Leseprobe: Roland M. Horn: Der andere Jesus: Der Nicht-Gottessohn, der nicht für unsere Sünden starb

Inhalt:

Vorwort von Walter Jörg Langbein 9

Einleitung 11

Jesus als jüdischer Freiheitskämpfer 15

Der Jesus, der die Kreuzigung überlebte 41

Der Yoga-Jesus und die Rettung Jesu durch die Essener 41

Rettung durch den Lanzenstich 63

Das Turiner Grabtuch 73

Der Indien-Tripper 85

Die aramäische Sicht 90

Der Jesus des Günter Schwarz 100

Der Öko-Jesus des Franz Alt 115

Der islamische Jesus 125

Der Jesus des Edgar Cayce 141

Adolf Hitlers Arier-Jesus 167

Der dunkle Jesus 173

Der schwule Jesus 173

Jesus, der Feminist 182

Der verheiratete Jesus 184

Ein unbeherrschter und gefühlloser Götterknabe namens Jesus 195

Der dimensionsreisende Jesus 205

Der zeitreisende Jesus 213

Nachwort 229

Literaturverzeichnis 233

Vorwort von Walter Jörg Langbein

Roland Horns Werk „Der andere Jesus“ könnte auch den Titel „Die anderen Jesusse“ tragen. Denn je intensiver man sich mit theologischen und populärwissenschaftlichen Versuchen, den historischen Jesus zu rekonstruieren auseinandersetzt, desto mehr „Jesusse“ entdeckt man. In der Tat: Es scheint nicht nur den einen Jesus gegeben zu haben, sondern eine ganze Reihe von „Jesussen“. Oder: Wenn man in der Literatur, beginnend mit den Evangelien, nach Jesus sucht, desto mehr und widersprüchliche Jesusbilder wird man finden.

„Wissenschaftliche“ theologische Werke, in der Regel von einer für den Laien mehr oder minder unverständlichen pseudowissenschaftlichen Sprache geprägt, interessieren im Normalfall allenfalls Studenten des Fachbereichs Theologie. Sie erscheinen, von Ausnahmen abgesehen, in kleiner Auflage und bereiten keiner Leserin und keinem Leser schlaflose Nächte. Dann gibt es sporadisch erscheinende Bestseller wie anno 1971 „Jesus in schlechter Gesellschaft“ von Adolf Holl (*1930; † 2020). Holl, anno 1954 zum katholischen Priester geweiht, 1976 vom Priesteramt suspendiert, zeigte einen Jesus, wie er in theologischer Fachliteratur bis dahin vollkommen vernachlässigten Jesus. Freilich beschreibt auch Holl, 2003 mit dem »österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik« ausgezeichnet, nur einen und nicht den Jesus.

Wer sich nun möglichst umfassend über Jesus informieren will, kann sich ein Leben lang durch gigantische Bibliotheken kämpfen, die eine schier unüberschaubare Flut von Publikationen über Jesus zu bieten haben. Ein solcher Versuch ist zum Scheitern bestimmt. Zu viele Bücher wurden über Jesus verfasst. Und die zeichnen ganz unterschiedliche Bilder diverser Jesusse.

Oder man kann sich einen Überblick verschaffen, indem man das unvoreingenommene Buch „Der andere Jesus“ liest. Roland Horn ist keiner theologischen Schule verpflichtet, er postuliert nicht einseitig ein Jesusbild von diversen. Sein Werk war längst überfällig. Es bietet einen anschaulichen Überblick und stellt nicht den Jesus dar, sondern diverse Jesusse, wie sie überliefert sind und bis heute leider kaum oder gar nicht diskutiert werden. Deshalb kann man „Der andere Jesus“ von Roland Horn nur allen wärmstens empfehlen, die wirklich am Thema Jesus interessiert sind.

Ich wünsche Roland Horns Werk viel Erfolg. Möge endlich wirklich und aufrichtig über Jesus diskutiert werden. Eine solche Diskussion ist längst überfällig, wurde aber bis heute nicht gewagt, weil jeder – ganz anders als Roland Horn – auch heute noch nur seinen eigenen, ganz persönlichen Jesus propagiert.

Mein persönliches Fazit: „Der andere Jesus“ – das wichtigste Jesus-Buch seit langer Zeit, erfreulich umfassend, erfrischend provokativ und unverzichtbar. Also mehr als einfach nur lesenswert!

Einleitung

Jesus Christus ist vermutlich die bekannteste Figur im Abendland. Er wird als Gründer der christlichen Religion angesehen und gilt in fast allen christlichen Gemeinschaften als der Erlöser der Menschheit. In der katholischen Kirche gilt die Lehre der Erbsünde, deren Folgen die Hölle – ein Ort des ewigen Schreckens – ist. „Heil“ ist also dringend geboten. Und dieses Heil liegt nur innerhalb der (katholischen) Kirche. „Kein Heil außerhalb der Kirche“ lautet immer noch der Leitspruch dieser Kirche, auch wenn die meisten Pastoren heute hier eine weitaus liberalere Sicht haben. Getauft sein muss man aber auf jeden Fall, um das Opfer des „Sohnes Gottes“, der sein Leben für die „Sünder“ gab, erhalten zu können. Damit verbunden ist natürlich die lebenslange Abgabe der Kirchensteuer an diese Religionsgemeinschaft. Ein regelmäßiger Besuch des Gottesdienstes wird auch als hilfreich angesehen. Von Nächstenliebe wird gerne gesprochen, aber in der Praxis – insbesondere in kirchlichen Vereinen – wird sie praktisch nicht praktiziert.

In der evangelischen Kirche wird das gewöhnlich viel lockerer gesehen, es sei denn, man hat es mit Alt-Lutheranern zu tun. In der gesamtes Evangelischen Kirche herrscht allerdings keine einheitliche Linie wie in der katholischen Kirche, eigens das Motto „Jesus Christus ist für unsere Sünden gestorben“ wird mantramäßig immer wieder daher gesagt, doch niemand scheint sich wirklich dafür zu interessieren. Mit der Nächstenliebe ist es in der evangelischen Kirche genauso schlecht bestellt wie beim katholischen Pendant.

