Yariv Levin, Justizminister der neu gewählten Regierung Israels, hat für die Justiz ein Reformpaket vorgeschlagen, das in Israel die Trennung der Mächte zurückbringen wird, die seine frühesten Jahre prägte. Aber noch bevor die Umrisse des Plans verkündet wurden, löste die Reform ärgerliche Kommentare politischer Gegner und Kritiker des Auslandes aus, die behauptete, sie würde für Israels lebendige Demokratie die Totenglocke läuten.
Das Gebrüll ist alarmistisch, übertrieben und ihm fehlt schlicht Kontext.
Der Vorschlag der neuen Regierung zur Justizreform hat drei Schlüsselelemente. Das wichtigste wäre dem israelischen Obersten Gerichtshof die ausdrückliche gesetzlich festgelegte Befugnis zu erteilen Gesetze aufzuheben, während auch die Befugnis der Knesset bewahrt bleibt Gesetze zu erlassen. Ein zweites Element würde Israels bestehenden Prozess der Ernennung neuer Richte durch ein Beamten-Komitee und amtierender Richter leicht modifizieren, indem dem Komitee mehr gewählte Repräsentanten hinzugefügt werden. Das Dritte würde die Fähigkeit des Obersten Gerichtshofs reduzieren die Beschlüsse gewählter Vertreter nur aufgrund der politischen Vorlieben des Gerichtshofs aufzuheben.
Auf den Reformvorschlag wurde lange hingearbeitet. Israel ist seit seiner Gründung dem britischen Rechtsmodell gefolgt – einschließlich der parlamentarischen Obergewalt und dem Fehlen einer eigenen Verfassung. In seinen frühen Jahren galt Israels Oberster Gerichtshof als liberal und aktivistisch, da er vom britischen Mandat übernommene Rechtsinstrumente zum Schutz der Grundrechte und Freiheiten entwickelte.
Aber vor rund 40 Jahren ist Israels Oberster Gerichtshof mit populistischem, manchmal progressiven und immer selbstverherrlichendem Verhalten einzigartig juristokratisch geworden – nicht gebunden an klare Regeln und mit Macht, die für jede andere moderne Demokratie beispiellos ist.
Der Wendepunkt der Übergriffigkeit des Gerichts kam in den 1990-er Jahren, als es eine „Verfassungsrevolution“ verkündete, mit der es sich selbst skrupellose und unbeschränkte Macht verlieh parlamentarisch beschlossene Gesetze aufzuheben. Das war für eine westliche Demokratie ein nie dagewesener Schritt.
Zuerst rechtfertigte der Gerichtshof seine Machtergreifung damit, dass Israels Grundlagen-Gesetze – Gesetze, die für eine in Zukunft möglicherweise zu schreibenden Verfassung vorgesehen sind – selbst zu einer Quasi-Verfassung geworden waren, die es dem Gerichtshof erlaubt, Verfassungsautorität ins Feld zu führen, um gewöhnliche, von der Knesset verabschiedete Gesetze zu kippen. Aber im Lauf der Zeit erhob sich der Gerichtshof auch über die Grundlagen-Gesetze – nicht nur indem er sie umschreibt, sondern auch indem er sich zum obersten Schiedsrichter dafür erklärt, ob sie überhaupt gültig sind. In den letzten Jahren hat der Gerichtshof den Rahmenwerk der Grundlagen-Gesetze insgesamt verworfen und angekündigt, dass er Grundgesetze und andere Gesetze aus jedem beliebigen Grund streichen kann, z.B. wenn er die Gesetze für „zu politisch“ oder „unzureichend durchdacht“ befindet.
Mit unkontrollierter Macht bewaffnet setzt Israels Oberster Gerichtshof ständig seine politischen Vorlieben gegen die der Gesetzgeber Israels durch, sei es zu außenpolitischen Fragen, militärischen Entscheidungen, Haushaltsprioritäten, Steuern, Sozialleistungen, Radio- und Fernsehprogrammen oder jeder anderen bedeutenden Regierungsentscheidung. Das schließt die Macht ein Parlamentspräsidenten, Minister der Regierung, Armee-Generale und Bürgermeister zu ernennen oder zu feuern. Der Oberste Gerichtshof beratschlagt aktuell, ob der Finanzminister der neuen Regierung entlassen werden soll, weil eine „vernünftige“ Regierung jemand anderes ernannt hätte.
