Buchbesprechung: Krasimira Stojanowa: Wanga – Das Phänomen

  • von Roland M. Horn

Krasimira Stojanowa:
Wanga – Das Phänomen
Ennsthaler-Verlag, Steyr, AT, 2004
ISBN: 978-3-85068-618-1
Preis:19,90 €
Taschenbuch, 228 Seiten, Seitenzahl, über 22 s/w-Fotos

Als ich hörte, dass es so etwas wie einen Hype um die bulgarische Wahrsagerin “Baba” Wanga gibt und dass sie sogar mit Edgar Cayce verglichen wird, kaufte ich mir dieses Buch. Die Autorin ist die Nichte Wangas, die in unmittelbare Nähe ihrer Tante aufwuchs und je ein Studium in Orientalistik, Ägyptologie und Asienwissenschaften vorweisen kann und heute journalistisch tätig ist. Im vorliegenden Buch berichtet sie über das Leben und Wirken der blinden Seherin, wie sie es vorher bereits als Moderatorin im bulgarischen Fernsehen getan hat.

Allzu sympathisch wirkt Wanga nicht auf mich. Nachdem Zar Boris III. von Bulgarien 1943 starb, kamen drei Frauen, allesamt angehörige der Zarenfamilie zu ihr, um zu fragen, was nun mit ihnen passieren würde. Wange riet ihnen, dass sie zurück in den Zarenpalast gehen sollten, um das Bett des Zaren von vier Seiten mit einer roten Schleife zu umkreisen und diese Schleife ihr eilends zu bringen. Sie fragten, ob sie nicht auch rosa oder weiß sein dürfte, doch Wanga bestand auf Rot. Jetzt begann sie eine Apathie gegenüber den Frauen zu hegen, weil sie es wagten, “eine tiefere Bedeutung der Schleifenfarbe anzuzweifeln”. 1944 wurden über dem Zarenpalast rote Farben gehisst, die das Zeichen des an die Macht gekommenen kommunistischen Regimes darstellten. Die Autorin fragt sich allen Ernstes, ob Wanga, wenn die Frauen mit der Schleife wieder gekommen wäre, “mithilfe der vom Himmel gegebenen Kraft den Lauf der Geschichte hätte beeinflussen können”.

In einem Interview sagte Wanga, dass ihre hellseherischen Fähigkeiten von höheren Mächten programmiert wurde, die sie seit fünf Jahren (vom Datum des Interviews im Jahr 1984 ab] “sehen” konnte. (“Sehen” setzte ich deswegen in Anführungszeichen, weil Wanga seit ihrer Kindheit blind war.) Die Wesen seien durchsichtig und hätten ausgesehen, als würde ein Mensch sein Ebenbild im Wasser betrachten. Sie trügen Kleider, die wie Rüstungen aussahen und wie Schuppen eines Fisches glänzten. Meist seien es ältere Männer gewesen. Wenn Wanga nach Hause kam, hätten sie im Salon gesessen, und nur sie konnte sie “sehen” und mit ihnen reden.

Schriftstellern gegenüber sei Wanga nicht immer aufgeschlossen und gewogen gewesen. So fragte sie Stojanowa zufolge 1984 den russischen Poeten Ewgeni Ewtuschenko: “Was bist Du denn für einer?” Als der antwortete, dass er Schriftsteller sei, antwortete sie Stojanowa zufolge:

Ei, was für ein Schriftsteller! Du hast eine Fahne, so viel hast du gesoffen. Stell dich etwas weg von mir! Warum trinkst und rauchst du so viel? Davon wird dein Talent nicht besser. Lass deine Zähne in Ordnung bringen und deinen Magen behandeln. Schreibe nicht nachts! Steh früh auf und arbeite. Am besten, du schreibst zwischen 3 und 8 Uhr morgens. In dieser Zeit wirst du am stärksten schöpferisch inspiriert.” (S. 68)

Abgesehen davon, dass 3 Uhr in den Augen Wangas offensichtlich nicht in der Nacht lag, sondern zum frühen Morgen, könnte man Ihre Ansprache als “direkt”, aber auch als “unverschämt” bezeichnen. Anderen Schriftstellern gegenüber äußerte sich in ähnlicher Manier. Da kamen Aussprüche wie “Wenn du ein Hund wärst, würde man dich vergiften”.

Zum Ringkämpfer Borislaw Velitschkow, der eine Hepatitis und später eine vergrößerte Leber hatte, sagte sie: “Im Moment ist deine Leber in einem gutem Zustand, geht nicht weiter zu den Ärzten.” Hätte sie solch eine Bemerkung in der BRD gemacht, wäre sie Gefahr gelaufen, ihre Heilpraktikerlizenz zu verlieren (vorausgesetzt sie hätte eine), denn es könnte für den Ratsuchenden gefährlich sein, die ärztliche Behandlung abzubrechen, und so ist es in diesem Staat Heilpraktikern strikt untersagt, ihren Patienten derartige Ratschläge zu geben. Wanga toppte die Bemerkung noch mit den Worten “Du hast nichts.” Tatsächlich bekam er aber später wieder “Gelbsucht”. Er ging nicht zu den Ärzten, das hatte Wanga ihm ja verboten, sondern zu ihr. Jetzt schickte sie ihn aber ins Krankenhaus, also zu Ärzten! Die Behandlung dort half ihm. Später wollte er vor Wettkämpfen Stimulanzmittel einnehmen, denn “alle nehmen sie” und ohne sie könne er nicht gewinnen. Doch er hatte Angst sie einzunehmen, und an wen wandte er sich? An Wanga! Und was machte die? Sie dosierte ihm die Doping-Mittel!

Ratschläge wie “Diese Frau hat sehr schwache Knöchel, sie bricht sich leicht die Beine. Deshalb darf sie nur Schuhe ohne Absätze tragen und die Farbe ihrer Kleidung soll blau sein”, irritieren. Der erste Teil des Satzes macht noch Sinn, aber wieso soll die Frau blaue Kleidung tragen? Mich erinnert das an eine Strophe aus dem Vereinslied von Schalke 04, wo es heißt: “Alle Mädchen, die so jung und schön, sollten alle Blau und Weiß spazieren gehn.” Aber Spaß beiseite. Obwohl: Einen gewissen Sinn für Humor schien auch Wanga gehabt zu haben, wenn sie sagte: “Raucht nicht! Wäre das notwendig, hätte Gott jedem von uns einen Kamin auf den Kopf gesetzt.”

Wenn man der Autorin glauben darf, sind einige Prophezeiungen von Baba Wanga tatsächlich eingetroffen, doch sie machte auch etliche Falschaussagen. Davon wurden einige von der Autorin zurechtgebogen, so dass sie quasi um die Ecke dann doch noch irgendwie richtig sein können. Der Vergleich Baba Wangas mit Edgar Cayce hinkt jedenfalls gewaltig, und allzu seriös wirken weder die Autorin, noch Wanga noch das Buch selbst auf mich.

(Erstveröffentlichung auf Atlantisforschung.de)

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