Machen wir uns nichts vor. Kommt die Widerspruchslösung und weisen die Statistiken in den nächsten Jahren steigende „Spender“-Zahlen auf wie erwünscht, folgt der nächste Schritt rasch. Die Spende-Pflicht. Und die Zahl der Missbräuche wird steigen, weil das Blut der Hirntoten nach Geld riecht. Ein Gastbeitrag von Michael van Laack.
Update: Die Schlussabstimmung im Bundestag fiel sehr klar gegen den Spahnentwurf aus: Dafür stimmten – bei lediglich drei Enthaltungen – nur 292 der anwesenden Abgeordneten, dagegen 379. Dafür wurde die Zustimmungslösung angenommen.
Es gibt Tage, an denen ich besonders deutlich spüre, dass man sich seiner Vergangenheit nie ganz entziehen kann. Früher, als ich noch kein ganz so netter Typ war wie heute, habe ich für den US-amerikanischen Markt unter Pseudonym Horror- und Dolcett-Kurzgeschichten geschrieben. Das mag erklären, warum ich beim Thema Organspende so in die Zukunft schaue, wie ich es weiter unten tun werde. Doch zunächst einmal die Fakten.
Zwei konkurrierende Modelle: Drucksache 19/11096 und 19/11087 – Hinter diesen Kürzeln verbirgt sich eine Richtungsentscheidung mit Signalwirkung. Für die Mitglieder des Bundestages eine wirkliche Gewissensentscheidung, denn es geht nicht um Gender-Toiletten [oder] eine Schweinefleisch-Steuer. Wie bei der „Ehe für alle“ so ist auch für die Abstimmung über die Änderung des Transplantationsgesetzes der Fraktionszwang aufgehoben.
Die Widerspruchslösung
Der Entwurf des SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach, dem sich zunächst zahlreiche Mitglieder der eigenen Fraktion, später auch Abgeordnete mit anderen Parteibüchern anschlossen und den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den vergangenen Monaten über sein Haus als die einzige sinnvolle Lösung in den Medien hat darstellen lassen, sieht vor, dass ein modifiziertes „Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende“ eingerichtet wird. Jeder deutsche Staatsbürger(?) ab 16 Jahren soll sich in dieses Register eintragen lassen können. Jeder, der mindestens 14 Jahre alt ist, soll der Organentnahme nach dem Hirntod widersprechen können. Alle unter 14, denen die Vorstellung, aufgeschnitten und teilentleert zu werden, keine Lebenretter-Gefühle vermittelt, können nur darauf vertrauen, dass die Eltern sie oder ihn nicht spenden, falls sich die Gelegenheit ergibt.
Das Entscheidende bei diesem Gesetzesvorschlag ist allerdings: WER SICH NICHT IN DAS REGISTER EINTRAGEN LÄSST ABER AUCH NICHT WIDERSPRICHT, GILT AUTOMATISCH ALS ORGANSPENDE.
Die Zustimmungslösung
Dieser Gesetzesentwurf geht federführend auf die in Kreisen der bürgerlichen Mitte ansonsten nicht sonderlich geschätzte Grünen-Politikerin Annalena Baerbock zurück und wird wie der Lauterbach-Antrag von MdB quer durch die Fraktionen unterstützt.
Auch dieser Entwurf sieht ein Register vor, in dass man sich eintragen lassen kann und setzt die gleichen Altersgrenzen. Der entscheidende Unterschied ist, dass ausdrücklich der Wille zur Organspende erklärt werden muss. U14 hat allerdings auch hier Pech, aber wer denkt schon an den Tod, wenn er in Saft und Kraft steht.
ES IST ALSO BEI DIESER LÖSUNG NICHT NOTWENDIG, AUSDRÜCKLICH SCHRIFTLICH DER ORGANENTNAHME NACH DEM HIRNTOD ZU WIDERSPRECHEN.
Aber auch dieses Gesetz hat einen Schwachpunkt
Wer keine Organe spenden möchte, muss also formal nichts tun. Eine Erklärungspflicht besteht nicht. Möglich ist aber, dass – wenn es keine Erklärung gibt – die Verwandten die Zustimmung ersetzen. Sie behaupten dann einfach, dass sei der Wille von Tante Emma gewesen. Deshalb ist es immer sinnvoll, einen Organspendeausweis mit sich zu führen oder eine Patientenverfügung zu übergeben, wenn man schwer erkrankt ist.
