen. Man findet ihm auf der Seite https://answersingenesis.org/the-flood/did-atlantis-exist/ unter dem Titel Did Atlantis Exist? What Biblical History Can Tell Us„. Autor ist der Ingenieur und Autor Bodie Hodge.

Abb. 2 Poseidon – Gemälde von Bronzino (1503–1572)

Bereits in seinem Abstract macht Hodge deutlich, dass die Grundlage des Artikels der „Biblische Bericht“ ist. Zunächst fasst Hodge die Eckdaten zu Atlantis zusammen: Dass es von Plato in seinen Dialogen Timaios– und Kritias erwähnt wird, dass es durch ein großes Erdbeben zerstört worden sein soll, dass Plato seinen Bericht ungefähr 350-400 v. Chr. niedergeschrieben hat. Weiter erwähnt Hodge, dass Plato zufolge Atlantis nach Atlas benannt ist, der angeblich der ältere Zwilling von Poseidon, dem Sohn des Kronos in der griechischen Mythologie war. Poseidon war laut Hodge der Eigentümer der Insel Atlantis und benannte sie nach seinem Sohn. Der Autor erinnert daran, dass auch andere Gebiete an Atlas erinnern, so das Atlasgebirge, das von Marokko bis Algerien reicht.

Davon ausgehend, dass die Sintflut genau so abgelaufen ist, wie in der Bibel berichtet, stellt sich für Hodge nicht nur die Frage, ob Atlantis existiert hat, sondern im positiven Fall, ob es vor oder nach der Sintflut bestand. Sollte es vor der Sintflut existiert haben, sollten wir nicht erwarten, noch Relikte finden zu können, sollte es allerdings nach der Flut existiert haben, könnten, ist es seiner Meinung nach möglich, dass noch Relikte gefunden werden könnten.

Hodge zitiert aus dem Kritias-Dialog und legt Wert auf die Feststellung, dass Atlantis hinter den „Säulen des Herakles“ lag, die er als „wahrscheinlich Gibraltar“ bezeichnet und dass es größer als Libyen und Asien gewesen sei, wobei er „Asien“ in diesem Zusammenhang mit einem „Teil der modernen Türkei“ gleichsetzt. Weiter errechnet er aus den von Plato angegebenen Daten, dass Atlantis ungefähr 365 x 550 Kilomter maß, was einen ungefähren Durchmesser von 200 Quaratkilometern bedeuten würde. Das ist etwa die Größe des amerikanischen Bundesstaates Nebraskas und so sei es abwegig, über Atlantis von einem Kontinent zu sprechen.

Hodge glaubt, dass sich das moderne Kontinentenschema seit der Flut deutlich geändert hat, da Plato jedoch nachsintflutliche Gegenden erwähnt, müsse Atlantis erst nach der Flut1 Auf den Umstand, dass der Koran, den Hodge höchstwahrscheinlich ablehnt, möglicherweise nahelegt, dass Atlantis vor der Flut existiert haben könnte (s. Ad), geht Hodge nicht ein existiert haben – vorausgesetzt, es habe überhaupt existiert. Streng an der Bibel orientiert, erinnert Hodge daran, dass Ägypten von Noahs Großenkel Mizraim begründet wurde – also nach der (biblischen) Sintflut. Dies mit dem Kritias-Diaglog zusammengenommen, ergäbe, dass Atlantis außerhalb des Mittelmeeres gelegen haben müsse. Aus diesem Grund will Hodge auch nichts davon wissen, dass Thera ein Überrest von Atlantis gewesen sein könnte, genauso lehnt er jedoch auch die Azoren-Theorie ab.

Für den bibelgläubigen Hodge ist auch die Frage wichtig, ob Atlantis vor oder nach dem Turmbau zu Babel existiert hat. Zur Einführung zu seiner Antwort auf diese Frage weist er darauf hin, dass Plato uns darüber informiert, dass Atlantis von Poseidon und seiner Familie (einschließlich Atlas) bewohnt wurde. Der Autor weist darauf hin, dass Poseidon der Sohn von Kronos war, der Hodge zufolge eine Variante der Namen Cethimnaus bzw. Kittim ist. So war für Hodge Atlas vermutlich Noahs Ururenkel. Kittim jedenfalls wird im bibischen Bericht von der Zerstörung des Turms von Babel erwähnt. Hier beruft sich Hodge auf den Erzbischoff James Ussher, einem irischen anglikanischen Theologen, der die Zerstreuung der Völker nach der Vereitelung der Fertigstellung des Turms von Babel etwa hundert Jahre nach der Sintflut ansetzt. Ussher hatte die Schöpfung der Erde auf den den 21. Oktober 4004 v. Chr. festgelegt.

