- von Roland M. Horn
(Zum Beitragsbild oben: Ausmaß der Hamas-Angriffe: Rot/blau ist der Gazastreifen. Im Gebiet bis zur rot gestrichelten Linie waren Hamas-Terroristen in Israel aktiv. Die gelbe Fläche markiert die am 8. Oktober evakuierten israelischen Gebiete. Blau markiert das Vordringen der israelischen Armee.. Ecrusized, influenced by user Rr016., CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons)
Wie Michael Selutin am 12. Juli 2024 schreibt, zeigt eine interne Untersuchung, dass die „die Sicherheitskräfte die Bewohner von Be’eri in den ersten Stunden nach dem Terroranschlag nicht ausreichend gewarnt haben“. Da die israelischen Streitkräfte in ihrer Entschlossenheit und Reaktion „katastrophal versagt haben“, konnten beinahe 350 Hamas-Terroristen – darunter 100 Mitglieder der Nuchba-Elite-Gruppe der Terrororganisation – am 7. Oktober in den Kibbuz Be’eri eindringen, besagt der erste Teil der internen Untersuchung der israelischen Streitkräfte zu den Angriffen. In einem auf Hebräisch abgefassten Bericht vom 11. Juli 2024 heißt es:
„Die israelischen Streitkräfte hatten bis zu den Nachmittagsstunden des 7. Oktobers Schwierigkeiten, sich ein klares Bild davon zu machen, was im Kibbuz geschah, obwohl das Notfallteam des Ortes ein aktuelles Bild davon hatte, was in den Morgenstunden im Kibbuz geschah,.“
und weiter:
„Die Untersuchung zeigt, dass die Sicherheitskräfte die Bewohner von Be’eri in den ersten Stunden des Terroranschlags nicht ausreichend vor dem Eindringen von Terroristen gewarnt haben.“
Es wird betont, dass die Kämpfe in den ersten Stunden des Anschlags am 7. Oktober – einem Sabbatmorgen – im Kibbuz „durch einen Mangel an Führung und Kontrolle und einen Mangel an Koordination und Ordnung zwischen den verschiedenen Kräften und Einheiten gekennzeichnet“ waren. Die Untersuchungen hatte drei Monate gedauert und stützte sich auch Hunderte von Stunden an Interviews und Tausende von Materialien. Er besagt weiter:
„Dies führte zu einer Reihe von Zwischenfällen, bei denen sich die Sicherheitskräfte am Eingang des Kibbuz versammelten und nicht sofort in den Kampf eingriffen.“
Bevor die israelischen Streitkräfte die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich mache, stellten sie sie der Kibbuz-Gemeinschaft und den Familien der Opfer und Geiseln vor. Israelischen Medien zufolge sagten die Mitglieder des Kibbuz wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Untersuchen, dass diese gründlich gewesen sei, jedoch wichtige Fragen unbeantwortet gelassen hat. Weiteren israelischen Medien ist zu entnehmen, dass Familienangehörige der Opfer von Be’eri den Rücktritt der Führung der IDF forderten.
Gegenüber dem JNS sagte der IDF-Generalmajor a. D., Giora Eiland – ehemals Leiter des Israelischen Sicherheitsrats – dass die interne Untersuchung zwar „ernsthaft und professionell“ sei, die dringliche Frage, wie es zu der Katastrophe vom 7. Oktober 2023 kam, aber nicht beantwortet würde. Gegenüber dem gleichen Medium sagte der Vizepräsident des Jerusalemer Instituts für Strategie und Sicherheit, Eran Lerman, dass „die Fähigkeit des israelischen Militärs, die Verantwortung für das Versagen am 7. Oktober zu übernehmen, nun in eine weitreichende Reform der lange vernachlässigten Aspekte der Verteidigungsdoktrin umgesetzt“ werden müsse. Weiter erklärte der ehemalige stellvertretende Direktor des israelischen Nationalen Sicherheitsrates:
„Lokale Eingreiftruppen und Reservekräfte, die sich einem schnellen Gegenangriff widmen, hätten die nötige Antwort gegeben, statt der unorganisierten Ankunft von Spezialkräften von überall her – so mutig sie auch gewesen sein mögen.“
Heldenhafte Taten der örtlichen Sicherheitskräfte aber schwerwiegende Fehler und Irrtümer
Die Untersuchung besagt auch, dass die Hamas 101 Zivilisten in Be’eri tötete und 32 Menschen entführte, von denen elf noch immer als Geiseln im Gazastreifen festgehalten werden. Den örtlichen bewaffneten Einsatzkräfte bescheinigt die Untersuchung „Entschlossenheit und Mut“.
„Ihre Tapferkeit, mit der sie den Kibbuz und seine Bewohner mit ihren Körpern verteidigten, sollte als Wunder betrachtet werden“,
heißt es und weiter:
„Es war dieser Kampf, der die totale Besetzung des Kibbuz stoppte und viele Leben rettete.“
Das israelische Militär lobte auch das Notfallteam des Ortes dafür, dass es „ein aktuelles Bild der Lage erstellt und den Kontakt zu den Bewohnern unter Beschuss aufrechterhalten hat“. So heißt es im Bericht:
„Viele Sicherheitskräfte haben im Kibbuz Be’eri tapfer gekämpft und heldenhafte Taten vollbracht“,
räumte jedoch ein:
„Gleichzeitig wurden schwerwiegende Fehler und Irrtümer begangen, und wir haben die Pflicht, daraus zu lernen, uns zu stärken und für die Zukunft zu korrigieren.“
Mit großer Tapferkeit und Vehemenz hätten die israelischen Soldaten gekämpft, heißt es weiter in der Untersuchung. 31 von ihnen seien im Kampf getötet worden, darunter 23 Angehörige der israelischen Streitkräfte sowie der bewaffneten Eingreiftruppe und acht Polizeibeamte. Zahlreiche Soldaten und Zivilisten wurden verletzt. Im Kibbuz wurden ungefähr 100 Terroristen getötet, besagt der Bericht. Letztlich gelangte dieser zu dem Schluss, dass die israelischen Streitkräfte „nicht auf ein derart umfangreiches Infiltrationsszenario wie am 7. Oktober vorbereitet“ waren, bei dem Tausende von Terroristen in verschiedene Gebiete eindrangen und an Dutzenden von Brennpunkten gleichzeitig angriffen“.