Beim Unfalltod muss man sich dann allerdings darauf verlassen können, dass die Verwandten auch tatsächlich den eigenen Willen gegenüber den Ärzten erklären, sofern er bekannt ist oder Polizei und Notarzt den Ausweis bzw. die Erklärung auch wirklich finden und umsetzen wollen. Das ist bei Alleinstehenden das größte Problem.
Spende – Eine Begriffsverwirrung
Im Duden lesen wir: „Beitrag, Förderung, Hilfsgelder, [milde] Gabe, Unterstützung, Zuschuss, Zuwendung; (gehoben) Scherflein; (bildungssprachlich) Obolus; (abwertend) Almosen.“
All dies stellt eine Organspende allerdings nur da, wenn sie eben FREIWILLIG gegeben wird, wenn der Spender den Willen kundgetan hat, nach seinem Ableben mit dieser Spende anderen Menschen Gutes zu tun. Wahrhaft Gutes zweifellos, denn er ermöglicht (hoffentlich) dem Empfänger ein gesundes Weiterleben.
Doch weil man sich in der Politik so gern ehrlich macht, sollte ein anderer Begriff gefunden werden für den unfreiwillig zur Organressource gewordenen Menschen. Eine Alternative fällt mir zugegebener weise nicht ein. „Organberaubter“ wäre nicht treffend, weil man einem toten Menschen nichts mehr stehlen kann, da er nichts mehr besitzt… „Unfreiwillige Organweitergabe“ vielleicht?
“Wir wollen den moralischen Druck erhöhen und die Auseinandersetzung mit dem Thema erreichen!“
So hört man in diesen Tagen immer wieder. Beides scheinen mir allerdings Nebelgranaten zu sein. Denn das ist eine Sache, die jeder mit sich selbst und seinem Gewissen ausmachen muss und auch tut. Kaum einer wird mit einem T-Shirt in der Kneipe sitzen auf dem steht: „Pech gehabt! Mein Herz wird niemals in Dir schlagen!“ Auch von Ärzten dürfte sich niemand ein schlechtes Gewissen machen lassen oder eine der bunten Broschüren des Gesundheitsministers lesen, anschließend in Tränen ausbrechen über das Leid vieler Kranker und umgehend seine Zustimmung geben.
UND WEIL SIE WISSEN, DASS ES SO IST, WOLLEN SIE DIE WIDERSPRUCHSLÖSUNG! Sie vertrauen auf die Faulheit oder die Feigheit vieler, eine Entscheidung zu treffen, denn an sein Ende auf dieser Welt denkt niemand gern. Dieses Thema schiebt man gern nach hinten; vor allem, wenn man jung ist. Und ältere Organe, die schon verbraucht sind, kann man eh kaum mehr transplantieren.
Rechtlich kommt die Widerspruchslösung einer posthumen verfahrenslosen Enteignung gleich
Wenn ich einen Bescheid von welcher Behörde auch immer bekomme, gibt es eine Widerspruchsfrist. Wahre ich diese nicht, ist der Bescheid rechtsgültig. Das macht Sinn. Aber nirgendwo sonst im deutschen Recht gibt es für den Staat die Möglichkeit, einen Akt zu setzen, der meinen Körper oder mein Vermögen betrifft, ohne dass meine Zustimmung vorliegt. OK, bei Festnahme oder Verhaftung, aber dann habe ich vermutlich auch vorher eine Straftat begangen.
Ich übertrage dieses Gesetz mal auf andere Bereiche.
1. Ich trete (was Gott verhüten möge) in die SPD ein, der Genosse händigt mir das Parteibuch aus und sagt: „Und vergessen Sie nicht, sich negativ ins Parteispendenregister eintragen zu lassen, wenn sie vermeiden wollen, dass wir umgehend nach Erhalt des Totenscheins von Ihrem Konto eine großzügige Spende in von uns zu bestimmender Höhe abbuchen. Denn eine Parteispende hat Vorrang vor dem Anspruch der Erben.