Dann gibt es noch den Bibelfundamentalismus, bzw. den mit ihm nahe verwandten Evangelikalismus und den Pietismus. Hier muss man das Opfer, das Jesus gebracht hat, schon persönlich in Anspruch nehmen, indem man sich zu Jesus Christus bekehrt, ihm seine Sünden beichtet und gelobt, ihm ewig dankbar zu sein und nachzufolgen. Das war’s dann schon. Man ist „wiedergeboren“, und in den meisten entsprechenden Gemeinden ist man dann schon auf ewig gerettet. Und entsprechend benimmt man sich dann auch oft …

Auch die christliche Sondergemeinschaft der Zeugen Jehovas lehrt, dass Jesus für die Sünden der Menschheit gestorben ist, wenn man hier auch lieber von einem „Loskaufopfer“ spricht. Die Lehre dieser Gemeinschaft unterscheidet sich auch insofern von jenen der anderen christlichen Gemeinschaften, dass Jesus hier nicht der „Sohn Gottes“ ist, sondern nur „eine Art von Gott“, genau genommen der fleischgewordene Erzengel Michael. Der schuf durch seinem Tod am Marterpfahl (die Zeugen legen Wert auf die Feststellung, dass das „Kreuz“ damals nicht das „übliche“ Hinrichtungsmedium war) die Möglichkeit zur Erlösung der Menschen. Eine Elite aus den „Zeugen“ kommt in den Himmel (144.000 an der Zahl), aber die Allgemeinheit muss sich den Einzug in Gottes neues Königreich auf der Erde schwer erarbeiten: Durch das Verkaufen der Vereinszeitschriften „Der Wachtturm“ und „Erwachtet“, durch das Überzeugen der Leute von der „richtigen Religion“, die für die „Zeugen“ von elementarer Wichtigkeit ist. Wer diese Religion nicht annimmt, darf nicht in das Königreich Gottes, das in Kürze von Jesus Christus aufgerichtet werden wird, einmarschieren, sondern wird – sollte er das Pech haben, bei Jesu‘ Wiederkunft noch am Leben zu sein – von diesem grausam niedergemetzelt werden. Sollte er vorher sterben, ereilt ihn nur der ewige Tod, denn die Hölle gibt es im Glaubensgebilde der „Zeugen“ nicht.

Die Zeugen sind die einzige der genannten Gruppen, welche die Lehre der „Heiligen Dreifaltigkeit“ grundsätzlich ablehnt, und das aus gutem Grund: In der Bibel wird sie nur an einer einzigen Stelle erwähnt, die dazu noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit später hinzugefügt wurde. Paulus lehrt einen „erhöhten Christus“, der nach Meinung der meisten Christen in ein Konstrukt aus drei Göttern in einem (Gott, der Vater; Gott der Sohn und eine nicht näher definierte Teilperson namens „Heiliger Geist“) ist. Doch die Evangelien kennen nur einen „Jesus von Nazareth“, einen historischen Jesus – nicht das von Paulus erschaffende „erhöhte“ Konstrukt. Entgegen der Behauptungen der katholischen Kirche und der Bibelfundamentalisten sind die Evangelien widersprüchlich – und man kann zu völlig verschiedenen Ergebnissen kommen. Und viele Forscher, Theologen und Autoren kamen tatsächlich zu vollkommen anderen und von Paulus abweichenden Ansichten und präsentieren den aus ihrer eigenen Forschungsarbeit sich ergebenden „anderen Jesus“. Und um genau den soll es im Folgenden gehen.

Jesus als jüdischer Freiheitskämpfer

Ein Hauptvorwurf, den die Christenheit dem jüdischen Volk gegenüber oft erhebt, ist die Behauptung, sie hätten ihren Erlöser gekreuzigt. Dieser Vorwurf kam nicht zuletzt vom Gründer der evangelischen Kirche und Antisemiten Martin Luther.

Der Professor am Centre for Jewish Studies der Universität Leeds Hyam Maccoby bezeichnet die Kreuzigung als eine der barbarischsten Methoden, die je erfunden wurden, denn die Zeit zwischen Beginn der Folterung und Eintreten des Todes wurde so lang wie möglich gehalten. Einige Opfer werden drei Tage lang gefoltert, bevor der Tod eintritt. Maccoby bezeichnet das klassische Kreuz als „T-förmig“, wobei die Füße des Toten nicht den Boden berührten. Das Durchbohren des Körpers wurde als weniger grausam angesehen, da der Delinquent dadurch schneller starb.

Es gab eine Variante dieser Hinrichtungsmethode, bei der Stricke anstelle von Nägeln verwendet wurden, um den zu Marternden am Kreuz zu befestigen. Bei dieser Form wurden die Füße überhaupt nicht angebunden, weil das vollständige Körpergewicht von den ausgebreiteten Armen getragen wird. In dieser Haltung wurde der Gekreuzigte vollkommen unbeweglich und hilflos – führte sie doch zu einer immer enger werdenden Einschnürung und daraus resultierenden unerträglichen Schmerzen. Grundsätzlich war der am Kreuz Hängende immer nackt und wurde vor der Kreuzigung zusätzlich noch kräftig ausgepeitscht. Die Hiebe waren so stark, dass das Fleisch in Fetzen von Körper hing.

Dabei war die Kreuzigung ursprünglich gar nicht als Strafe konzipiert, sondern als Menschenopfer. Sie wurde original im Rahmen von Fruchtbarkeitskulten angewandt, in der Annahme, ein langsam sterbendes Opfer übe irgendwelche nützliche Auswirkungen auf die Ernte aus, was immer damit auch gemeint ist. Der Tammuzkult, die Verehrung eines babylonischen und assyrischen Hirtengottes, war Maccoby zufolge der Hauptanwender dieser Art von Menschenopfer. Maccoby benennt Tammuz als sterbenden und wiederbelebten Gott im Libanon.

Als die Kreuzigung erstmals als Hinrichtungsmethode üblich wurde, wurde sie insbesondere dann angewendet, wenn man der Meinung war, Hinzurichtende hätten eine besondere Verachtung und Demütigung verdient. Die aus den Phöniziern hervorgegangenen Karthager machten viel Gebrauch von dieser Hinrichtungsart, und schließlich gelangte sie auch zu den Römern.

Jetzt kommt aber der Haken: Die Römer beschränkten die Anwendung der Kreuzigung auf Sklaven und solche, die besonders abscheuliche Verbrechen begangen hatten. In Judäa wurde die Kreuzigung zur Abschreckung gegen rebellisches Verhalten angewandt. Tausende Juden wurden von Römern auf diese Weise hingerichtet, vielleicht sogar mehr. So wurde das Kreuz ein Symbol der römischen Unterdrückung. Das bedeutet, dass Rebellen gekreuzigt wurden und keine Gotteslästerer!

Die Juden hassten diese Hinrichtungsform eben aufgrund ihrer Grausamkeit. Das aber lässt nur zwei Schlussfolgerungen zu.

