Der Faschismus von Links

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Der stupide Aufruf eines Spiegel-Kolumnisten zur „gesellschaftlichen Ächtung“ von AfD-Wählern ist faschistoid, weil er auf die Ausgrenzung und Vernichtung Andersdenkender zielt.

Manchmal, wenn ich deutsche Medien lese, glaube ich zu träumen. Immer wieder verblüffend: die geistige Enge und Unbeweglichkeit. Die Unfähigkeit, aus früheren Desastern zu lernen. Die Denkmuster als solche bleiben unverändert wie in der Kaiserzeit, in der NS-Zeit, in der DDR. Aber Vorsicht: Keine sinnlose Ossiphobie. War die alte Bundesrepublik wirklich besser? Oder war ihre hoffnungsvolle Weltoffenheit bloß bunte Fassade, dünne Tünche? Und darunter überlebte die alte Spießigkeit, die holzköpfige Sturheit, die bornierte Intoleranz, der Hass auf alles Neue und Abweichende?

Da ist zum Beispiel Christian Stöcker, geboren 1973 in Würzburg, wo er an der Julius-Maximilians-Universität Psychologie studierte und graduierte, sogar „mit einer Arbeit zum Thema Der Einfluss von Handlungseffekten auf den Erwerb und die Ausführung von Bewegungssequenzen zum Dr. phil. promoviert“ wurde. Worauf er noch an der Bayerischen Theaterakademie „Kulturkritik“ studierte. Was immer sie dort darunter verstehen. Dann viele Jahre bei Süddeutscher Zeitung, Zeit und Spiegel als Journalist. Fürs kreative Denkvermögen scheinen diese Anstalten nicht förderlich zu sein, aber man lernt, ein Meinungsmacher zu werden, also suggestiv, manipulativ, verdeckt befehlend zu schreiben. Das Kommando zum Linkssein muss in scheindemokratische Formeln gehüllt sein.

2016 dann die höheren Weihen dieser westdeutschen Vorzeige-Biographie: die Professur an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, an der es außer ihm noch weitere 418 Professoren gibt (sowie 457 Lehrbeauftragte und ebenso viele „Wissenschaftliche Mitarbeiter“). Alle von ähnlichem Zuschnitt? Jedenfalls alle gut besoldet, vom Staat, genauer vom Bundesstaat Hamburg, von der „Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke“, die der grünen Senatorin Katharina Fegebank untersteht. Man kann behaglich unterkommen in Nähe der staatlichen Fördertöpfe. Der ganze Mann ein exemplarisches Gewächs der bunten Bundesrepublik. Geradezu vorbildlich.

10 bis 20 Millionen Bürger „gesellschaftlich ächten“?

Deshalb ist er auch Kolumnist beim Spiegel, einer führenden Einrichtung zur Meinungsvorgabe. Einstmals ein Blatt mit intellektuellem Anspruch und gelegentlich kritischer Grundhaltung („Sturmgeschütz der Demokratie“), inzwischen zum Propaganda-Instrument der Bundesregierung verkommen. Dort werden Maßgaben ausgegeben wie diese: „Deutschland wird doch gut regiert. Die Kritik an der Ampel ist überzogen, die Forderung nach Neuwahlen gefährlich. Die schlechte Stimmung im Land hat weniger mit Fakten zu tun als mit einer getrübten Wahrnehmung.“

Einen Tag danach dann Christian Stöcker, der Hamburger Professor. In einem längeren Kommentar ergeht er sich zum derzeit dringendsten deutschen Thema: „Wie man die AfD kleinkriegt.“ Er offeriert, als vom Staat bezahlter Professor, wissenschaftliche Lösungen des Problems. Es gäbe, erklärt er, „klare Hinweise aus der Forschung, was zu tun ist.“ Und diese Hinweise sehen etwa so aus: „Es muss bei jeder Gelegenheit klargemacht werden, dass Zustimmung zu den Positionen der AfD und anderer Rechtsextremer zu gesellschaftlicher Ächtung führt.“

Zunächst ist es dumm und im Sinne des Autors kontraproduktiv, die Wähler der AfD auf diese Weise zu stigmatisieren und damit zu heroisieren. AfD-Wähler sind ganz normale Deutsche, lässig geschätzt zehn bis zwanzig Millionen – angesichts solcher Zahlen ist Stöckers Einfall, sie „gesellschaftlich zu ächten“, ohnehin unsinnig. Zugleich bekennt, wer solches schreibt, seinerseits faschistische Gelüste. Denn der in einem führenden Medium mit hunderttausenden Lesern veröffentlichte Aufruf zur „gesellschaftlichen Ächtung“ Andersdenkender ist eindeutig faschistoid, er zielt darauf ab, die Betreffenden zu isolieren und zu ruinieren, das heißt: ihnen die Lebensgrundlagen zu entziehen. Das ist noch nicht der offene Aufruf, sie massenhaft umzubringen, aber doch klar auf dem Weg dorthin. Und warum? Weil sie von ihrem demokratischen Recht auf freie Wahl Gebrauch machen. (Oder, wenn sie die AfD nicht mal wählen, nur mit einigen ihrer Standpunkte sympathisieren, von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung.)

Leute wie Stöcker meinen, gegen faschistische Regungen gefeit zu sein, weil sie „links“ sind. Dabei ist Stöcker nur ein gewiefter Karrierist und diese Art Linkssein nichts als ein schöneres Wort für Konformismus, Anpassung und Untertanengesinnung. Eher etwas Schäbiges, zugleich Skrupelloses: bereit, alle, die sie stören und die ihnen im Weg sind, existenziell zu vernichten. Genau das ist, wie aus der Geschichte bekannt, der Nährboden des Faschismus. Stöckers stupider Aufruf zur „gesellschaftlichen Ächtung“ Andersdenkender führt es eindrucksvoll vor Augen.

 

Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“. – Zuerst erschienen bei der Achse des Guten, zweitveröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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