(zum Beitragsbild oben: Chaim Noll (2014). Quelle: Freud, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons)
Wer die zunehmende geistige Verödung Deutschlands beklagt, dem sei gesagt, dass es noch ein gallisches Dorf gibt, das Widerstand gegen die scheinbar unaufhaltsame Verblödung leistet: Schloss Ettersburg bei Weimar. Das ist dem Direktor Peter Krause zu verdanken, der den zauberhaften Ort, Sommersitz der Herzogin Anna Amalia, in dem Goethe ein häufiger Gast war, seit 2011 zu einem Ort für freie Debatte gemacht hat. Das Programm ist erstaunlich vielfältig und reicht von Jens Bisky (7.9.) über Matthias Brodkorb (28.10.) bis Götz Aly (11.11.) und noch viel mehr interessante Diskutanten, wie man hier nachlesen kann.
Am 2.September war Chaim Noll da, der auf seiner jährlichen Deutschlandtour auch Schloss Ettersburg besuchte. Hans Noll, der nach eigener Beschreibung in der DDR mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und inmitten der Kulturfunktionärsschickeria aufwuchs, wurde spätestens 1980 zum Systemfeind, als er sich der Aufforderung, seinen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee abzuleisten, entzog und dafür den Aufenthalt in der Psychiatrie in Kauf nahm. Er verließ mit seiner Frau, der Malerin Sabine Kahane, 1984 die DDR und lebt nach einigen Stationen im Westen seit 1995 in Israel. Während des Zweiten Golfkrieges, als die deutsche Linke 1991 gegen Israel demonstrierte, änderte er seinen Vornamen zu Chaim. Er ist einer der besten Kenner und klügsten Analytiker der Lage im Nahen Osten.
Vor ausverkauftem Weißen Saal fand ein spannendes Gespräch mit dem exzellent vorbereiteten Peter Krause statt. Interessanterweise hat Krause das neueste Buch von Noll „Die Verteidigung der Zivilisation“ noch nicht gelesen, er bezog sich immer wieder auf das ältere „Scharia und Smartphon“, was aber bewies, dass Nolls frühere Analysen auch heute noch zutreffen.
Am 7. Oktober 2023 feierte die Achse des Guten in Berlin ihr jährliches Fest mit ihren Autoren. Mit dabei Chaim Noll, der als erstes durch Handynachrichten seiner Frau von dem Überfall der Hamas erfuhr. Sie berichtete morgens von der Attacke und von der Stille danach.
Über diese vier Stunden, in denen die Armee ohne Einsatzbefehl in ihren Stellungen verharrte, berichtete Noll zu Beginn des Gesprächs ausführlich. In diesen vier Stunden versuchte Staatschef Benjamin Netanjahu lange Zeit vergeblich, das Einverständnis von Joe Biden zum Einsatz der Armee gegen die Hamas zu bekommen. Die letzten Geiseln wurden noch mittags genommen, ehe die Armee endlich eingreifen durfte. Vorher waren etliche Offiziere und sogar Generäle im Ruhestand auf eigene Faust losgezogen, hatten einige Soldaten um sich versammelt und an vielen Stellen Schlimmeres verhindert. Unter diesen Verteidigern der ersten Stunde ist die Gefallenen-Zahl besonders hoch. Am höchsten war die Opferzahl in einem Kibbuz, der von Friedensbewegten bewohnt war, die Waffen ablehnten. Hier wurden fast alle Bewohner abgeschlachtet. Ein anderer Kibbuz, der über 200 Maschinengewehre verfügte, konnte sich erfolgreich gegen die Angreifer verteidigen. Die bittere Bilanz ist, dass es viele Opfer gekostet hat, weil Netanjahu das Einverständnis von Biden abwartete, ehe er den Einsatzbefehl gab.
Wie wird der Krieg ausgehen? Noll ist sehr klar: Mit der Hamas kann nicht verhandelt werden, das hat sie selbst klar kommuniziert. Die Hamas muss ausgeschaltet werden. Das wollen auch mehrere arabische Staaten, sie überlassen aber Israel die Drecksarbeit. Was mit Gaza geschehen soll, wenn die Hamas besiegt ist, steht noch in den Sternen. Israel will jedenfalls nicht Okkupationsmacht werden.
Von Trump gibt es den Spruch, dass aus Gaza eine Riviera des Nahen Ostens werden könnte. Dahinter steht der Gedanke, dass aus den Trümmern ein wichtiger Hafen aufgeschüttet werden könnte. Ob aus einer politisierten Bevölkerung eine Aufbaugeneration werden kann, die endlich ihre eigenen Interessen, statt die Ziele einer terroristischen Vereinigung vor Augen hat, wird sich in Zukunft erweisen.
Noll, der am 8. Oktober 2023 nach Israel zurückfliegen wollte, musste bis zum 10.10. warten, bis er einen Flug bekam. Da saß er als einziger Alter unter 18- bis 35ig-jährigen, die nach Israel flogen, um ihrem Land in seiner schwersten Stunde seit Jahrzehnten beizustehen.
Vergessen Sie alles, was Ihnen die deutschen Medien über Israel erzählen. Selbst die Demonstranten gegen Netanjahu sind nicht gegen das Ziel, die Hamas auszuschalten. Sie sind, wie Noll der Meinung, dass Netanjahu, der, um seine Macht zu sichern, ein Kabinett mit den Ultraorthodoxen gebildet hat, spätestens nach Beendigung des Krieges abtreten muss.
Israel ist im Gegensatz zu Deutschland ein junges Land, mit einer Bevölkerungsmehrheit unter 40 Jahren. Die Jugend orientiert sich nach Asien und Südamerika, Europa wird für sie immer unwichtiger. Ob in Deutschland hunderte „Kulturschaffende“ in einem „Offenen Brief“ glauben, Israel ermahnen zu müssen, macht vielleicht in Deutschland Eindruck, in Israel jedoch nicht.
Wie wirken sich die von Kanzler Merz verhängten Sanktionen aus? Die sind mehr ein Einknicken vor den israelfeindlichen Kräften, die sich auf den deutschen Straßen austoben, als dass sie tatsächlich wirksam sind. Was die nicht gelieferte Munition betrifft, so kann sie problemlos in anderen Ländern beschafft werden. Und die Firma, die wichtige Teile für Panzer liefert, die nun unter den Boykott fallen, hat ihre Produktionslinie ins Ausland verlagert und liefert weiter.
Wie steht der Wehrdienstverweigerer Noll dazu, dass seine Enkel, auch die Enkelin, sich zu Kampfeinheiten gemeldet haben und in Gaza im Einsatz waren? Sein Motiv, den Dienst an der Waffe zu verweigern wäre gewesen, dass 1980 die Gefahr bestand, mit einer Uniform, die geschnitten war wie die der Wehrmacht, in Polen gegen die Gewerkschaftsbewegung eingesetzt zu werden. Heute kämpft ein Land, das von der Bevölkerung unterstützt und geliebt wird, um seine Existenz. Wie der 7. Oktober 2023 bewiesen hat, hatten die Bewaffneten die größten Überlebenschancen. Deshalb hat Noll seinem Enkel eine Smith&Wesson zum Geburtstag geschenkt.