* von Roland M. Horn
Tilman Tarach:
Teuflische Allmacht
Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus
Mit einem Geleitwort von Anetta Kahane
Edition Telok, Berlin/Freiburg, 2022
ISBN: 978-3-9813486-4-4
Preis: EUR 14,80
Paperback, 224 Seiten 14 s/w-Bilder, Register
“Der Vater der Juden ist der Teufel.”
Dieses Zitat ist gewissermaßen der Leitsatz des Buches, bzw. damit begründet der Autor die antisemitische Einstellung von Christen. Dieser Aufschrift traf man im Jahr 1935 auf einer Tafel am Ortseingang von Eschenbach in Bayern an. Das Zitat wird Jesus Christus zugeschrieben, und verantwortlich für die Aufstellung der Tafel zeichnet die NSDAP. Tatsächlich stammt – wenn wir dem Verfasser (oder einer späteren “Schlussredaktion” in judenfeindlich griechisch-römischer Zeit?) – diese Aussage aus der Bibel, und zwar an einer Stelle, in der Jesus zum Volk der Juden während eines Disputs mit ihnen gesagt hat: “Ihr habt den Teufel zum Vater, und was euer Vater begehrt, wollt ihr tun.”(Joh. 8,44; Schlachter-Übersetzung) Die Auslegung, diese Stelle bezöge sich nicht auf die Juden in ihrer Gesamtheit, sondern lediglich auf die Pharisäer, verwirft Tarach mit Verweis darauf, dass im Kontext dieser Stelle öfter Wendungen wie “Da sagten die Juden” vorkommen. Also seien auch “die Juden” gemeint. Diese Stelle, bzw. die Behauptung, dass die Juden mit dem Teufel im Bunde seien, die auch Luther teilte, bezeichnet Tarach als Wahnvorstellung. Tatsächlich gibt es heute in der rechten und antisemitischen Verschwörungsszene Autoren, die unter Bezug auf diese Stelle lehren, das gesamte Alte Testament sei vom Teufel diktiert und im neuen würde ein anderer Gott verehrt. Die Stelle aus dem gleichen Evangelium “Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt aus den Juden” (Joh. 4,22 Schlachter; in anderen Übersetzungen oft mit “Das Heil kommt von den Juden” wiedergegeben) findet hier erwartungsgemäß keine Erwähnung.
Um es gleich vorweg zu sagen: Die Tendenz des Buches ist sehr gut, ein Großteil von Tarachs Ausführungen ebenfalls, an einigen Stellen allerdings schießt er allerdings über das Ziel hinaus.
Ich möchte mit dem positiven beginnen. Tarach erkennt mit Recht, dass der Antisemitismus oft von Christen ausging und ausgeht und bringt dafür auch zahlreiche Beispiele. Was die zahlreichen antisemitischen Pogrome in der Vergangenheit anbelangt, so fällt tatsächlich auf, dass weitaus mehr von Christen ausgingen als von Moslems. Kommen wir aber jetzt auf eine Auswahl von Tarachs zahlreichen Beispielen zurück. Er zitiert einige Aussagen von Hitler, in denen er sich als Christ zu erkennen gibt und Jesus als Kämpfer gegen die Juden bezeichnet. Auf den Oberammergauer Festspielen sowie in der polnischen Ortschaft Pruchnik werden Festspiele zelebriert, in diese Ansicht vertreten wird.
Tarach spricht auf die Piusbrüder und “Figuren wie Bischof Williamson” an, die aus der Piusbrüderschaft stammen und die einst von der katholischen Kirche ausgeschlossen worden waren, die Papst Bendeikt XVI jedoch wieder aufgenommen werden wollte. Williamson selbst würde jedoch kaum in den Schoß der Kirche zurückkommen können, da er mittlerweile wegen Holocaustleugnung strafrechtlich verurteilt wurde.
Besonders interessant ist Tarachs Ausführung, derzufolge der gelbe “Judenstern” nur eine “Weiterentwicklung” des “gelben Flecks” war, den die Juden im Mittelalter an ihrer Kleidung tragen mussten und an den eine Armbinde in “judengelber Farbe” erinnert, die die Juden 1939 in Polen tragen mussten. Ja, die Nazis brachten, wie Tarach schreibt, den weitaus ungekannten Fakt, dass die Nazis setzen den gelben Fleck selbst wieder zum Einsatz, was weithin unbekannt ist.