1. Die Juden haben Jesus nicht gekreuzigt und 2. Jesus wurde wegen Rebellion gekreuzigt und nicht wegen Gotteslästerung, denn sonst wäre er von den Juden gesteinigt worden. Die Römer interessierten sich nicht für Gotteslästerung und die Juden kreuzigten niemanden!

In den Evangelien werden die Pharisäer falsch dargestellt. Es wird behauptet, sie würden die Handlung des Gesundbetens am Sabbat verurteilen, doch das stimmt gar nicht. In Wirklichkeit forderten sie nur dann, wenn es um geringfügige Leiden ging, die Behandlung bis nach dem Sabbat zu verschieben oder auf eine andere Heilmethode auszuweichen, wenn die Behandlungsmethode gegen das Sabbatgebot verstieß. Hierunter fiel beispielsweise das Zerstampfen von Kräutern, um Arznei herzustellen. Die Heilmethode Jesu verstieß jedoch nicht gegen das Sabbatgesetz und so hätten in Wirklichkeit die Pharisäer keinerlei Einwände gegen diese Heilungen seitens Jesu gehabt – auch dann nicht, wenn es sich um geringfügige Leiden handelte. Insofern ist nicht zu verstehen, warum die Schreiber der Evangelien (die nach der Mehrheit der Bibelkundler nicht die Jünger waren, nach deren Namen sie benannt sind) eine solche Behauptung aufstellten. Maccoby vermutet, dass es sich bei dem in der Bibel beschriebenen Streit um die Heilung am Sabbat in Wirklichkeit um einen Streit zwischen Jesus und den Sadduzäern handelte, denn Jesus Aussage „Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Mk 2:27) , stimmt vollkommen mit den Grundsätzen der Pharisäer überein. Maccoby behauptet, dass die Evangelium überarbeitet wurden, um die Pharisäer in ein schlechtes Licht zu rücken. Hintergrund dieser Behauptung ist der Umstand, dass die Pharisäer der „wirkliche Ausdruck des Judaismus in der Zeit Jesu“ war. Das Pharisäertum war eine „Bewegung mit einer langen und würdigen Geschichte mutiger Verteidiger des Judaismus gegen Tyrannei und usurpierter Macht gewesen.“ Sie setzte sich für einen lebendigen und sich weiterentwickelnden Judaismus ein, die „in ihrem strengen Denken und ihrer nicht nachlassenden Aktivität versuchte, den Judaismus mehr und mehr an die Maßstäbe von Sittlichkeit, Menschlichkeit und Mitleid anzunähern.“ Der einfache Mann, der Laie, stand in dieser Lehre im Vordergrund, während die erbliche Aristokratie von Priestern und Landbesitzern eher geringgeschätzt wurde. Insofern nimmt es nicht Wunder, dass diese Bewegung breite Unterstützung im Volk fand.

Diese Bewegung war es, die für ein Widerstand gegen die Römer sorgte, während die Sadduzäer den Judaismus in ein „heiliges, totes Zeugnis der Vergangenheit“ verwandelten. Für die Pharisäer aber war der Judaismus lebendige Wirklichkeit – und im Gegensatz zu in die Evangelien hineingetragenen Falschaussagen stand Jesus mit diesen vollkommen im Einklang!

Die Pharisäer waren jedoch keine wilden Fanatiker, die bereit waren, bei jeder Gelegenheit zu den Waffen zu greifen. Dies traf allenfalls auf eine kleine Gruppe unter ihnen, den Zeloten, zu.

Die Zeloten waren aufständisch und befanden sich bereits zu Beginn der römischen Besatzung im Krieg mit den Römern. Sie leiteten ihren Namen von „Pinehas dem Zeloten“ ab („zelot“ ist griechisch und bedeutet „Eifer“). Er soll der Enkel von Moses Bruder Aaron gewesen sein und mit seinem Schwert für seinen Gott geeifert haben. Nach Auffassung der Zeloten ist er nie gestorben und kein anderer als der Prophet Elias gewesen, der ja nach dem „alttestamentlichen“ Zeugnis (genauer: dem Tanach; die ursrprüngliche jüdische Bezeichnung für die Bücher, die die Christen als „Altes Testament“ bezeichnen), lebendig in den Himmel aufgefahren ist. Von Elias heißt es im zum Tanach gehörenden Buch Maleachi, dass er eines Tages wiederkommen und dem Messias vorausgehen würde.

Den Zeloten war es egal, dass die römischen Besetzer ihnen zahlenmäßig überlegen waren. Sie vertrauten auf Gott! Er würde ihnen sicher zur Hilfe kommen, so wie er früher Judas Makkabäus, Samson, Gideon und Josua beigestanden hat, wenn sie es mit einem stärkeren Gegner zu tun hatten. Im Gegensatz zu vielen anderen „Gläubigen“ waren sie aber alles andere als davon überzeugt, dass allein Glaube und Gebote helfen würden. Nein, sie verurteilten Untätigkeit und waren überzeugt: Gott hilft nur jenen Juden, die Eifer zeigten und bereit waren, im Notfall ihr Leben zu geben. Doch als vollkommen wirklichkeitsfremd konnte man die Zeloten keineswegs bezeichnen. Wunder erwarteten sie nicht. Sie wussten: Ein langer Guerillakrieg kommt auf sie zu. Es würde zahlreiche Tote in den eigenen Reihen geben, doch am Ende würde sie trotz der Übermacht der Römer den Sieg davontragen.

Die Pharisäer hassten die Römer genauso wie die Zeloten, aber sie hielten die Zeit für den offenen Widerstand für noch nicht gekommen.

Ihren letzten großen Kampf führten die Zeloten im Krieg zwischen 66-73 u. Z.) Bei der Festung Masada kämpften sie bis zum letzten Mann. Nach einem harten, aber aussichtslosen Kampf entschieden sie sich zum kollektiven Selbstmord.

Doch den letzten Aufstand im sterbenden jüdischen Staat führten die Pharisäer. Unter ihrem Führer Bar Kochba und mit Unterstützung des einflussreichen Pharisäerführers Rabbi Akiva gelang es ihnen zunächst tatsächlich, die Römer aus ihrem Land zu werfen, und Judäa (einschließlich der von Herodes in eigene Provinzen ausgegliederte Gebiete Galiläa und Idumäa) war tatsächlich wieder ein freier jüdischer Staat! Die Juden waren überzeugt: Bar Kochba ist der Messias. Doch schließlich wurde dieser scheinbare Messias von den Römern getötet, die Judäa zurückeroberten. Der jüdische Staat wurde aufgelöst und blieb es bis 1948.

