* Eugene Kontorovich, JCPA, 8. April 2018
(übernommen von Abseits vom Mainstream – Heplev)
Interview mit Professor Eugene Kontorovich von Sarah Haetzni-Cohen
Eine Version dieses Interviews erschien erstmals auf Hebräisch am 23. März 2018 in Makor Rishon.
Professor Eugene Kontorovich ist der Leiter der internationalen Rechtsabteilung des Kohelet Policy Forum und Fellow am Jerusalem Center for Public Affairs. Er lehrt an der juristischen Fakultät der Northwestern University. Der in der Ukraine geborene Professor Kontorovich verbrachte den größten Teil seines Lebens als Erwachsener in den Vereinigten Staaten. Vor mehreren Jahren zog er mit seiner Familie nach Jerusalem.
Frage: Wie kann aus Sicht des Völkerrechts die Rechtslage zu Judäa und Samaria [Westbank] definiert werden?
Professor Kontorovich: Die Frage, die gestellt werden müsste, lautet: Wie sahen die Grenzen Israels aus, als es gegründet wurde? Was definiert seine Grenzen im Moment der Unabhängigkeit. Wie die meisten Länder wurde Israel nach einem erfolgreichen Krieg geschaffen, bei dem ihm niemand zur Hilfe kam. Im Völkerrecht gibt es eine klare Regel zur Gründung neuer Staaten: Die Grenzen des Landes werden in Übereinstimmung mit den Grenzen der vorherigen politischen Einheit in dem Gebiet festgelegt. Was war vorher hier? Das britische Mandat. Und wie sahen die Grenzen des britischen Mandats aus? Es reichte vom Mittelmeer bis zum Jordan.
Die Erklärung der UNO-Vollversammlung vom 29. November 1947 war eine Empfehlung zur Teilung, kein wirksamer Beschluss. Tatsächlich war die Situation nach dem definiert, was das Mandat machte und dieses akzeptierte weder die Empfehlungen noch wurden diese umgesetzt. Während des Unabhängigkeitskriegs eroberten Jordanien und Ägypten illegal Territorium von Israel und es herrschte fast durchgängige Übereinstimmung, dass weder Jordanien noch Ägypten einen legitimen Anspruch auf Souveränität über Judäa und Samaria oder den Gazastreifen hatten. Israel aber sehr wohl. Als Israel diese Gebiete 1967 befreite, erneuerte es die Kontrolle über Landstriche, über die es auf Grundlage der Mandatsgrenzen Souveränität hatte.
Heute lautet der vorherrschende Ansatz, dass das Land, obwohl es nicht Jordanien gehörte, „ausreichend jordanisch“ war und daher das Besatzungsrecht und die Genfer Konvention angewendet werden. Das ist Unsinn, denn selbst, wenn wir annähmen, das sei korrekt, ist die Genfer Konvention nicht länger anwendbar, wenn es einen Friedensvertrag gibt und einen solchen gibt es mit Jordanien seit 1994. Es gilt entweder das eine oder das andere. Entweder es gehörte die ganze Zeit zu Israel und Israel befreite 1967 eigenes Territorium und man kann kein eigenes Land besetzen. Alternativ war es 1967 „ausreichend jordanisch“, damit das Besatzungsrecht anwendbar ist. In diesem Fall annullierte der Friedensvertrag mit Jordanien die Gültigkeit der Genfer Konvention. Die Oslo-Vereinbarungen gingen sogar noch einen Schritt weiter und gewährten lokale Selbstverwaltung.
Frage: Manche behaupten, selbst wenn wir kein Land besetzten, besetzen wir Menschen.
Kontorovich: Menschen versuchen diese zwei Dinge zusammenzusetzen, aber es gibt keine Verbindung zwischen ihnen. Wenn jemand über Ethik reden will, dann lasst uns über Ethik reden, nicht über Völkerrecht. Warum wollen Leute über Völkerrecht diskutieren, wenn sie eigentlich von Ethik reden? Weil Ethik subjektiv ist, aber das Recht wurde geschaffen, um Menschen dazu zu bringen sich über Regeln in einer Situation zu einigen, in der sie unterschiedliche ethische Positionen einnehmen.
Das sind keine besetzten Gebiete. Das sind Gebiete, über die Israel Souveränität beansprucht. Es gibt auf der Welt viele Beispiele dafür, dass ein Staat Souveränität hat, aber eine andere Art Regierungsarrangement bietet. In unserem Fall ist es – zur Zeit – Militärherrschaft. Ein Beispiel ist Amerikanisch-Samoa. Dort haben sie ihre eigene Verwaltung, aber keine Unabhängigkeit. Die Einwohner haben nicht die US-Staatsbürgerschaft und sie können bei Wahlen der USA nicht abstimmen, selbst wenn sie nach New York ziehen würden.
Kontorovich bekräftigte, was seiner Überzeugung nach ein entscheidender Punkt ist. Die Palästinenser haben das Recht bei palästinensischen Wahlen abzustimmen und sich selbst zu regieren. Trotzdem tun wir tun, als habe es Oslo nie gegeben.