Weiter werden die angeblichen Hostienschändungen durch Juden im Mittelalter angesprochen, wie auch die Ritualmordlegende, auf die auch der Stürmer Bezug nahm, der die Kreuzigung Christi als “größten Ritualmord aller Zeiten” betitelte. Interessant auch die Aussage Tarachs, dass die Ritualmordlegende auch nach Beendigung des 2. Weltkrieges nicht zu Ende war, sondern von einem katholischen Mob – verstärkt durch polnische Sicherheitskräfte – weitergeführt wurde, der gerade den Gaskammern entkomme Juden massakrierte. Dem voran ging – wie auch in anderen polnischen und ungarischen Städten – das Gerücht, dass “die Juden” Christen in ihren Häusern gefangen hielten, um sie zu töten.
Tarach erinnert auch daran, dass oft Judenmission durchgeführt wurde und wird – manchmal auch mit einem gewissen Zwang –, die Taufe den Juden allerdings letztlich oft nichts nützte – sie wurden meist weiter wie Aussätzige behandelt. Ganz wichtig ist Tarachs Erwähnung, dass Luther zu Verbrennungen von Synagogen und jüdischen Wohnhäusern aufrief, um nur die schlimmsten seiner zahlreichen antisemitischen Aussagen bzw. Aufforderungen zu nennen.
Ein wichtiges Kapitel ist auch “Gottesmörder Israel”, indem Vorwürfe gegen Juden in Vorwürfe gegen den jüdischen Staat umgemünzt werden. So wurden sie von Israelgegnern u. a. als “Kinderschlächter” bezeichnet.
Beschämend ist ebenfalls, dass der PLO-Terrorist Jassir Arafat gern gesehener Gast im Vatikan war. Tatsächlich erhebt auch der Islam – wie uns Tarach mitteilt – ähnliche Vorwürfe wie die Christen gegen Jesus: Die Juden sollen zumindest den Versuch unternommen haben, Jesus und Mohammed zu töten.
Später kommt Tarach wieder auf christliche Organisationen wie Pax Christi zu sprechen, die zum Boykott Israels aufrufen, Hass gegen den jüdischen Staat schüren und sich 2010 an der “Free-Gaza-Flottille” beteiligten. Weiter weist er auf den Evangelischen Entwicklungsdienst hin, der die “Nakba-Ausstellung” unterstützt, in der Israel grundsätzlich als Täter und Palästinenser grundsätzlich als Opfer dargestellt werden. Als weitere christliche antisemitische Organisation nennt Tarach den Ökumenischen Rat der Kirchen, der palästinensische Christen unterstützt, die zum Boykott Israels aufrufen. Ein weiteres christliches Organ, das von Tarach als antiisraelisch bloßgestellt wird, ist der Vatikan selbst, der kund gab, dass der Zionismus möglicherweise geistlich von einer zweitausend Jahre alter Rache gegen das Christentum inspiriert sei.
Papst Pius XII, der mittlerweile immer positiver gesehen wird und bei einem Autor mit historischem Hintergrund sogar als “Der Papst, der Hitler trotzte” bezeichnet wird, hat – wie Tarach absolut mit Recht ausführt – Nazis über eine Fluchtroute, auch als Rattenlinie bekannt, zur Flucht verholfen.
Mit all dem und vielem mehr, was er anführt, hat Tarach – auch in aller Schärfe – vollkommen Recht. Jetzt müssen wir aber leider auch auf die Punkte zu sprechen kommen, in denen er übers Ziel herausschießt. “Harmlosere” Kritikpunkte, über die man durchaus auch streiten kann, seien hier einmal außen vor gelassen.
