“Herzog: Gesellschaft steht vor ‘Kollaps'” und andere Nachrichten aus Jerusalem

Israels Staatspräsident Isaac Herzog hat am Sonntag Regierung und Opposition aufgerufen, im Streit um die Justizreform einen Kompromiss zu finden. In einer emotionalen Rede an die Nation warnte Herzog, Israel stünde vor einem „gesellschaftlichen Kollaps“ und vor einem „gewaltsamen Zusammenstoß“. Er forderte Bürger auf beiden Seiten der Debatte auf, Ruhe zu bewahren. „Das Pulverfass ist kurz davor zu explodieren und Brüder sind dabei, ihre Hände gegen Brüder zu erheben.“ Er sei tief besorgt über die Art der Reformen, da sie „die demokratischen Grundlagen“ Israels gefährden könnten. Grundsätzlich jedoch seien Wandel und Reformen legitime Anliegen und eine größere Vielfalt in der Justiz, auch am Obersten Gerichtshof, könnte notwendig sein, wandte Herzog ein. Das politisch konservative Lager in Israel habe das Gefühl, „dass sich ein Ungleichgewicht zwischen den Regierungszweigen entwickelt hat und dass im Laufe der Jahre Grenzen überschritten worden sind“. Er warnte aber vor einer Schwächung der Justiz. „Israels Gerichte und Richter schützen die israelische Gesellschaft und den Staat vor Verbrechen, vor externen [juristischen] Angriffen gegen israelische Soldaten, vor dem Verlust der Grundlagen von Recht, Gesetz und Moral und auch vor der Missachtung der Rechte des Einzelnen.“ Herzog schlug einen Fünf-Punkte-Plan als Grundlage für eine Kompromissfindung vor.

Knesset-Ausschuss bringt Reformen auf den Weg
Am Montag boten Jariv Levin (Likud), Israels Justizminister, und Simcha Rothman (Religiöse Zionisten), Vorsitzender des Justiz-Ausschusses der Knesset, der Opposition Gespräche „ohne Vorbedingungen“ an. Oppositionspolitiker lehnten dies ab, solange die Gesetzgebungsverfahren nicht pausiert würden. In den Stunden zuvor hatte der Justizausschuss unter dem Vorsitz Rothmans die ersten Gesetzesentwürfe der Justizreform gebilligt. Sie können nun der Knesset zur ersten Abstimmung vorgelegt werden. Bis sie in Kraft treten, müssen sie insgesamt drei Lesungen durchlaufen. Levin und Rothman gelten als Architekten der geplanten Reformen. Beide sagten am Montag, Gespräche könnten auch während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens stattfinden.

Anschläge in Jerusalem: Polizist, zwei Kinder getötet

Twitter, Asher Menahem Paley (7) und Yaakov Yisrael Paley (5), Opfer des Anschlags vom Freitag

Ein israelischer Grenzpolizist ist am Montag in Zusammenhang mit einem Terroranschlag in Jerusalem getötet worden. Asil Sawaed (22), ein Beduine aus Nordisrael, wurde bei der Sicherheitsüberprüfung eines Busses von einem 13-jährigen Palästinenser aus dem Schuafat-Flüchtlingslager mit einem Messer angegriffen und verletzt. Ein ziviler Sicherheitsmann schoss auf den Angreifer, traf jedoch den Polizisten, der später seinen Verletzungen erlag. Wenige Stunden zuvor hatte in der Jerusalemer Altstadt ein 14-jähriger Palästinenser einen 17-jährigen Israeli mit einem Messer angegriffen und leicht verletzt. Am Freitag waren bei einem Terroranschlag im Norden Jerusalems drei Menschen getötet worden, darunter zwei Kinder. Ein arabischer Israeli (31) aus dem Ostjerusalemer Stadtteil Issawiya war an einer Bushaltestelle nahe des Samuelsgrabs mit seinem Auto in eine Gruppe Wartender gefahren. Ein fünfjähriger Junge starb noch am Anschlagsort, sein siebenjähriger Bruder erlag am Folgetag seinen Verletzungen.

Der Vater (42) der beiden Jungen wurde schwer verletzt und schwebt weiterhin in Lebensgefahr, ihr älterer Bruder erlitt leichte Verletzungen. Ein weiteres Todesopfer war ein 20-jähriger Mann, der mit seiner Frau auf dem Weg zu einer Schabbatfeier war. Zwei weitere junge Männer wurden schwer verletzt. Der Terrorist wurde von einem Polizisten erschossen. Auf seiner Facebook-Seite wurden nach dem Anschlag mehrere Beiträge gefunden, in denen er Terroranschläge gegen Israelis lobte und Terroristen als „reine Seelen“ feierte. Israelischen Angaben zufolge soll er psychisch krank gewesen und erst wenige Tage vor dem Anschlag aus einer Klinik in Nordisrael entlassen worden sein.