Am erstaunlichsten ist vielleicht, dass der Oberste Gerichtshof sich so positioniert, dass er bei allen politischen Entscheidungen das letzte Wort hat, statt das der israelischen Öffentlichkeit oder ihren gewählten Repräsentanten zu überlassen. Der Gerichtshof hat den Generalstaatsanwalt und nachrangigere Juristen mit diesem Aktivismus beauftragt, was ihnen mehr Macht gibt die Politik der gewählten Vertreter mit einem Veto zu belegen, zu der sie Einwände haben.
Damit ist die „juristische“ Klärung von Regierungsentscheidungen funktionell zu einer ideologischen statt einer juristischen Überprüfung durch Justiziare geworden.
Der Oberste Gerichtshof war einmal die Institution Israels, der das meiste Vertrauen entgegengebracht wurde. Aber heute, wo sich die Justiz der juristischen Beschränkungen entledigt hat, vertraut eine Mehrheit der Öffentlichkeit ihm nicht mehr. Aktuelle Umfragen zeigen noch alarmierende Missbilligung des übrigen ernannten Justizsystems: Lediglich einstellige Prozentsätze der israelischen Öffentlichkeit sprechen dem Generalstaatsanwalt, Regierungsanwälten und der Polizei noch ihr Vertrauen aus.
Es überrascht nicht, dass Aufrufe nach einer Justizreform seit der „Verfassungsreform“ der 1990-er eine Facette der israelischen Gesellschaft gewesen ist.
1994 übernahm Israel eine Verfassungstechnik aus Kanada, indem es einem seiner eigenen Grundlagen-Gesetze eine „Aufhebungsklausel“ hinzufügte. Diese Klausel erlaubte der Obersten Gerichtshof das Grundlagen-Gesetz zu verwenden, um Gesetze zu kippen, während es der Knesset erlaubte, die Gesetze wiederherzustellen, um es mit der Stimmenmehrheit ihrer Mitglieder wieder in Kraft zu setzen. Levins Vorschlag gilt mehr für eine allgemeine Aufhebungsklausel, die eine Justiz-Reform einführt, die seit Jahrzehnten vorgeschlagen wird. Seine vorgeschlagene Klausel würde einiges von der Macht, die sich der Gerichtshof angeeignet hat, bestätigen, aber auch seine heftige Übergriffigkeit zügeln.
Im Widerspruch zu den demokratischen Untergangspropheten würden diese Maßnahmen Israel tatsächlich näher Regierungstätigkeit anderer Demokratien wie Kanada und den USA bringen. Ironischerweise würden sie auch Israels demokratische Praxis vor der „Verfassungs-Revolution“ der 1990-er Jahre wiederherstellen.
Bis zu den jüngsten Wahlen kamen Aufrufe nach einer Justizreform aus allen Teilen des politischen Spektrums in Israel. Aber mit den Reformen, von denen erwartet wird, dass eine rechte Regierung sie umsetzt, machen voreingenommene Gegner jetzt genau die Reformen, die sie früher unterstützten, als angeblichen Untergang der israelischen Demokratie.
In Wirklichkeit ist Israels radikal demokratische politische Kultur gesund und dynamisch. Die Justizreform wird sicherstellen, dass das so bleibt.
Avi Bell ist Jura-Professor an der University of San Diego und der Bar Ilan-Universität und Gründungsdekan jährlichen Programms zu Gesetz und Demokratie des Israel Law and Liberty Forum.
Beschreibung und Quelle Beitragsbild ganz oben: Masken gegen den COVID-19-Virus tragende Richter und Angestellt des israelischen Obersten Gerichtshofs am 4. Mai 2020 bei einer Sitzung des Obersten Gerichtshofs in Jerusalem. Abir Sultan/Pool/APF via Getty Images