Bar Kochba wurde also für den „Messias“ gehalten. Doch der Glaube an einen Messias als eine einzelne Person, die Israel erlösen würde, kam erst später auf. Im Grunde bedeutet „Messias“ nichts anderes als „Gesalbter“. So galt König David als „ein“ Messias, oder – mit griechischen Worten – ein Christus. Jeder jüdische König wurde seither als „Messias“ bzw. „Christus“ bezeichnet. Jeder Hohepriester wurde auch als „Priester Messias“ bzw. „Priester Christus“ bezeichnet. Die Bezeichnung „Christus“ hat also absolut nichts Göttliches an sich! Später wandelte sich jedoch die Bedeutung des Begriffes Messias: An die Stelle des Königs rückte die Figur des „Befreiers“ in den Fokus dieses Begriffs. Der Messias sollte die Juden von den Römern befreien. Damit verbunden war die Vorstellung, dass dieser Befreier aus dem Hause Davids stammen musste, um schließlich mit der Hilfe Gottes das davidische Königreichs Israel wiederherzustellen. Doch es gab auch andere Vorstellungen, die jedoch nicht so weit verbreitet waren: Einige Juden glaubten an einen messianischen Sohn Josephs als Befreier, andere an eine Befreiung durch Gott höchstpersönlich, ohne dass eine Messiasgestalt benötigt würde. Eine andere Sichtweise war die, dass ein Engel von Gott geschickt würde, um sein Volk zu befreien. Eine andere Bezeichnung für diesen Engel war Menschensohn. Dieser Menschensohn war kein Messias und schon gar kein Gott. Vielmehr wurde er gleichgesetzt mit jenem Engel, der die Kinder Israels nach 2. Mose 23:20-22 in die Wildnis führte und nach dem Sohar, einem Buch der Kabbala, einer mythischen Tradition der Juden, Metatron hieß. Auch Henoch, eine biblische Gestalt, die nie gestorben sein soll, wird als Erlöser genannt, genauso wie der eben erwähnte Elias. Die Gestalt des Messias und jene des Menschensohnes – zwei vollkommen grundverschiedene Personen – wurden erst nach dem ‚Aufkommen des Christentums miteinander verschmolzen. Zu Lebzeiten Jesu war jedoch die Vorstellung von einem göttlichen Messias noch vollkommen unbekannt! Ein Wesen, das sowohl menschlich als auch göttlich war, war für alle unvorstellbar, schließlich verbot schon das sogenannte 1. Gebot die Verehrung eines menschlichen Wesens. („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“; 2. Mose 20:3) Und Gott war für die Juden JHWH, ein Gott, kein Gemenge aus drei verschiedenen und doch gleichen Göttern, wie er später von den Christen erfunden wurde!

Die Zeloten lehnten das Konzept des Messias als Retter komplett ab.

Unter den Pharisäern und dem Volk allerdings war die Vorstellung von einem Messias sehr populär. Wie wir gesehen haben, gab es verschiedene Vorstellungen, nur eine gab es nicht: Die Vorstellung von einem leidenden Messias, der am Kreuze sterben würde, um das Menschengeschlecht von der Sünde zu reinigen. Erst ein Jahrhundert nach dem Tod Jesus entstand diese Vorstellung und fand ihren Weg in den Judaismus, doch auch dies nur vereinzelt, undogmatisch und auch nur auf Basis der Verunsicherung durch die Niederlage des Bar Kochba. In einigen jüdischen Vereinigungen war man der Ansicht, dass der messianische Sohn Josephs in einer Schlacht sterben und der messianische Sohn Davids dann den Sieg davontragen würde. Damit versuchte man, die widersprüchlichen Überlieferungen vom Sohn Josephs (der aus dem Nordreich Israels stammte) und dem Sohn Davids (der aus dem Südreich hervorging) miteinander zu verknüpfen. Aber wie dem auch sei: Ein Tod auf dem Schlachtfeld ist etwas ganz anderes als ein Tod am Kreuz! Für die Juden war die Erlösung ein materieller Begriff und kein geistiger. Das messianische Zeitalter sollte der Höhepunkt menschlicher Geschichte auf der Erde sein. Das „Jenseits“ war kein Jenseits im eigentlichen Sinn, sondern es sollte auf der Erde stattfinden: Die Gerechten sollten auf der Erde leben und nicht in einem körperlosen Himmel. Dies resultierte ganz einfach aus der Tradition der Juden: Der Körper wird mit Verehrung als Schöpfung Gottes angesehen. Die Christen dagegen übernahmen die hellenistische Vorstellung vom Körper als Gefängnis der Seele, Besitz und Feld des „Satans“. Weiter war in der jüdischen Vorstellung der Messias kein Befreier in dem Sinn, dass er alle Menschen von der Sünde erlösen sollte, sondern ein Vertreter des jüdischen Volkes, der kommen sollte, um den Höhepunkt der jüdischen Rolle in der Geschichte darzustellen. Der Messias steht sogar eher für ein Zeitalter als für eine Person – einfach gesagt steht er für eine Welt in Frieden. Maccoby stellt fest:

„1. Jesus begann sein öffentliches Lebenswerk, in dem er die Ankunft des ‚Reiches Gottes‘ verkündete. 2. Später beanspruchte er den Titel ‚Messias‘ und wurde als solcher von seinen Anhängern begrüßt. 3. Er zog unter dem Jubel der Menschen in Jerusalem ein und ging bei der ‚Reinigung des Tempels‘ gewaltsam vor. 4. Er wurde festgenommen, wurde ein Gefangener von Pilatus, dem römischen Statthalter, und wurde von den römischen Soldaten gekreuzigt.“ (Maccoby 1996, S. 61)

Maccoby stellt fest, dass Jesus in einem Zentrum römischer Aktivität lebte: In Galiläa. Kein Tag verging in jener Zeit ohne irgendeinen Vorfall von Unterdrückung oder Auflehnung. Die Anwesenheit von römischen Soldaten im Heiligen Land war eine ständige Bedrohung für die Bewohner. Gemessen an diesem Umstand kommen die Römer in den Evangelien ziemlich gut weg. Diese Bücher wurden erst 40 bis 80 Jahre nach dem Tod Jesu‘ geschrieben. Da waren die Bedingungen schon vollkommen anders als zu Jesu Lebzeiten und wurden dazu noch außerhalb des Heiligen Landes geschrieben – und außerdem in einer fremden Sprache: Auf griechisch. Die Autoren hatten einen hellenistischen Hintergrund und keinen jüdischen. Maccoby stellt fest: „Die Autoren waren in der Tat prorömisch und antijüdisch eingestellt.“ Von daher ist eine gewisse Verzerrung der Berichte über Jesus von vornherein zu erwarten. Man kann in den Evangelien, die alles andere als homogen sind, jedoch verschiedene Schichten erkennen: Solche die nahe an die Bedingungen zu Jesu Zeiten passen und andere, die eher zur späteren Situation passen.