Kritisch erwähnt muss aber, dass Tarach von einer “querdenkenden” Gruppierung namens Christen im Widerstand spricht, die behauptet, dass Satanisten rituellen Kindesmissbrauch betrieben. Mit dem Stichwort “Querdenker” ist er auch schon bei den Coronapolitik-Kritikern angelangt, beschränkt sich vorerst jedoch auf die o. g. Gruppe. Er erklärt, dass die Impfung für viele “radikale Christen” eine Sünde sei, ja dass diese Bewegung eine Impfangst hervorruft, die den Impfstoff als Gift darstellt und die von einer heimlichen Elite geschaffen wurden, um den “Volkskörper” zu zerstören und vergleicht dies mit den Brunnenvergiftungslegenden aus dem Mittelalter. Dies mag auf die genannte Gruppe oder vereinzelte “radikale” Gruppen durchaus zutreffen, doch Tarach vergisst bei alldem darauf hinzuweisen, dass der Großteil der Querdenkerbewegung durchaus rationalere Gründe für ihre Aktionen hat und nicht solche wie oben genannten mit christlichem Hintergrund. Weiter wirft Tarach ein, dass viele Nationalsozialisten die Praxis des Impfens umstandslos als jüdisch erklärten. In der Folge bringt er ein (Einzelfall-)Beispiel, nach denen sich eine nicht namentlich genannte Impfgegnervereinigung aus Wilhelmshaven u. a. auf das antisemitische Machtwerk der Protokolle von Zion beruft. Später nennt er in diesem Zusammenhang plötzlich “die Querdenker” als Ganzes und behauptet, dass diese mit der QAnon-Sekte verwoben sei. Natürlich ist die QAnon-Bewegung keineswegs harmlos: Ihre Inhalte sind antisemitisch bis aufs Mark und enthalten sowohl christliche als auch nationalsozialistische Elemente. Aber: Die “offiziellen” Querdenker bemühen sich, solche Gestalten aus ihren Reihen herauszuhalten, und dass das nicht immer gelangen kann, sollte einleuchten. Hier wird also zu Unrecht die gesamte Querdenkerbewegung mit antisemitischem Gedankengut in Verbindung gebracht.
Auch den christlichen Zionisten tut Tarach Unrecht. Auch hier benennt er eine Gruppe, die Judenmission betreibt und den Geistlichen einer anderen Gruppe, der den Holocaust als gottgewollt bezeichnet. Jetzt auf den christlichen Zionismus als Ganzes eingehend, behauptet Tarach, dass der Zionismus im Grund säkular und pragmatisch sei. Er behauptet weiter, dass Christliche Zionisten (man beachte, dass er in diesem Zusammenhang “Zionisten” stets in Anführungszeichen setzt) kein Interesse an einem sicheren Israel hätten, sondern dieses für ihre religiöse Heilserwartung missbrauchten. Ein Friede im Nahen Osten aufgrund von Verhandlungen liefe ihrer religiösen Agenda zuwider. Deswegen würden die Christlichen Zionisten eine Zweistaatenlösung auch ablehnen. Dies überrascht sehr. Tarach, der sich sonst in großem Maße für die Juden und Israel stark macht, erweckt hier den Anschein, dass er für eine Zweistaatenlösung ist – wohl wissend, dass ein Israel in den Waffenstillstandslinien von 1949 kaum überlebensfähig ist. Aus diesem Grund muss man auch sagen, dass diejenigen, die gegen die Zweistaatenlösung sind, für ein sicheres Israel und den Frieden im Nahen Osten sind – und darunter sind eben auch die meisten Christlichen Zionisten, deren Großteil im Übrigen auch die Judenmission ablehnt. Warum Tarach den Christlichen Zionisten vorwirft, “in der Regel radikale Abtreibungsgegner” zu sein, ist für mich ein unergründliches Rätsel.
Manchmal geht Tarachs (in den meisten Fällen verständliche und oft sogar berechtigte) Abneigung gegen die Christen mit ihm durch, wofür man durchaus ein gewisses Verständnis haben kann, doch hier fehlt es ihm in diesen Punkten an Objektivität und Verhältnismäßigkeit.
Die Kritikpunkte wurden bewusst ausführlich beschrieben und, um meine Kritik auch verständlich zu begründen; sie sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen dass das Buch als Ganzes gesehen viele traurige Wahrheiten enthält und enthüllt, so dass es trotz der Kritikpunkte ohne Weiteres empfohlen werden kann.
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