In der Folge greift Hodge die Frage nach dem Zeitpunkt des Untergangs von Atlantis auf und bezieht sich hier wieder auf Plato, der sagte, dass Atlantis nach dem Tod von Posedidons Sohn Atlas an mehrere Könige übergegangen ist, in deren Herrschaftszeit Atlantis unterging. Hodge setzt in diesem Zusammenhang wieder Poseidon mit dem Urenkel Noahs gleich und erinnert an die lange Lebenserwartung, die die Menschen der Bibel zufolge seinerzeit hatten. So sei es „vernüftig anzunehmen“, dass die Lebensspanne des Poseidon in etwa der von Eber, dem Urvater der Hebräer, und Atlas entspricht, so dass der Zeitpunkt in der Nähe von Ebers Sohn Peleg gelegen haben könnte. Überraschenderweise geht, obwohl es zu seiner Theorie passen würde, Hodge gar nicht auf die seltsame Aussage über Peleg ein, über dem es in der Genesis heißt:

„Und dem Eber wurden zwei Söhne geboren; der Name des eines war Peleg, denn in seinen Tagen ward die Erde geteilt, und der Name seines Bruders: Joktan.“ (Gen. 10,25 n. Zunz).

Mancherorts ist für Bibelfundamentalisten diese Stelle ein Hinweis auf die Theorie des christlichen Katastrophismus und Kreationismus, eine auf katastrophischer Basis plötzlich einsetzende „Verteilung der Erdplatten“, sprich: der Plattentektonik! Hodge jedoch ergreift diese mögliche Bestärkung seiner These nicht, sondern geht weiter auf die Lebensdaten bestimmter Personen ein, wie sie in der Bibel genannt werden. So wurde der genannte Eber 66 Jahre nach der Flut geboren und starb 530 Jahre nach der Flut, ausgehend von Usshers Behauptung, dass die Sintflut im Jahr 2348 v. Chr. stattfgefunden hätte. Hätte Poseidon genauso lange gelebt, wäre dies ungefähr 1818 v. Chr. gewesen – jene Zeit, in der auch Abraham starb.

Peleg jedoch starb früher, und wenn er tatsächlich gleichaltrig mit dem griechischen Atlas gewesen wäre, hätte er viel früher als Poseidon gestorben sein müssen. Demnach hätte Atlantis frühestens 1818 v. Chr. zerstört worden sein können. Hodge erinnert in der Folge an die Einschränkungen in Platos Bericht, die auf mehrere Herrschaftsgenerationen hinweisen, die weit über die Lebenszeit des Atlas hinausreichen. Der späteste Zeitpunkt, in dem Atlantis hätte zerstört worden sein können, müsste vor Sokrates gelegen haben, der vor 400 v. Chr. starb. Hodge weist darauf hin, dass Solon, als er den Atlantis-Bericht von den Ägyptern erhielt, bereits recht betagt war, sodass das spätmöglichste Datum einige hundert Jahre vor dem Tod des Sokrates gelegen haben müsse. Hodge setzt großzügig 600 v. Chr. als das letztmögliche Datum ein und kommt so auf eine Zeitspanne von 600 v. Chr. bis 600 v. Chr.

Wie könnte Atlantis nun zerstört worden sein? Hodge nennt Erdbeben, vulkanische Tätigkeiten oder „andere Katastrophen“ als potenzielle Verursacher und gibt zu bedenken, dass die Überreste von Atlantis seit dem Zeitpunkt von Platos Niederschrift zerstört worden sind. Hodge weist darauf hin, dass der Ozean, in dem Atlantis lag, Plato zufolge aufgrund des Schlamms und der Trümmer, die von der Katastrophe herrühren bzw. von der Insel stammten, per Boot unpassierbar war. Ein solches Sediment hätte sich jedoch aufgrund von Meeresströmungen, Gezeiten, Stürmen und dergleichen auch in anderen Gebieten ansammeln können, so dass die Suche nach diesen Hinweisen zu unsicher sei, um auf Atlantis schließen zu können. Möglicherweise seien Inselgruppen die sich von der Mittelmeermündung in der Atlantik hin ausdehnen, der richtige Platz für die Suche, doch dieses bliebe Spekulation und so würden wir vermutlich nie wissen können, was Atlantis lag – falls es überhaupt existiert hatte.