Maccoby ist überzeugt davon, dass Petrus Jesus, als er ihn mit den Worten „Du bist Christus“ begrüßte, mit der Anrede „Christus“ nicht den Namen eines göttlichen Wesens meinte. Denn Petrus trug den Beinamen Barjona, und im späteren Talmud wurden jüdische Freiheitskämpfer als „Barjonim“ bezeichnet. Einige Bibelexegeten sehen hier einen Hinweis auf eine mögliche Zugehörigkeit Petri zu den Zeloten. Allerdings wird in der Schlachter- Übersetzung in Matth. 16:17 dieses Wort mit „Sohn des Jona“ übersetzt – die aramäische Bedeutung von „Barjona“. Doch diese Übersetzungsart ist fraglich, steht sie doch in Widerspruch zu Joh 1:42, wo Petrus zumindest nach der Elberfelder Bibelübersetzung als Sohn eines „Johannes“ bezeichnet wird. Schlachter allerdings übersetzt auch hier mit „Jona“, Ob das eine Anpassung ist, oder ob der Übersetzer der Elberfelder Bibel Recht hat, ist schwer zu beurteilen, gelten doch beide Übersetzungen als sehr genau. In der Menge-Übersetzung, die ebenfalls als sehr genau gilt, wird der Vater Petri allerdings auch mit „Johannes“ widergegeben. Hier wird die erstgenannte Stelle ebenfalls als „Sohn des Jona“ wiedergegeben, in der Elberfelder heißt es hier – wohl am Genauesten: „Bar Jona“. Man beließ es also bei dem ursprünglichen Begriff – sicher nicht die schlechteste Variante. Interessanterweise steht in der Einheitsübersetzung, die wahrlich nicht zu den genausten zählt, an dieser Stelle „Simon Barjona“. Wenn man diese und die Neue-Welt-Übersetzung hinzuzieht, scheint es, als ob Schlachter mit seiner Übersetzung der Stelle aus dem Johannesevangelium mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch liegt. Abgesehen davon, dass man sieht, welche Verwirrung schon durch unterschiedliche Übersetzungen entstehen kann, wird klar, dass die Idee, dass Simon Petrus ein Zelot war, gar nicht so abwegig ist. Darüber hinaus bedeutete „barjona“ so viel wie „impulsiv“ oder „unbeherrscht“ – eine Eigenschaft, die nicht nur die Person des Petrus beschreiben könnte, sondern eine Grundeigenschaft eines jeden Zeloten ist.

Fest steht jedenfalls, dass Petrus mit seinem pharisäischen und zelotischen Hintergrund ganz sicher mit dem Begriff „Christus“ bzw. „Messias“ kein göttliches Wesen meinen konnte, denn die spätere diesem Begriff aus dem hellenistischen gnostischen Muster zugeordnete Bedeutung konnte er gar nicht kennen! Wenn er Jesus „Christus“ nannte, dann meinte er damit einen Menschen wie König Salomo! Wie wir wissen, wurden die israelischen Könige allesamt mit dem Titel „Sohn Gottes“ bedacht, und aus dieser Sichtweise heraus widerspricht dieser Ansicht auch nicht, dass Petrus nach Matth. 17,16b sagt: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (ELB) So zieht Maccoby den einzig logischen Schluss:

„Wenn Petrus sich nun seine Vorstellung vom Messiasamt nach einem Menschen wie König Salomo gebildet hatte, dann war seine Handlung als er Jesus als den Christus begrüßte, eine revolutionäre, aufrührerische Tat. Er forderte die Macht Roms heraus und erklärte, die römische Besatzung sei zu Ende.“ (Maccoby 1973, S. 63)

Die Christen brauchten, um den von ihnen erfundenen Christus historisch zu belegen, einen unpolitischen Jesus, und so verwundert es nicht, dass die Berichte über das Leben Jesu etwas in ihrem Sinne glattgebügelt wurden.

Da „Menschensohn“ schließlich nichts anderes als „Mensch“, bestenfalls „Engel“, bedeutet und der Begriff „Sohn Gottes“ für jeden jüdischen König verwendet wurde, wird also dem Christentum die Grundlage entzogen, wenn es behauptet, Jesus sei wegen Gotteslästerung angeklagt worden. Die Darstellung in den Evangelien, nach denen Jesus gegen jüdische Gebote verstoßen habe, ist grundlegend falsch, ebenso die Vorstellung, er habe sich den Zorn der Pharisäer zugezogen.

Der einzige logische Grund dafür, dass sich Jesus den Zorn der jüdischen Landesverräter aus den Reihen der Herodianer und Sadduzäer, die vom König Herodes Antipas und dem Hohepriester Kajaphas geführt wurden, zugezogen hat, ist der, dass er sich politisch gegen die römische Besatzungsmacht stellte. Aus dem Lukasevangelium (Kap.13:31) geht sogar hervor, dass die Pharisäer Jesus vor Herodes warnten. Dort heißt es nach der Elberfelder Bibel: „In derselben Stunde kamen einige Pharisäer herbei und sagten zu ihm: Geh hinaus und zieh fort! Denn Herodes will Dich töten.“ Ebenso interessant ist eine Stelle in Luk. 23:1-2 wo es heißt: „Und die Menge von ihnen stand auf, und sie führten ihn zu Pilatus: Sie fingen an, ihn zu verklagen und sagten: Diesen haben wir befunden als einen, der unsere Nation verführt und (sie davon) abbringt, dem Kaiser Steuer zu geben, in dem er sagt, dass er selbst Christus, ein König sei.“ Entgegen aller christlichen Auslegungsversuche wird hier klar gesagt, dass Jesus das Königtum Israels für sich beanspruchte, nicht für den Kaiser der Besatzungsmacht“. Er ist der Messias, der rechtmäßige König der Juden und somit ein regulären Sohn Gottes. Ganz offensichtlich dachte er so. Jesus war als Widerstandskämpfer bei den Römern und ihren Kollaborateuren verhasst, nicht wegen Gotteslästerung. Die interessierte Pilatus und Herodes herzlich wenig. Daraus folgt: Jesus wurde wegen Rebellion angeklagt und nicht wegen Gotteslästerung!

