* von Roland M. Horn
Thorwald C. Franke:
Platonische Mythen
Was sie sind und was sie nicht sind – Von A wie Atlantis bis Z wie Zamolxis
BoD, Norderstedt, 2021
ISBN: 978-3-7534-9212-4
Preis: EUR 16,90
Pb, 315 Seiten, Autorenindex
Der Autor tastet sich an das nicht ganz einfache Thema heran, in dem er sich mit dem vagen Begriff des „Platonischen Mythos“ befasst und einen empirischen Befund vorstellt. Wichtig ist ihm u. a. die Erzählperspektive und die Bedeutungsebene. Franke stellt einen Überblick auf die Variationsbreite der Platonischen Mythen auf, stellt fest, dass manche Aspekte sich zu widersprechen scheinen und wundert sich, wie alle diese Darlegungen in Platons Dialogen unter einen Begriff des Platonischen Mythos gefasst werden konnten. Es fehle ein roter Faden, der es erlaube, alle diese verschiedenen Darlegungen in eine logische Ordnung zu bringen und einen Begriff von Platonischem Mythos zu bilden, der nicht willkürlich sondern verstehbar und nachvollziehbar ist.
Dazu setzt er sich zunächst mit den Grundbegriffen mythos und logos auseinander. Das sind wohlgemerkt altgriechische Begriffe, die mit dem Definition des Wortes „Mythos“ in der deutschen Sprache nicht allzu viel zu tun haben. Ein völliges Lösen von gewohnten Mythen-Begriffen sei notwendig, um Platon verstehen zu können.
Franke stellt fest, dass mythos bei Platon im Kern eine ununtermauerte Aussage bedeutet – eine Aussage ohne Beleg, ohne Zeugen, ohne Argumentation und ohne Beglaubigung; eine Aussage, die als bloße Behauptung ihres Sprechers dastehe, der bei seinen Hörern über keine hinreichende Vertrauenswürdigkeit verfüge, die als Untermauerung der Aussage gelten könnte. Daher könnte diese Aussage falsch sein – muss sie aber nicht. Sie kann genauso gut wahr sein. Auch schlicht erfunden könne sie sein. „Ein wahrer mythos würde in dem Moment aufhören, ein mythos zu sein, in dem bekannt würde, dass er wahr ist. Ebenso ein falscher mythos. Das Wesen des mythos ist die Unklarheit darüber ob er wahr oder falsch ist.“ (S. 36)
Der Autor befasst sich intensiv mit dem Begriff eikos mythos. Dieser Begriff bezeichnet einen „wahrscheinlichen Mythos“ und Franke betont ausdrücklich, dass dieser eikos mythos explizit bei der naturwissenschaftlichen Darlegung im Timaios-Mythos zur Anwendung kommt. Man müsse dem Wort mythos eine wesentlich nüchternere Bedeutung zuweisen, als das moderne Wort Mythos aufweist. Der logos unterscheidet sich vom mythos dadurch, dass er über eine Untermauerung verfügt.
Philosophen wie Timaios und Kritias, die ja in den jeweiligen Dialogen über Atlantis sprachen, sind Franke zufolge in der Lage, „aufgrund ihrer Eigenschaft als Philosophen und aufgrund ihrer Sachkompetenz wahrscheinliche mythoi [Plural von mythos, Anm. RMH] zu erzählen, die sich der tatsächlichen Wahrheit annähern, wie im Timaios-Mythos.“ (S. 52)
Franke befasst sich weiter mit typischen Irrtümern zu mythos und logos. So spricht er die Behauptung vieler Platonforscher an, dass bei Platon logos und mythos ineinander übergingen oder verschwinden und verschmelzen würden. Sie ist schlicht falsch. Bei Platon sind die beiden Begriffe klar voneinander geschieden und getrennt, wie Franke feststellt. Darüber hinaus sind Gleichnisse keine mythoi.