Hodge fragt sich weiter, ob ob die Zerstörung von Atlantis durch einem plötzlichen Anstieg des Meeresspiegels verursacht worden sein könnte und weist darauf hin, dass Kreationisten, in deutschsprachigen Büchern bzw. Übersetzungen gerne „Schöpfungswissenschaftler“ genannt, gerne öfter ausgeführt hätten, dass eine nachsintflutliche Eiszeit von eben dieser Flut ausgelöst worden sei. Nach der Flut hätten sich die Verhältnisse durch massive vulkanische Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Flut standen, den Plattenbewegungen während der Flut und dem Gebirgsaufbau in der Endphase der Flut und kurz nach der Flut geändert und zur Bildung von warmen Ozeanen und kühlen Sommern geführt. Die Wolke aus Vulkanasche, die in der oberen Atmosphäre geschwebt hätte und immer wieder aufgefüllt worden sei, hätte das Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektiert und somit die Erde abgekühlt. Aufgrund von Plattenbewegungen seien wärmere Ozeane enstanden, und erhitztes Gestein unter den Ozeanen habe die Verdunstung erhöht – mehr Niederschlag bzw. eben in den Wintermonaten vermehrter Schneefall seien die Folge gewesen. In den kühleren Sommern sei der Schnee nicht gescholzen, sondern zu Eis akkumuliert, sodass sich schnell viele Eisschichten gebildet hätten. Dies sei der Grund dafür gewesen, dass Gletscher und Eiskappen schnell anwuchsen.

Da bei einer Eiszeit dem Ozean Wasser entzogen wird, das sich in Form an Eis am Land ablagert, fällt der Meeresspiegel, was dazu führen kann, dass sich Landbrücken öffnen, über die dann viele Menschen und Tiere von Kontinent zu Kontinent wandern könnten. Gegen Ende der Eiszeit kommt es zum gegenteiligen Effekt: Die Gletscher und Eiskappen schmelzen, das Eis wird wieder zu Wasser, gelangt in die Ozeane und der Meeresspiegel steigt wieder. Hodge schreibt, dass Kreationisten darauf hingewiesen hätten, dass der Höhepunkt der Eiszeit ungefähr 500 Jahre nach der Sintflut stattgefunden hätte. Er erwähnt den kreationistischen Forscher Mike Oard, der einen umfassenden Schmelzvorgang in den nachfolgenden 200 Jahren nahelegt. Falls die Zerstörung von Atlantis 700 oder 800 Jahre nach der Flut stattgefunden hätte, so spekuliert Hodge, hätte dies im Zusammenhang mit dem steigenden Meeresspiegel stehen können, denn eine von einem höheren Meeresspiegel überflutete Insel erscheint so, als ob die Insel versunken wäre.

Abb. 3 A. Kirchers berühmte Atlantis-Karte aus seinem Mundus subterraneus

Wo aber kann diese in Wirklichkeit nicht untergegangene, sondern durch die zusätzlichen Wasser des Meeres überschwemmte Insel gelegen haben?, fragt sich Hodge. Amerika schließt er schon aufgrund seiner Größe aus, aber auch deshalb, weil Timaios von einem Kontinent spricht, der hinter Atlantis lag, und dieser Kontinent ist nach Hodges Meinung vermutlich Amerika. Dieses existiert immer noch und ist folglich nicht im Meer versunken. Ein anderer Kandidat für Atlantis, Thera, liegt im Mittelmeer und ist für Hodge somit ebenso ausgeschlossen. Hodge kommt auch auf Athanasius Kirchers Atlantis zu sprechen, der Atlantis in seinem Werk Subterraneus von 1669 als eine riesige Insel zwischen Afrika und Europa und Amerika eingezeichnet hatte. Kirchners Atlantis ist jedoch weitaus größer als in Platos Beschreibung, was auch Hodge nicht entgeht. Atlantis als eine bedentend kleinere Insel könnte jedoch dort gelegen haben, wo heute die Azoren sind, d. h. die Azoren, oder auch die Kanarischen oder die Madeira-Inseln könnten die Überreste von Atlantis sein. Hodge erwähnt, dass die Azoren oberhalb des Mittelatlantischen Rückens liegen (was aber nur annähernd stimmt, in Wirklichkeit liegen sie leicht östlich direkt neben dem Mittelatlantischen Rücken) und verweist auf „einige Kreationisten“, die glauben, dass an dieser Stelle „einige Quellen der großen Tiefe hervorbrachen“, wobei er sich auf Genesis 7:11 bezieht, wo es nach Zunz heißt:

