Heute vor 35 Jahren war ein sonniger, warmer Tag. Wahlsonntag. Die Menschen gingen feierlich, festlich gekleidet, manche Frauen mit Blumen in den Händen, zur Wahl. Sie feierten auf stille, würdige Weise ihren Sieg. Das SED-Regime war delegitimiert. Es fanden die ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR statt. Von nun an sollte es nur noch Demokratie geben. Niemand dachte daran, dass der Totalitarismus zurückkehren könnte. Wenn man den Wählern vom März 1990 gesagt hätte, was sich heute in Deutschland abspielt, hätten sie das für böswillige Spinnerei gehalten. Die erste freie Volkskammer wurde gewählt. Sie wurde das freieste Parlament in der Geschichte Deutschlands. Den selbstbewussten Abgeordneten konnte kein Fraktionszwang auferlegt werden. Man konnte in der Plenardebatte mit guten Argumenten noch Kollegen anderer Fraktionen überzeugen. Die von westlichen Beratern dominierten Fraktionsvorstände konnten nie sicher sein, wie eine Abstimmung ausgeht. Deshalb wurden die Volkskammerabgeordneten in der Westpresse bald als „Laiendarsteller“ diffamiert. Sie ließen sich aber nicht davon beeindrucken. Leider war es nach einem halben Jahr mit der Freiheit vorbei. Nach der Vereinigung am 3. Oktober 1990 übernahm das politische System der alten Bundesrepublik.