Das vollständige Bild der Situation
Die IDF führt eine umfassende Untersuchung der Geschehnisse vom 7. Oktober 2023 und ihre Reaktion auf den Terroranschlag durch. Der hier besprochen Bericht bezieht sich lediglich auf die Ereignisse im Kibbuz Be’eri. Die Untersuchung spricht von einer Wende, die eintrat, als Barak Hiram – Brigadegeneral und Kommandeur der 99. Division – zum Kommandeur des Gebiets ernannt wurde. Im Bericht wird dazu gesagt:
„Aufgrund der Vielzahl der Zentren und der Notwendigkeit dringender Lösungen wurde für jedes zentrale Kampfzentrum ein ranghoher Kommandeur ernannt, um die in dem Sektor eingetroffenen Kräfte optimal und koordiniert zu aktivieren und nicht auf organische Kräfte zurückzugreifen, was eine langwierige Operation zur Folge gehabt hätte.“
und weiter heißt es dass die Ernennung von Hiram „von großer Bedeutung für die Erhöhung der operativen Effektivität gegen den Feind, die Reaktion auf die Bewohner und die Schaffung von Klarheit über die Situation und die ordnungsgemäße Führung der Streitkräfte“ war, um hinzuzufügen, dass es Zeiten gab, in denen die IDF die evakuierten Bewohner nicht ausreichend schützte bzw. ihrer Grundbedürfnisse nicht deckte. So kam die Untersuchung letztlich zu dem Schluss, dass manchmal „eine Situation entstand, in der die Truppen kämpften, um einen Posten zu verteidigen und verwundete Soldaten zu evakuieren und zu behandeln, bevor sie dies für die Zivilisten taten,“ und weiter:
„Diese Fälle resultierten aus der Schwierigkeit, sich ein vollständiges Bild von der Situation zu machen, und deshalb handelten die angegriffenen Kräfte, um sich zu verteidigen“
Dazu wird ausgeführt:
„Das Gebot, zu handeln und sich um den Schutz der Bürger zu bemühen, muss als oberste Aufgabe vor allem anderen absolut gestärkt werden. Die Soldaten werden der Versorgung der Zivilbevölkerung, der Evakuierung, dem Schutz und jeder Notwendigkeit, die auf dem Schlachtfeld auftritt, immer Vorrang einräumen.“
Der Generalleutnant Herzi Halevi, seines Zeichens Stabschef der IDF „akzeptierte alle Ergebnisse der Untersuchung und ordnete an, dass diese in künftige Verteidigungs- und Kampfpläne einfließen“, heißt es.
Die wichtigste Frage bleibt offen
Selutin stellt fest, dass „wir aus dieser Untersuchung nicht viel Neues gelernt“ haben, schließlich war bereits bekannt, dass am 7. Oktober 2023 großes Chaos herrschte und die Verteidiger wie die Löwen um ihre Kinder kämpfen. Die große Frage sei jedoch, wie es zum diesem Angriff kommen konnte und ausgerechnet sie wurde nicht untersucht. Selutin weist darauf hin, dass es Warnungen von Beobachtern an der Grenze gab, dass die Hamas einen Angriff ausübt. Doch diese Warnungen wurden ignoriert und nur deswegen fiel es der Hamas so leicht, die Grenze – sie bestand nur aus einem Zaun – zu überqueren.
Selutin glaubt, dass die Analyse der Fehler, die zu diesem Angriff führten, ergeben würde, dass „die höheren Ränge der Armee versagt haben und das wird schmerzhaft sein für viele Beteiligte“. Die Untersuchung dürfe hier nicht beendet werden, sagt Selutin vollkommen zu Recht. Weiter fordert er, dass auch untersucht werden sollte, wie man „die die riesige Bürokratie der Armee verringern kann, denn auch diese Ineffizienz hat wahrscheinlich zum Versagen vor dem 7. Oktober geführt“.
Und noch eine weitere Frage sollte gestellt werden, meint Selutin – ebenfalls zu Recht. Warum werden, wenn schon die Armee bereits so umfassend untersucht wird, sephardische und religiöse Soldaten ab einem bestimmten Rang nicht mehr befördert? „Ist es wirklich gut für die Armee, dass sie nur von säkularen Aschkenasim geleitet wird?„, fragt er weiter, und „Sollte nicht die beste Person für eine Stelle ausgesucht werden, unabhängig von seiner Abstammung und Religiosität?“ Selutin beendet seinen Artikel mit den Worten:
„Die Armee war bisher Israels Lieblingskind, das von allen Bürgern geliebt und verhätschelt wurde. Nach dem 7. Oktober, an dem die Armee so schrecklich versagt hat, ist es an der Zeit für sie erwachsen zu werden.“