Kontorovich: Die Grundphilosophie der Demokratie – und jetzt reden wir nicht länger über rechtliche Ansprüche, weil es so etwas wie ein Recht auf repräsentative Demokratie im Völkerrecht nicht gibt – lautet, dass Menschen eine Repräsentanz in einer Regierung haben müssen, die darüber entscheidet, wie ihr Leben aussieht. In Amerika gibt es ein Prinzip: „Keine Besteuerung ohne Repräsentation.“ Erhebt Israel Steuern von den Palästinensern? Nein. Manchmal ist es das Gegenteil. Wir zahlen für sie aus unserer Tasche. Stellen wir ihnen Strafzettel aus oder verhängten Familiengesetze über sie? Überhaupt nicht. Alles, was wir tun, ist von einer Sicherheitssicht aus zu regieren und das ist keine Frage der Demokratie.
Im Völkerrecht hat ein Volk das Recht auf Selbstbestimmung, aber das bedeutet keinen unabhängigen Staat. Es gibt tausende ethnischer Gruppen weltweit, die einen unabhängigen Staat wollen – Katalanen, Kurden oder die Tamilen in Sri Lanka. Das Völkerrecht hat jedem einzelnen von ihnen „Nein“ gesagt. Die Katalanen haben das Recht zu wählen, aber die spanische Regierung kann mit ihnen mehr oder weniger tun, was ihr gefällt. Sie kann Steuern erheben, beschließen, dass ihre Wahlen nicht rechtens sind und ihre Regierung auflösen. Wir andererseits können das in Area A [der palästinensischen Autonomie] nicht. Wir sind in Area A nur in Sicherheitsfragen involviert und das ist absolut legitim. Wir erheben dort keine Steuern. Wir sammeln nur Steuern für sie ein, was an vielen anderen Orten weltweit ebenfalls geschieht. Das ist sicher nicht „über sie herrschen“.
Eines der Prinzipien der Selbstbestimmung lautet, dass eine Nation für ihre Entscheidungen verantwortlich ist. Wenn die Palästinenser sagen, dass sie eine Nation sind und Mahmud Abbas ihr Führer, müssen sie die Konsequenzen davon tragen. Wenn der Repräsentant der Selbstbestimmung eines Volks zu international unterstützten Angeboten voller unabhängiger Eigenstaatlichkeit – nur sehr wenige Völker haben das Glück dieses Angebot zu bekommen –„Nein“ sagt, dann bedeutet das, dass sie die Alternative akzeptieren, also den Status quo. Stellen Sie sich vor, was die Kurden tun würden, würde die internationale Gemeinschaft einen Staat für sie nur im Nordirak anerkennt. Das liegt weit jenseits von dem, was sie sich jemals vorstellen konnten. Es geschieht äußerst selten einen Staat mit so großer internationaler Unterstützung angeboten zu bekommen. Wenn die Palästinenser sich die Ablehnung erlauben, dann müssen sie die Konsequenzen ziehen. Die Konsequenzen sind die Alternativen zu einem Staat.
Frage: Wie sieht die nächste Stufe aus?
Kontorovich: Die Grundidee ist eine palästinensische Selbstregierung innerhalb eines definierten Territoriums. Sie haben heute bereits so etwas. Das bedeutet nicht, dass sie uns in Gefahr bringen können, aber sie können sich selbst regieren. Die zweite Phase ist die Auflösung der Militärherrschaft in Judäa und Samaria. Einige in dem Bereich würden unter regulärem israelischem Recht stehen (und den dort lebenden Palästinensern würde die Staatsangehörigkeit angeboten). Den Begriff „Annexion“ sollten wir nicht verwenden, denn wenn man etwas annektiert, gehört es einem nicht. „Souveränität einzuführen“ ist also keine exakte Definition, weil Israels Souveränität in Judäa und Samaria sich heute durch Militärherrschaft ausdrückt, etwas, das zwar möglich, aber nicht akzeptabel ist.
Wir dürfen nicht sagen, dass wir keine Souveränität über die Areas A und B beanspruchen, aber wir entscheiden uns schlicht für eine andere Regierungsmethode, um die Selbstbestimmung der Einwohner dieser Gebiete zu maximieren. Diese Art Regierung gewährt eine Autonomie, die die Abstimmung bei allgemeinen israelischen Wahlen nicht beinhaltet. Sie existiert auch an anderen Orten der Welt. Ein Beispiel ist die Isle of Man. Dort wird nicht bei britischen Parlamentswahlen abgestimmt, aber bei Wahlen zur eigenen Regierung. Die gesamte Außenpolitik und Verteidigungsfragen der Insel werden allerdings durch das Vereinte Königreich gehandhabt. Mit dem Gazastreifen muss anders umgegangen werden. Aus rechtlicher Sicht könnte man sagen, dass die Palästinenser im Gazastreifen bereits einen Staat haben.