Wenn im Markus-Evangelium (12:14b-17a) gesagt wird:

„Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu geben, oder nicht? Sollten wir sie geben oder nicht geben? Da er aber ihre Heuchelei kannte, sprach er zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringt mir einen Denar, damit ich ihn sehe! Sie aber brachten ihn. Und er spricht zu ihnen: Wessen ist dieses Bild und die Aufschrift? Sie aber sagten zu ihm: Des Kaisers. Jesus aber sprach zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaiser ist, und Gott, was Gottes ist!“ (ELB),

so bedeutet das nicht etwa, dass die Römer in Jesu Augen berechtigt waren, von den Juden Steuern zu erheben. Zunächst einmal wurde er ja gerade deswegen zu Pilatus geschleppt, weil er verbot, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Der englische Anglikanenerpriester Samuel George Frederick Brandon legte, wie Maccoby anmerkt, die Stelle so aus, dass Jesus gemeint habe: „Lasst den Kaiser nach Rom zurückgehen, wohin er gehört, und überlasst Gottes Land dem Volk Gottes.“ Wenn diese Interpretation richtig ist, verbot Jesus tatsächlich die Entrichtung der Steuer an die Besatzungsmacht.

Maccoby schreibt über die Vorstellung von einem Gottmenschen, der sich opfert, um die Sünden des Menschgeschlechts zu sühnen und die der jüdischen Tradition vollkommen fremd ist, absolut zu Recht:

„Sie gehört zu der sadomasochistischen Romantik der hellenistischen Mysterienkulte mit ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft für die, welche die Last unerträglich schwer fanden und sich danach sehnten, dass sie ihnen von einer charismatischen göttlichen Gestalt abgenommen würde. Auf die Juden übte es keine Anziehungskraft aus, sich vor seiner moralischen Last zu drücken; moralische Verantwortlichkeit war für sie keine Last, sondern ein Vorrecht.“ (Maccoby 1996, S. 68)

Jesus hatte es nicht darauf abgesehen, sein Leben zu opfern, doch war bereit, es aufs Spiel zu setzen, wenn sein Freiheitskampf scheitert und es ihm nicht gelingt, das Reich Gottes auf Erden herzustellen.

Was das Leben Jesu betrifft (das viel wichtiger war als sein Tod!), ist es schwer, die der Wahrheit nahekommenden ursprünglichen Teile der Evangelien herauszufiltern.

Was wir wissen, ist, dass er seine Kindheit in Galiläa verbrachte. Maccoby hält es auch für sicher, dass Jesus Zimmermann war, doch selbst das ist fraglich. In Nazareth, dem winzigen Ort, in dem er aufgewachsen sein soll, lebte man (wie in den meisten anderen Orten der damaligen Zeit) vom Ackerbau und der Haltung von Nutztieren. Wenn wir uns die Gleichnisse ansehen, stellen wir fest, dass Jesus oft von „Saat“ und „Ernte“, vom „Schafe hüten“ und anderen bäuerlichen Tätigkeiten spricht. Insofern liegt nahe, dass Jesus schlicht und einfach Bauer war.

Eine Volkszählung gab es zu Lebzeiten Jesu nur einmal, und da war er bereits zehn Jahre alt und die Galiläer waren von ihr nicht einmal betroffen; auch eine Reise zu irgendeinem anderen Ort als ihrem Wohnort wurde hier nicht gefordert. Insofern liegt es nahe, dass unsere wunderschöne Weihnachtsgeschichte schlicht und einfach erfunden ist und Jesus nicht in Bethlehem geboren wurde! Die Erfindung dieser Geschichte scheint einen vollkommen anderen, plausiblen, Grund zu haben. Hintergrund ist die Voraussage des alttestamentlichen Propheten Micha (Kap. 5:1), der voraussah, dass der Messias wie König David in Bethlehem geboren werden würde. Insofern haben die Christen, um eine alttestamentliche Prophezeiung auf Jesus zurechtzubiegen, schlicht und einfach einen frommen Betrug begangen! Und zweckdienliche Lügen wurden durch Paulus ja eindeutig legitimiert. (Röm. 3,7+8 )

Und dass Jesus von David abstammt, ist alles andere als erwiesen. Nicht nur, dass sich die beiden Stammbäume, die uns in den Evangelien präsentiert werden, widersprechen, sondern sie werden von Joseph ausgehend zurückverfolgt (Mt. 1:1–17; Lk. 3:23–38), und der soll ja gar nicht der Vater Jesu gewesen sein, sondern eine ominöse Gestalt namens „Heiliger Geist!“

Maccoby erscheint Jesus als hochgebildet, und er glaubt, dass er später ehrenamtlich als Rabbi arbeitete und sich bald als Prophet sah.

Im Gegensatz zu beispielsweise Franz Alt hält Maccoby Jesus für alles anderen als für einen Pazifisten, denn im Matthäus-Evangelium heißt es in Kap. 10:34-39 recht deutlich:

„Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und des Menschen Feinde (werden) seine eigenen Hausgenossen (sein). Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn und Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer sein Leben findet, wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden.“ (ELB)″

Klingt das nicht so, als ob nur diejenigen eine Chance auf ein Leben in Würde haben, die ihm und seiner geplanten Revolution folgten? Interessant ist hier auch eine Stelle aus dem Lukasevangelium (Kap. 22: 36-38), wo Jesus mit den folgenden Worten zitiert wird:

„Aber jetzt, wer eine Börse hat, der nehme sie und ebenso seine Tasche und kaufe ein Schwert; denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: ‚Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden‘, denn auch das, was mich betrifft, hat eine Vollendung. Sie aber sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.“ (ELB)

Diese Episode spielte sich kurz vor der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane ab.

Maccoby spekuliert vor dem Hintergrund, dass Jesus im Zentrum des Widerstands gegen Rom und dem Geburtsplatz der zelotischen Bewegung aufgewachsen ist, dass ebendieser Jesus erschüttert gewesen sein muss über den Verlust der Unabhängigkeit seines Volkes. Er habe wohl auf einen Erlöser gewartet, und so sei seine Begegnung mit Johannes dem Täufer der Anlass dafür gewesen, dass Jesus sich nun nicht mehr nur als Rabbi, sondern als Prophet sah. Jesus verkündete nun die frohe Botschaft (das Evangelium vom Reich Gottes auf Erden, insbesondere in seiner Heimat. Für Jesus war völlig klar, dass er nur für die Juden gekommen war und nicht für die Angehörigen anderer Völker, wie in Matth. 10:5b-6 verdeutlicht wird. Nach dieser Stelle sagte er zu seinen zwölf Jüngern: „Geht nicht auf einen Weg der Nationen und geht nicht in eine Stadt der Samariter, geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels.“

Noch weiter geht das Matthäus-Evangelium in Kapitel 15, wo Jesus Nichtjuden als „Hunde“ bezeichnet und betont, dass es sich nicht schicke, ihnen einen Krumen Brot hinzuwerfen. Diese Story finden wir auch im Markus-Evangelium, das älter ist als das Matthäus-Evangelium und von dem Matthäus vermutlich abgekupfert hat. Ich möchte aber dazusagen, dass nach der eindringlichen Bitte der Nichtjüdin Jesus ihr nach anfänglicher Weigerung aus besagten Gründen doch half. Ein Unmensch war er sicher nicht.

