Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich, auf Ersuchen, nunmehr dazu „durchgerungen“, dass Schulen wie auch Behörden sich an die Rechtschreibung zu halten haben.
„Kaum ist Grün nicht mehr am Regieren“ traut sich offenbar in einigen Bereich der Hausverstand wieder ans Tageslicht, denn dies hat auch ganz klare Konsequenzen für das Gendern „im öffentlichen Bereich“.
Duden ebnete den Weg
Konrad Duden hatte bekanntlich mit seinem ersten Wörterbuch, das 1880 veröffentlicht worden war, vor allem den Weg zur amtlichen, verbindlichen Einheitsorthographie geebnet, wie auch Matthias Heine für msn.com zu berichten wusste. Dies bestand anschließend auch über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg. Ausnahmen gab es lediglich im Namen der Kunst, für Dichter und Poeten.
Dieses „speziellen Rechte“ literarischer Autoren, die Freiheit, die amtliche Orthographie zu ignorieren, wurde jedoch zuletzt von Verlagen immer häufiger in Frage gestellt. Das hat die „Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren“ dazu bewogen, die höchste Instanz um ein Urteil zu diesem Thema zu bitten, den Rat für deutsche Rechtschreibung.
Verlage „setzen Regeln fest“
Gerhard Ruiss, der Geschäftsführer der IG, erklärte dazu im Gespräch mit der WELT, die beiden Streitfälle, an denen sich die Debatten zwischen Schriftstellern und Verlagen entzündet hatten. Zum einen hätten immer wieder Lektoren mit Verweis auf die Wörterbücher darauf beharrt, dass manche von den Autoren gewünschte Schreibweisen nicht zulässig seien. Sogar die Kleinschreibung in der Lyrik sei mit solchen Argumenten in Frage gestellt worden. Eine Argumentation, die geradezu geschichtsvergessen wirkt, in einem Land, in dem Schlüsseltexte der Moderne, von Adolf Loos’ architekturtheoretischem Pamphlet „Ornament und Verbrechen“ bis zu den Gedichten H. C. Artmanns, in Kleinschreibung verfasst worden waren.
Experimentelle Schreibweisen seien, so Ruiss von der IG, schließlich eine Möglichkeit, Wörter auf verborgene Sinngehalte abzuklopfen oder ihren Sinn zu erweitern. Manchmal ist die Grenze zum Kalauer fließend.
Nach einigen Monaten des Bedenkens hatte der Rechtschreibrat nun ein klar autorenfreundliches Urteil gefällt. Zum amtlichen Regelwerk, das die Mitglieder des Rats erarbeiten und das von sämtlichen deutschsprachigen Ländern und Gemeinschaften akzeptiert wird, beschied er nun, „es ist nicht bindend für belletristische Texte.“
Zur Begründung schreibt der Rat dazu in einer Pressemitteilung, „seit jeher haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller auch orthografisch persönliche Akzente gesetzt. Manche von ihnen begründeten und begründen ihre stringente eigenwillige Rechtschreibung sogar in Poetik-Vorlesungen oder anderen Veröffentlichungen“. Der Rat habe sich, was die Belletristik anlangt, stets für Respekt vor jenen Abweichungen von der Rechtschreibnorm ausgesprochen, die Urheber mit voller Absicht ins Werk setzen und die Teil ihrer ästhetischen Konzeption sind: „Dies ist auch durch die künstlerische Freiheit begründet.“
Die allerdings enden wollende Freiheit
Für Sachbücher, Zeitungstexte und Ähnliches gilt dieser Freibrief des Rats allerdings nicht, auch Schüler oder Lehrer können sich nicht darauf berufen, um Rechtschreibschwächen und persönliche Marotten, oder gar das Gendern, zu rechtfertigen.
So viel Spielraum der Rat auch den Poeten lässt, so kurz ist die Leine, an der er Schulen und Behörden hält. Um die literarische und die amtliche Sphäre abzugrenzen, wird sehr entschieden klargestellt, „der Rat für deutsche Rechtschreibung weist darauf hin, dass das von ihm erarbeitete Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung mit Amtlichem Wörterverzeichnis auf übereinstimmenden Beschluss der staatlichen Stellen der deutschsprachigen Länder, Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Bundesrepublik Deutschland, Fürstentum Liechtenstein, Republik Österreich, Schweizerische Eidgenossenschaft, verbindlich für Schulen und öffentliche Verwaltung gilt.“
Dem Gendern geht’s „an den Kragen“
Dieses Beharren auf Verbindlichkeit birgt allerdings nun den politischen Konfliktstoff in sich. Denn bisher legen in Deutschland die Bundesländer die Rechtschreibregeln unterschiedlich aus, vor allem in jüngster Zeit, wenn es um Sternchen und andere Sonderzeichen der „gendergerechten Sprache“ geht. Bayern hat die Sonderzeichen am 1. April 2024 in der „Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern“ für unzulässig in Schulen und Behörden erklärt. Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein verbieten jene Zeichen ebenfalls und werten sie als Rechtschreibfehler. In anderen Ländern, wie Bremen und dem Saarland, gibt es jedoch eine explizite Erlaubnis. Berlin will ein entsprechendes Verbot freilich erst 2026 umsetzen.
Der Rechtschreibrat hat aber mehrfach klargestellt, dass „die Sonderzeichen nicht von den Regeln des amtlichen Regelwerks abgedeckt werden, weil sie nicht zum Kernbestand der deutschen Orthographie gehören, aber Anlass für orthographische Zweifelsfälle bieten.“ Zwar wurde das politische Bedürfnis nach einer „geschlechtergerechten Sprache“ anerkannt. Aber die Zeichen würden „grundlegende Eingriffe in Wortbildung, Grammatik und Orthografie“ darstellen. Dies könne Texte komplizierter machen und zu Anschlussfehlern und Interpretationsproblemen führen. Die Aufnahme ins Amtliche Regelwerk sei deshalb „nicht wissenschaftlich eindeutig zu begründen“.
Auf solche Formulierungen berufen sich die „Genderverbote“ für Schulen und Behörden in den genannten Bundesländern. Die erneute Klarstellung, dass die Regeln für Behörden und Schulen verbindlich sind, macht nun, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, deutlich, dass es nicht in der Regelungskompetenz von Bundesländern oder einzelnen Behörden liegt, orthographische Ausnahmen zuzulassen.
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