Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ausgangssperre der „Bundesnotbremse“ mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, sei zwar nicht von der Hand zu weisen. Aber das wolle man nicht im Eilverfahren entscheiden. Gern wird daher das politische besetzte Bundesverfassungsgericht nach der Bundestagswahl darüber entscheiden und informieren, ob 80 Millionen Bürger für Wochen oder Monate zu Unrecht ihrer Freiheit beraubt wurden.
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es sich also gelohnt, den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth als Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu installieren. Denn das höchste die Verfassung schützende Gericht hat sich heute der Meinung der Bundeskanzlerin und ihres Hofvirologen Lauterbach angeschlossen, dass Leichensäcke die Straßen bedecken könnten, wenn die Bundesbürger zum jetzigen Zeitpunkt nachts dieselben betreten dürften.
Anträge zulässig und nicht unbegründet
Die Anträge seien zwar allesamt gut begründet, aber die Zeit einfach zu knapp, um eine fehlerfreie Entscheidung zu treffen. Deshalb will das Bundesverfassungsgericht nicht auf bloßen Verdacht hin die 4. Novelle des Bundesinfektionsgesetzes als in Teilen oder seiner Gesamtheit nicht verfassungskonform bewerten.
Erschreckend hierbei: In der gesamten Entscheidung werden die eingeschränkten Grundrechte (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht einmal erwähnt, geschweige denn geprüft. Das Bundesverfassungsgericht zieht sich auf formale Begründungen wie den Zeitfaktor und Horrorszenarien des RKI zurück.
Angebliche Güterabwägung
Man stoppe die Ausgangssperren deshalb nicht, weil sich nicht einschätzen lasse, welche negativen Folgen die schwebende Unwirksamkeit der Bundesnotbremse auf die Volksgesundheit haben könnte. Das Gericht wolle nicht für steigende Inzidenzwerte und mehr Coronatote verantwortlich gemacht werden können, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass das Gesetz doch verfassungskonform sei.
Außerdem handele es sich ja ohnehin nur um Freiheitsbeschränkungen, die für ein paar Wochen oder Monate in Geltung seien. Da wolle man jetzt nicht päpstlicher als der Papst sein und sich die Mühe machen, für einen so kurzen Zeitraum auf bloßen Verdacht fehlender Verfassungskonformität ein Urteil fällen, dass der Bundesregierung Ungemach bereiten und vor allem Leben kosten könne.
Ausgangssperre wissenschaftlich umstritten! Na und?
Zwar – so die Richter in ihrer Urteilsbegründung – sei die Wirkung von Ausgangssperren auf eine Verbesserung der Volksgesundheit in der Pandemie umstritten. Dieser Umstand beweise aber keine „offensichtliche Unangemessenheit solcher Ausgangsbeschränkungen“. Zwar greife „die nächtliche Ausgangsbeschränkung tief in die Lebensverhältnisse ein“, aber sie habe „keine ganz erhebliche quantitative Bedeutung“ mit Blick auf Aktivitäten außerhalb der eigenen Wohnung.
Soll heißen: nachts bleiben ohnehin die meisten Bürger zu Hause. Den wenigen, die das für gewöhnlich nicht tun, darf die Bundesregierung gern die Grundrechte entziehen. Es hat also nach Auffassung des Gerichts nicht mehr das Individuum als Solches Grundrechte, sondern diese erwachsen erst ab dem Erreichen einer bestimmten Quantität an Bundesbürgern.
Möglichkeit wichtiger als Wahrscheinlichkeit
Ich kann mich nicht erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht vor dem heutigen Tag jemals ein derartig ideologiebehaftetes und kaum faktenbasiertes Urteil getroffen hat, dass sich primär nicht mit der Frage der Verfassungskonformität beschäftigte, sondern hauptsächlich mit möglichen negativen Folgen, die eintreten könnten, wenn die Verfassungskonformität als nicht gegeben eingestuft würde.
Dabei wird ein möglicher fiktiver Schaden auf die Zukunft hin (steigende Inzidenz und mehr Coronatote) in der Güterabwägung über eine tatsächliche Beschneidung der Grundrechte gestellt. Dieses Urteil könnte als Präzedenzfall in die deutsche Rechtsgeschichte eingehen und in Zukunft häufiger Anwendung finden. So z. B. bei zu erwartenden Grundrechtseinschränkungen im Kampf gegen die sogenannte „Klimawandel-Pandemie“.