Der Autor geht weiter ausführlich auf historische falsche Weichenstellungen ein und ein weiterer Ansatz Frankes ist der Begriff „Platonischer Mythos“ an sich. In mühsamer Kleinarbeit findet Franke schließlich seinen roten Faden. Er stellt fest: „Der zentrale Aspekt aller Platonischen Mythen ist die Frage nach dem Vertrauen in deren Wahrheit, nach dem Zutrauen von Wahrscheinlichkeit in die jeweilige Darlegung. Dies ist der rote Faden, der alle Platonischen Mythen verbindet und mit dem man alle Platonischen Mythen in einem gemeinsamen Ordnungsschema vereinigen kann.“ (S. 81)
Franke bezeichnet Platon als einen „wahrhaftigen Erkenntnisweber“, der die mythoi von ihrer Unwahrheit befreien und keine Unwahrheit mehr verbreitet sehen will. Darüber hinaus erklärt er durchaus glaubhaft, dass ein Dichter nicht zwangsläufig ein Erfinder sein müsse, wie oft behauptet wird. Im Rahmen von „Platons Wahrheitsprogramm“ würden im Gegenteil „die Dichter als diejenigen, die mythos ‚machen‘, darauf verpflichtet, sich in ihren Dichtungen der Wahrheit so nahe wie möglich anzunähern.“ Weiter erkennt Franke in den Schriften Platons – mit klaren Quellenangaben –, dass unwahre mythoi „verboten“ sind. Zusammenfassend stellt Franke mit Recht fest, dass Platon als Philosoph völlig ernst zu nehmen ist.
Zum Schluss des Hauptteils befasst sich Franke mit dem Thema Atlantis und stellt klar, dass die Atlantisgeschichte zu den Platonischen Mythen zählt und darüber hinaus vermutlich der komplexeste Platonische Mythos überhaupt ist. Franke konnte ein Fundament dafür legen, dass „eine Theorie zu Atlantis als wohlbegründet gelten kann, wenn sie auf das sichere Fundament einer durchdachten Konzeption des Phänomens Platonischer Mythos aufbauen kann“.
Der Hauptteil des Buches endet auf S. 114. Danach folgen zahlreiche lange Anhänge mit Themen wie „Aufstellung und Analyse der Platonischen Mythen“. Neben allen andren Platonischen Mythen geht Franke hier hier ausführlich auf den Theut-Mythos ein, der auf eine ägyptische Volkssage basiert, nach der ein nachdem der Gott Theut in Ägypten die Schrift erfunden hat. Dieses Thema wird von Platon im Phaidros-Dialog behandelt. Für Platon handelt es sich hier zumindest für eine echte Überlieferung aus Ägypten.
Interessant sind auch Frankes Darlegungen zum Phaeton-Mythos, der Bestandteil des Atlantis-Mythos ist. Franke stellt fest, dass Platon beim Phaeton-Mythos ausnahmsweise eine Entmythologisierung vornimmt und betont, dass in diesem mythos kein Sturz eines Himmelskörpers wie eines Kometen auf die Erde angedeutet wird, zumal Phaeton und der Wagen des Sonnengottes „eindeutig für die Sonne selbst steht und nicht für Himmelskörper, wie sie tatsächlich immer wieder auf die Erde stürzen.“
Bezüglich des Nomoi-Dialogs nimmt Franke Bezug auf die explizite Feststellung im Text, dass Ägypten zehntausend Jahre alt ist und dass diese Aussage nicht im übertragenden Sinne gemeint ist. Diese 10.000 Jahre ist als Untergrenze anzusehen, sodass diese Angabe „hervorragend mit den 11.340 und mehr Jahren des Herodot für das Alter Ägyptens zusammen passt“. Allerdings wischt Franke diese interessante Feststellung mit den Worten „In Wahrheit wurde Ägypten natürlich erst um 3000 v. Chr. gegründet, wie wir heute wissen“ beiseite und geht von einer „typischen Fehlwahrnehmung aus der ägyptischen Spätzeit“ aus. In dieser Frage gibt es meiner Ansicht nach mehr Spielraum.
In einem weiteren Anhang stellt Franke die Gruppe von Platonischen Mythen zusammen und in wieder einem anderen bespricht er ausführlich verschiedene Meinungen zum Thema. Besonders interessant sind seine Ansichten zur Wikipedia-Seite zum Stichwort „Platonischer Mythos“. Das Buch wird komplettiert durch zwei Rezensionen, die es in sich haben!
Ich erachte das Buch als absolut empfehlenswert, da es zahlreiche Missverständnisse ausräumt. Es handelt sich um eine mustergültige und absolut gründliche Recherchearbeit, wie man sie selten findet!
Diese Buchbesprechung erschien erstmals auf Atlantisforschung.de.
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