60 Tage Feuerpause für neun Geiseln – und ein gefährlicher Rückzug aus Rafah

Ein neuer Deal liegt auf dem Tisch – neun lebende Geiseln für eine Feuerpause und massive territoriale Zugeständnisse. Doch was als Hoffnung beginnt, könnte Israels Sicherheit gefährlich untergraben.

Es ist ein Vorschlag, der Hoffnung bringt – und gleichzeitig Alarmglocken schrillen lässt: Der neue Geisel-Deal, der dem israelischen Sicherheitskabinett vorliegt, umfasst die Freilassung von neun lebenden Geiseln sowie 18 Leichen, verteilt auf zwei Phasen innerhalb einer Woche. Im Gegenzug soll Israel einer 60-tägigen Waffenruhe zustimmen und in dieser Zeit Verhandlungen über das „Ende des Krieges“ aufnehmen.

Die Initiative stammt von Steve Witkoff, dem US-Sondergesandten für den Nahen Osten. Sein Plan sieht vor, dass bei ausbleibendem Verhandlungserfolg Israel das Recht behält, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. Doch der eigentliche Kern des Vorschlags liegt nicht in der Formel „Waffenruhe gegen Geiseln“, sondern in dem, was Israel dafür aufzugeben bereit sein soll – oder vielmehr, aufzugeben gedrängt wird.

Denn der Preis ist hoch. Laut dem Vorschlag würde sich die IDF aus den meisten Teilen von Rafah zurückziehen, darunter auch aus dem umkämpften Korridor entlang der Grenze zu Ägypten – dem sogenannten Philadelphi-Korridor, den Israel derzeit energisch kontrolliert. Auch der strategisch wichtige „Zir Morag“, eine Versorgungs- und Bewegungslinie der israelischen Streitkräfte, soll geräumt werden. Ebenso wäre ein Abzug aus Nord-Gaza und Teilen Ost-Gazas Teil des Deals. De facto würde das bedeuten: Israel zieht sich auf die Positionen zurück, die am Ende der zweiten Feuerpause im Winter 2023 bestanden – also vor der Wiederaufnahme der Kämpfe.

Offiziell wird der Deal als humanitärer Fortschritt verkauft. Inoffiziell bedeutet er: Israel verzichtet auf harte militärische Erfolge zugunsten eines temporären menschlichen Gewinns – unter dem Damoklesschwert internationaler Erwartungen und medialen Drucks.

Zusätzlich zur Waffenruhe und zum Rückzug sieht der Vorschlag eine weitreichende Gefangenenaustausch-Regelung vor: 125 palästinensische Häftlinge, die wegen Mordes an Israelis zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, sollen freikommen. Ebenso sollen 1.111 weitere Häftlinge aus dem Gazastreifen, die nach dem 7. Oktober 2023 festgenommen wurden, freigelassen werden – zusammen mit der Rückgabe von 180 Leichen palästinensischer Terroristen.

Die Reaktion darauf ist geteilt. Während Angehörige der Geiseln und Teile der Öffentlichkeit den Vorstoß unterstützen – aus tiefer Sehnsucht nach Heimkehr ihrer Liebsten – sehen Sicherheitskreise, Militärstrategen und viele Bürgerinnen und Bürger darin einen gefährlichen Präzedenzfall.

Ein hoher Offizier, der mit den Verhandlungen vertraut ist, drückte es nüchtern aus: „Hamas steht unter ungeheurem Druck – militärisch und zivil. Er verliert nicht nur Boden, sondern auch die Unterstützung der eigenen Bevölkerung.“ Genau dieser Moment der Schwäche werde nun genutzt, um eine Vereinbarung durchzusetzen – aber nicht von Israel, sondern von der US-Regierung.

Denn was auf dem Spiel steht, geht über neun Geiseln hinaus. Es geht um Kontrolle. Um Abschreckung. Um das Signal an die Hamas, dass Gewalt sich lohnt. Und um das gefährliche Versprechen, dass internationale Vermittler bereit sind, Israels strategische Sicherheit gegen temporäre Ruhe zu tauschen.

Vor allem aber wäre ein solcher Rückzug ein klarer Rückschritt im Kampf gegen die Hamas: Die Terrororganisation würde wieder Territorium gewinnen – ohne es militärisch zurückerobert zu haben. Ihr Narrativ der „Standhaftigkeit“ würde gestärkt, der Mythos vom erfolgreichen Widerstand am Leben gehalten.

Und was, wenn am Ende der 60 Tage keine Einigung zustande kommt? Dann beginnt der nächste Zyklus von Verhandlungen, unter noch größerem Druck, unter dem moralischen Gewicht eines begonnenen „Friedensprozesses“, der sich nicht einfach beenden lässt.

Israel hat sich bereits einmal auf einen solchen Prozess eingelassen – in den 90ern, in Oslo. Die Geschichte kennt das Ende. Der Preis war Blut.

Die Geiseln müssen zurück – das steht außer Frage. Doch ob dieser Vorschlag der richtige Weg ist, sie heimzuholen, ohne sich selbst aufzugeben, bleibt zweifelhaft. Israel darf die Humanität nicht gegen seine Sicherheit eintauschen. Nicht jetzt. Nicht so.

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