Irgendwann gelangte Jesus dann, folgt man Maccoby, zu der Überzeugung, dass er selbst der Messias sei und ging davon aus, dass das Reich Gottes sehr schnell kommen würde. Er sprach von einem „großen und schrecklichen Tag“, an dem Gott die Feinde seines Volkes vernichten würde und berief sich dabei auf alttestamentliche Propheten wie Joel, der im 4. Kapitel des nach ihm benannten Buches von einer Schlacht der Entscheidung spricht. Nur ein kleiner Teil des Volkes würde gerettet werden – und zwar jene Volksangehörige, die rechtzeitig bereuten. Dies schien eine fixe Idee von ihm geworden zu sein. Die anderen Juden müssten an diesem schrecklichen Tag untergehen. Er glaubte, dass von dem nach diesem Tag einziehenden Frieden auch die anderen Völker der Welt profitieren würden.

Schließlich kam es dazu, dass Jesu‘ Bewegung ein breites Publikum fand, und so konnte nicht ausbleiben, dass der jüdische Römer-Kollaborateur Herodes Antipas Jesus als Gefahr ansah. Petrus sah in Jesus den (rechtmäßigen) König der Juden, und offensichtlich sah Jesus sich selbst auch so. Maccoby zufolge sahen Petrus und Jesus selbst diesen aber nicht als einen gewöhnlichen König an, sondern als den „endgültigen König-Messias“, der zugleich ein Prophet blieb.

Maccoby geht auf eine sehr interessante biblische Geschichte ein, auf die wir später in einem weiteren Beispiel für einen „anderen Jesus“ noch einmal zurückkommen werden. Es geht um die Geschichte der „Verklärung Jesu“. Das Markus-Evangelium berichtet in Kapitel 9, dass Jesus zusammen mit seinen Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes auf einen hohen Berg ging, auf dem er vor ihnen „verklärt“ wurde. Dies zeigte sich darin, dass seine Kleider „hell und weiß“ wurden. Und plötzlich erschienen Elias und Moses, die schon lange tot waren, d. h. Elias war ja gar nicht tot, sondern nach dem Zeugnis des Alten Testamentes lebendig in den Himmel aufgefahren, wie wir wissen, und um Moses Tod gab es einige Ungereimtheiten. Mose wurden zwar begraben, aber von Gott persönlich, und zwar an einem unbekannten Ort, wobei betont wird, dass Moses zum Zeitpunkt kurz vor seinem angeblichen Tod noch topfit war. Doch auf diese Geschichte werden wir später zurückkommen.

Jetzt befand sich jedenfalls Jesus mit seinen Jüngern und den beiden alttestamentlichen Helden auf diesem „Berg der Verklärung“ und Elias und Moses redeten miteinander. Plötzlich mischte sich Petrus ein und bot Jesus an „drei Hütten zu bauen“, je eine für Moses, Elias und Jesus. Offensichtlich sagte er das aber mehr aus Verlegenheit heraus, denn aus Furcht wusste er nicht, was er sagen sollte. Und dann erschien diese Wolke, die sie überschattete. Und aus dieser Wolke erschall eine Stimme, die sagte: „Das ist mein lieber Sohn; auf den sollt ihr hören.“

Maccoby entledigt diese Stelle ihres „mythischen Beiwerks“ und erkennt einen „zugrundeliegenden Krönungsbericht“. Er verweist auf Psalm 2, der bei jeder jüdischen Königskrönung vorgetragen wurde, in dem der gekrönte König als „Sohn Gottes“ bezeichnet wird. Im Rahmen dieses Vorgangs wurde der Königsanwärter von einem Propheten gekrönt, oder genauer, gesalbt. Sollte kein Prophet zur Verfügung gestanden haben, wurde ein Stellvertreter eingesetzt. Maccoby glaubt, dass bei der „Krönung (Salbung) Jesu zwei Personen diese Aufgabe übernahmen, die Moses und Elias vertraten. Die Anwesenheit des Elias, bzw. eines Stellvertreters für diesen hält Maccoby für unverzichtbar, da dem jüdischen Glauben zufolge Elias vor der Wiederkunft Jesus erscheinen musste. Die zusätzliche Anwesenheit des Moses versucht Maccoby damit zu erklären, dass Jesus der endgültige Messias und dazu noch ein Prophet war, sodass Moses selbst, nach jüdischem Glauben der größte aller Propheten, anwesend sein musste. Dabei beruft sich Maccoby auf eine Stelle aus dem jüdischen Werk Midrasch Deuteronomium Rabba, wo Gott Moses verspricht: „Moses, ich schwöre dir … in den kommenden Tagen, wenn ich ihnen Elia, den Propheten bringe, werdet ihr beide zusammenkommen. (3:17).

Die Idee des Erbauens der Hütten erklärt Maccoby damit, dass es im Rahmen vorderasiatischer Krönungsriten einschließlich der jüdischen üblich war, den König in einer „Hütte“ (hebräisch „sukka“) auf den Thron zu setzen. Er glaubt, den Schreibern der Evangelien sei dieser Brauch so fremd geworden, dass sie aus dieser Unkenntnis heraus Petrus andichteten, dass der nicht wisse, was er sage, als er anbot, die Hütten zu errichten. Er glaubt, dass Petrus nur eine Hütte errichtete – und die natürlich für Jesus, den zu krönenden König. Die beiden anderen seien möglicherweise von den Evangelienschreibern nur aus Ehrfurcht für Moses und Elias hinzugefügt wurden, meint er.

Für Maccoby ist es relevant, dass die „Verklärung“ in einem genau bestimmten Abstand von sechs Tagen nach der Begrüßung stattfand. Er zieht Rückschlüsse auf ein Merkmal vorderasiatischer Königsriten, in denen eine Woche nach dem Erlass das volle Krönungsritual folgte.