Einige Prinzipien, denen zu folgen ist
Ich bat Kontorovich ein paar der verwendeten Faustregeln, was man tun und lassen sollte und wichtige Prinzipien zu beschreiben. Sie sehen wie folgt aus:
- Man muss sehr vorsichtig sein welche Worte man verwendet. Judäa und Samaria sind keine „besetzten Gebiete“, aber wenn wir sie weiter so nennen, ist das eine Auffassung, die hängen bleibt. Wir sollten auch auf keiner Ebene – weder professionell noch juristisch oder politisch – die Begrifflichkeit „Besatzungsrecht“ verwenden. Darüber hinaus muss Israel aufhören die humanitären Aspekte der Genfer Konvention anzuwenden – etwas, das Israel freiwillig gemacht hat, über den Buchstaben des Gesetzes hinaus. Es gibt keine juristische Veranlassung dazu.
- Wenn wir sagen wollen, dass wir Anspruch auf das Land haben, sollten wir daran gehen das zu zeigen. Es bedeutet nicht, dass wir am Ende 100 Prozent von allem behalten müssen. Aber wir müssen unseren Anspruch aus rechtlicher Sicht klarstellen. Wenn wir behaupten, dass Judäa und Samaria besetzt sind, dann haben wir keine Grundlage dafür, in Jerusalem zu sein, weil es keinen juristischen Unterschied macht. Wir glauben, dass wir wählen können und alle das akzeptieren. Wie lautet die Grundforderung der Palästinenser? Sie wollen Judäa, Samaria und mehr. Warum? Weil, wenn ein Dieb kommt, um dein Eigentum zu stehlen, dankst du ihm nicht einfach, wenn er es dir zurückgibt.
- Wir müssen begreifen, dass die Position der israelischen Regierung immer die pro-israelischste sein wird, die es gibt. Niemand in der gesamten Region wird sich bei unseren Ansprüchen an unsere Seite stellen – daher bestimmen unsere Ansprüche die Parameter der internationalen Diskussion. Wir wollen immer logisch und praktisch sein, aber wir verpassen diese Dynamik und beschweren uns dann, das sei nicht fair.
- Die Administration Trump ist eine Gelegenheit, die sich vielleicht nie wieder bietet. Er hat die alten Paradigmen aus dem Fenster geworfen. Und seine Versprechen erfüllt. Er versteht, dass, wer immer auch „Nein“ sagt, auch die Verantwortung dafür übernehmen muss. Wir müssen bereit sein eine klare Vision vorzulegen, wenn seine aktuellen diplomatischen Bemühungen fehlschlagen.
- Unsere Vision muss klar und prinzipienfest sein: Israelisches Recht in einem Teil der Gebiete und palästinensische Selbstregierung in dem anderen. Es ist keine gute Idee zu viele Details darüber zu verkünden, wo Souveränität bestehen wird, das wird uns in der Zukunft nur behindern.
- Die Situation ist weder schwarz noch weiß – zwei Staaten oder keiner. Niemand nimmt Notiz davon, was dazwischen liegt. Es gibt in der Welt viele solcher Beispiele. Warum sollten wir glauben, dass einer der kompliziertesten Orte keine komplexere und nuanciertere Lösung braucht?
- Wir befinden uns ständig in der Defensive und im Krieg. Wir haben die Regeln der Diplomatie vergessen: Fangt die Schlacht nicht damit an, zu zeigen, wie viel Angst ihr habt, weder defensiv, noch wirtschaftlich oder demografisch.
- Die Regierung beschloss aus Angst vor der internationalen Reaktion oft eine unklare, verschwommene Politik zu Judäa und Samaria. Diese Reaktion ist nicht notwendigerweise mit dem verbunden, was Israel tut. Es gibt ein Grundverlangen nach Kritik an Israel. So wie wir international niemals Lob für das Treffen von Entscheidungen ernten, gibt es immer einen Preis für jede aktivistische Entscheidung, die wir treffen. Leider haben wir gezeigt, dass wir unter Druck stehen und bereit sind, nachzugeben und so konzentrieren sie sich auf uns.
- Die Palästinenser sind die einzige Nation, die jemals ein Angebot der Unabhängigkeit mit internationaler Unterstützung ausschlugen. Wir müssen wiederholt darauf hinweisen.
- Leute sagen, der Status quo sei nicht stabil, aber in Wirklichkeit ist der Status quo hier der stabilste im gesamten Nahen Osten. Ein Endstatus-Plan muss wie der Status quo aussehen – nur offiziell, organisiert und nicht vorläufig.
Als Schlussfolgerung möchte Kontorovich unseren Lesen folgende Botschaft mitgeben:
Glauben Sie den Nahost-Experten und -Professionellen in Sachen Friedensprozesses nicht. Jeder, der in den letzten 30 Jahren im Außenministerium arbeitete, wird als Experte für den Friedensprozess betrachtet. Aber er hat es ständig versäumt Frieden zu bringen und Sie sollten das mit Vorsicht genießen. Diese Experten ahnten kein einziges der bedeutenden Ereignisse voraus, die sich im Nahen Osten ereigneten, einschließlich des Arabischen Frühlings. Bei ihm glaubten sie, es würde alles mit Demokratie enden, aber schauen Sie sich an, was heute los ist. Sie sind bereits gescheitert, warum also ihnen glauben?