2. Oder sehr drastisch in die Welt der lebenden übertragen: Die „Mein Bauch gehört mir“-Frage. Da kommt eine Frau zur Beratung bei Pro Familie und am Ende der Beratung sagt die Dame: „So gute Frau, ich habe sie jetzt über das Für und Wider einer Abtreibung aufgeklärt. Ihre Personalien habe ich erfasst. Ab jetzt haben Sie entsprechend er Schwangerschaftswoche soundso viel Zeit, der Abtreibung zu widersprechen. Wenn sie das versäumen, kommt ein Arzt und fährt sie in die Gynäkologie.
3. Umgekehrt ginge das auch: Nachdem man sich darüber hat informieren lassen, wie eine Adoption vor sich geht, müsste man sich in ein Adoptionsregister eintragen lassen, damit das Kind nicht umgehend nach der Geburt in die Hände von zwei treusorgenden Papas gegeben wird, die – weil sie ja keine eigenen Kinder bekommen können – dringend auf eine Säuglingsspende angewiesen sind.
Der Mensch als Handelsware
Es sind nicht die kriminellen Strukturen der Organmafia, die von der Widerspruchslösung profitieren würden. Die haben es eher auf gesunde Menschen abgesehen, denen sie für ihre zahlungskräftige Kundschaft im besten Fall sogar freiwillig eine Niere entnehmen bzw. einen Lungenflügel oder sie im unschöneren Fall ausweiden wie ein Tier im Schlachthaus.
Das System ist es, das profitiert: Krankenkassen, Kliniken, Europäische Organspende-Datenbank. Für jeden Unternehmer ein Idealfall. Das Minimaxprinzip. Mit geringstmöglichem Waren- oder Kapitaleinsatz den größtmöglichen Gewinn erzielen. Deshalb wäre es gerechter, den Hinterbliebenen würde Geld gezahlt werden für die entnommenen Organe. Also etwas, dass der Erbmasse zugeschlagen wird. Mein Haus, Mein Auto, Meine Organe.“. Also Teil der Erbmasse, aus der man schließlich auch die Beerdigung finanzieren muss. Nichts ist umsonst: Die Leber, die das Schwein „spendet“ lässt sich der Bauer auch bezahlen, um mal einen abseitigen Vergleich zu wagen.
Manipulationsgefahr beim Register
Wer von uns überprüft regelmäßig, ob er in seiner Kommune noch im Melderegister steht oder gar im Geburtsregister? Wir vertrauen darauf, dass alles seine Richtigkeit hat. Und falls nicht, können wir zufällig erkannte Verwaltungsfehler korrigieren lassen.
Mit diesem Register geht das nicht. Denn nach dem eigenen Tod kann man Fehler nicht mehr tilgen lassen. In Zeiten der elektronischen Datenverarbeitung kann man schnell mal ein paar tausend Datensätze löschen oder umetikettieren. Wenn dann auch vielleicht die Angehörigen nicht schnell genug greifbar sind (bei einem Unfall) oder es keine gibt…
Ein Blick in die Zukunft – Das Schlachthaus der Toten
Machen wir uns nichts vor. Kommt die Widerspruchslösung und weisen die Statistiken in den nächsten Jahren steigende „Spender“-Zahlen auf wie erwünscht, folgt der nächste Schritt rasch. Die Spende-Pflicht. Und die Zahl der Missbräuche wird steigen, weil das Blut der Hirntoten nach Geld riecht. Eine Organspende-Industrie wird entstehen und am Ende werden es doch wieder nur die Wohlhabenden sein, die oben auf den Listen stehen, weil ihre privaten Krankenkassen gut vernetzt sind mit den Privatkliniken. Und dann geraten auch Kinder und Säuglinge mehr in den Fokus. Die Wehrlosesten, die keine Möglichkeit oder kein Recht zur Zustimmung haben, was selbstverständlich auch für geistig Behinderte gilt.
Panikmache, Horror-Visionen? Nein, lediglich Huxleys „Schöne neue Welt“, die in anderen Lebensbereichen schon längst verwirklicht wird von der politischen Klasse.