Die Anrede Jesu durch Petrus als „Christus“ sieht Maccoby als offiziellen Teil, nämlich die Einleitung dieser Krönungszeremonie an.

Weiter wichtig ist für Maccoby, dass die Krönungsriten auf einem Berg stattfanden – in diesem Fall auf dem Berg Hermon, dem höchsten Berg Judäas. Dies scheint Maccoby angemessen.

Als weiteres Merkmal einer jüdischen Krönung nennt Maccoby die Anwesenheit von Vertretern der zwölf Stämme Israels, was die Anwesenheit Petri, Johannis und Jakobi erklärt. Petri Maccoby seltsam erscheinende Erklärung „Rabbis, es ist gut, dass wir hier sind“ hält er für eine Formel, mit der die Führer der Stämme die Herrschaft des neuen Königs anerkennen würde, fügt aber vorsichtshalber ein „möglicherweise“ hinzu, das mehr als angebracht erscheint.

Weiter geht Maccoby auf den Begriff „Verklärung“ ein. Dieser stellt sie als ein „gewöhnliches Merkmal“ des Königsrituals dar. Der neue König sei als wiedergeboren betrachtet worden und habe sich einem ‚Ritual unterzogen, dass beweisen soll, dass er „umgewandelt und ein anderer Mensch geworden sei“. Hier beruft er sich auf die Stelle in 1. Samuel 10:6, in der es nach der Zunz-Übersetzung heißt: „Und hereinbrechen wird über dich der Geist des Ewigen, dass Du mit ihnen weissagest und du wirst verwandelt werden in einen anderen Mann.“ Maccoby wird nicht müde zu betonen, dass es auch hierbei nicht um eine Erhebung des Jesus zu einem Gott ginge. So etwas gab es zu Zeiten Samuels auch ganz einfach gar nicht!

So einleuchtend Maccobys Ausführungen bisher waren und so interessant sein Theorieansatz für die Ereignisse auf dem „Berg der Verklärung“ auch sind, habe ich hier doch ein wenig Bauchweh. Das „Übernatürliche“ einfach auszublenden, und den Rest zurechtzubiegen, ist zwar eine gängige Praxis, aber ob sie auch zielführend ist, halte zumindest ich für fragwürdig, Wir werden später noch auf einen Ansatz zurückkommen, der das scheinbar Übernatürliche miteinbezieht, dafür aber auch reichlich spekulativ ist.

Kurz nach dem Bericht von der Verklärung in wird jedenfalls in Luk. 10 gesagt, dass Jesus weitere 70 Jünger einsetzte, die er in Zweiergruppen vor sich her in „alle Städte und Orte, wohin er gehen wollte“, hinführte. Die Zahl „70“ hat für Maccoby hier eine große Relevanz, da sie die Mitgliederzahl eines Sanhedrins, der obersten jüdische religiösen und politischen Instanz und gleichzeitig des obersten Gerichts, darstellten. Jesus habe in seiner Eigenschaft als Prophet und König seinen eigenen Sanhedrin gebildet, deren Mitglieder er auf seine königliche Rundreise in die Städte und Orte seines Reiches vorbereitete. Maccoby ist sicher: Jesus hatte nicht die Absicht, am Kreuz zu sterben, noch rechnete er damit. Vielmehr plante er eine Rundreise durch sein Königreich, die erst im Anschluss an seinen Auftritt in Jerusalem stattfinden sollte. Judas Iskariot bekam möglicherweise nur deshalb später die Rolle des Verräters zugewiesen, weil auch er ein ehemaliger Zelot war und es deshalb häufig zu Diskussionen zwischen ihm und Jesus, der für Maccoby ein Pharisäer war, kam. Judas wollte das Reich Gottes gewaltsam herbeiführen, und Jesus vertraute auf die Hilfe Gottes – und scheiterte letztlich mit seiner Strategie. Jesus gestand sein Scheitern und das unvermutete Ende seines Vorkommnisses ein, als er am Kreuz ausrief: „Eloí, Eloí, lemá sabachtáni“, was übersetzt heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? (Mk. 15:34b). Die wahre Anklage gegen Jesus blieb lediglich im Lukasevangelium erhalten.

Maccoby ist überzeugt davon, dass Jesus ein Pharisäer, also ein gemäßigter Rebell, war. Der iranisch-amerikanische Religionswissenschaftler Reza Aslan geht noch weiter: Er behauptet in seinem Buch Zelot, dass Jesus genau das ist, was der Titel seines Buches ausdrückt: ein Zelot.

Aslan beschreibt Nazareth (er schreibt es „Nazaret“) als ein wahres Kuhdorf, in dem quasi jeder Bauer war – so auch Jesus. Auch Aslan bezweifelt, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde und weist darauf hin, dass diese Stadt im Neuen Testament außer im Zusammenhang mit der Geburt Jesu niemals auftaucht und gelangt ansonsten zu den gleichen Schlussfolgerungen wie Maccoby. Auch er hebt hervor, dass „Messias“ ein irdischer und kein göttlicher Titel ist.

Die im Matthäus-Evangelium beschriebene Flucht Jesu nach Ägypten, um dem Herodianischen Kindermord zu entgehen, hält Aslan für historisch falsch, unterstellt dem Schreiber des Evangeliums jedoch eher gute Absichten, denn dieser erhebe auf der Basis der Tanach-Stelle Hos. 11:1 („Als Israel jung war, gewann ich es lieb, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ (ELB), keinen Anspruch auf historische Wahrheit, sondern vielmehr sollte sie jene Wahrheit offenbaren, dass Jesus der neue Moses sei, „der das Massaker des Pharao unter den Söhnen der Israeliten überlebte und mit einem neuen Gesetz aus Ägypten kam“. Aslan beruft sich dabei auf den Bibelvers 2. Mos 1:22, wo es um das Verdikt ging, jeden neugeborenen Hebräer in den Nil zu werfen.

Neben seiner bäuerlichen Tätigkeit war Jesus Aslan zufolge auch ein Bauarbeiter gewesen. Dies ist, wie er schreibt, neben Zimmermann, für den es in Nazareth allerdings wenig zu tun gab, die korrekte Übersetzung für tekton, gibt jedoch zu, dass dieser Begriff in der gesamten Bibel nur ein einziges Mal vorkommt, nämlich im Kapitel 6:3 des Markusevangelium. Wenn sie stimmt, gehörte Jesus als Handwerker und Tagelöhner der untersten Schicht der bäuerlichen Bevölkerung an und lag damit nur knapp über den Bedürftigen und den Sklaven.

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