„In dem sechshundertsten Jahre vom Leben Noahs im zweiten Monat, am siebzehnten Tage des Monats, an diesem Tage brauchen hervor alle Quellen des tiefen Abgrundes und die Schleusen des Himmels taten sich auf.“2 s. hierzu Die ‚Brunnen der Tiefe‘: Die Hydroplatten-Theorie des christlichen Katastrophismus und Kreationismus

Hodge geht davon aus, dass dieses Gebiet wahrscheinlich von Erdbeben und Vulkantätigkeiten heimgesucht wurde und legt nahe, dass dieses Gebiet für diejenigen, die aus dem Mittelmeer in den Atlantik hinaus segeln, mehrere Jahre lang eine Sackgasse aus Schlamm und Trümmern gewesen sei müsste. Er schreibt:

„Aber wäre dieses Gebiet [das Azoren-Plateau, Anm. RMH] für diejenigen, die aus dem Mittelmeer segeln, mehrere Jahre lang eine offensichtliche Sackgasse aus Schlamm und Trümmern? Da es ziemlich bekannt schien, dass Schlamm und Trümmer beinahe eine Sackgasse für Schiffe verursachten, war Atlantis möglicherweise nicht hier. Dies scheint nicht so logisch zu sein, da im Gegensatz zu den beiden anderen Standorten weniger Schiffe so weit in den Atlantik fuhren.“

Abb. 4 „Einige dieser Inselketten, wie die Azoren (A.), Madeira (B.) oder Kanarischen (C.) Inseln könnten die Überreste sein, über die Platon schrieb. Ohne weitere Forschung wäre es jedoch nicht ratsam, weitere Kommentare abzugeben“, meint Hodge.
Hodge hält also die Gegenden um Medeira und.die Kanarischen Inseln für die besseren Kandidaten für den ehemaligen Standort für Atlantis. Sowphl Medeira als auch die Kanarischen Inseln sind ebenfalls Vulkan-Inseln sind. Hier könnte eher ein Problem für vorbeifahrende Schiffe gewesen sein, die schließlich u. U. nahe der Straße von Gibraltar zerstört wurden.

Hodge kommt schließlich zu dem eigentlich zu erwartenden Schluss, dass wir möglicherweise nirgends wissen können, wo Atlantis lage – falls es überhaupt existierte. Für den Fall, dass es existierte, hält er es für höchstwahrscheinlich, dass es nach der biblischen Sintflut irgendwo im Atlantischen Ozean, nicht weit von der Straße von Gibraltar entfernt lag. Sein Schlusswort lautet:

„Atlantis wäre, wenn die Berichte einigermaßen korrekt gewesen wären, zerstört worden, so dass nur noch viel kleinere Inseln über der Oberfläche des Atlantischen Ozeans liegen. Die logischsten Überreste scheinen die Kanarischen oder Madeira-Inseln sowie andere Unterwasserinseln in ihrer Nähe zu sein, die möglicherweise vor etwa 3000 Jahren weitgehend zerstört wurden.“

Im ganzen Bericht fällt auf, dass Hodge sehr nahe bei Plato bleibt, nur in einem Punkt weicht er gravierend ab: Hodge datiert den Untergang von Atlantis auf „vor etwa 3000 Jahren“, während Plato zufolge Atlantis um 9600 v. Chr. unterging. Auf diesen Widerspruch geht Hodge nicht ein, doch aus seiner Sicht kann es auch gar nicht sein, dass Atlantis bereits 9600 v. Chr. unterging, wenn die Welt erst 4004 v. Chr. erschaffen wurde…

Quellen

Erstveröffentlichung auf Atlantisforschung.de

Hodge, Bodie : Did Atlantis Exist? What Biblical History Can Tell Us online auf: https://answersingenesis.org/the-flood/did-atlantis-exist/

Die vierundzwanzig Bücher der Heiligen Schrift. Übersetzt von Leopold Zunz. Basel 1980

Bildquellen

1) Bild-Archiv R. Cedric Leonard

2) Gemeinfrei; Portrait of Andrea Doria as Neptun

3) Wikimedia Commons, unter: File:Athanasius Kircher.jpg (Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)

4) Google-Imagery nach Hodge

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