Foto: Unsplash, Fahne Israels, Symbolbild

Mehr als ein Drittel der jüdischen Israelis fürchtet, dass der Streit um die geplante Justizreform zu einem Bürgerkrieg führen könnte. Das ergab eine Umfrage unter 600 jüdischen Israelis, deren Ergebnisse vergangene Woche vom Jewish People Policy Institute (JPPI) veröffentlicht wurden. Demnach halten 60% der Befragten es für „sehr wahrscheinlich“ bzw. „sicher“, dass der Widerstand gegen die Justizreform zu Gewalt in irgendeiner Form führen wird, 35% fürchten einen Bürgerkrieg. Menschen aller politischen Lager und Altersgruppen teilen die Sorge gleichermaßen. „Diese Zahlen wirken unrealistisch, aber wir haben es mehrmals überprüft und Israelis sind nicht der Ansicht, dass die Gefahr von Gewaltausbrüchen nur politische Rhetorik ist, sie sind tatsächlich besorgt“, erklärte JPPI-Vorsitzender Jedidia Stern. In einer ähnlichen Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts (IDI) Anfang Februar hielten nur 31% der Befragten Gewalt für wahrscheinlich.

Das JPPI stellte außerdem fest, dass 84% der jüdischen Israelis der Ansicht sind, das Justizsystem müsse generell reformiert werden, jedoch nur 22% allen von der Regierung geplanten Änderungen zustimmen. Dennoch befürworten 41%, dass die Regierung größere Befugnis über die Justiz erhalten sollte.

GPO/Kobi Gideon, Jossi Cohen (Ausschnitt), Archivbild ICEJ)

Mehrere ehemalige nationale Sicherheitsberater der israelischen Regierung haben vergangene Woche gewarnt, der andauernde Streit um die Justizreform stelle eine Gefahr für Israels Sicherheit dar. In einem Brief an Knesset-Sprecher Amir Ochana (Likud) erklärten sie, der jüdische Staat habe Dank der „nationalen Widerstandskraft der israelischen Gesellschaft“ schon manche Bedrohung von außen überstanden, doch der aktuelle „gesellschaftliche und politische Konflikt“ hätte eine „tiefe Spaltung“ offengelegt. „Das Gefühl der Krise wächst, weil es keine ernsthaften Bemühungen gibt, sich zu einigen.“ Sie forderten Regierung und Opposition auf, einen Kompromiss zu erarbeiten. „Nur indem vereinbarte Rahmenbedingungen geschaffen werden, kann die nationale Widerstandskraft gestärkt werden. Dies ist es, was ein starkes und blühendes Land ausmacht.“ Zu den Unterzeichnern gehörte auch Jossi Cohen, ehemaliger Mossad-Chef und enger Vertrauter Netanjahus.

Kontroverses „Klagemauer-Gesetz“ gestoppt

Unsplash, Vorplatz der Klagemauer, Symbolbild

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat vergangene Woche einen Gesetzesentwurf, der Verstöße gegen orthodox-jüdische Traditionen an der Klagemauer strafbar machen würde, gestoppt. Der von der sephardisch-ultraorthodoxen Schas-Partei eingebrachte Entwurf sieht u.a. vor, dass Besucher der Klagemauer, die unangemessen gekleidet sind, unerlaubt singen oder am Schabbat ein elektronisches Gerät benutzen, sowie Frauen, die an der Klagemauer aus der Thora vorlesen, in ein Schofar-Horn blasen oder einen Gebetsschal tragen, mit einer Geldstrafe von 10.000 Schekel (rund 2.650 Euro) oder einer sechsmonatigen Haftstrafe bestraft würden. Außerdem würde der südlich der Klagemauer gelegene egalitäre Gebetsbereich, der nicht-orthodoxen jüdischen Strömungen zur Verfügung steht, geschlossen werden. Der Gesetzesentwurf hatte unter Juden in Israel und weltweit Empörung ausgelöst.

„Das bedeutet eines: die Klagemauer würde fortan nicht mehr allen [Juden] gehören“, warnte Oppositionsführer Jair Lapid. Auch die auflagenstärkste ultraorthodoxe Zeitung Israels, Kikar HaShabbat, meldete sich zu Wort und warf den ultraorthodoxen Parteien „Arroganz“ vor. Die Redaktionsleitung erklärte, der Gesetzesentwurf würde das jüdische Volk weiter spalten und werde von der Mehrheit der ultraorthodoxen Israelis, die ein „ruhiges und heiliges Leben“ führen wollten, nicht unterstützt. In einer Videobotschaft erklärte Netanjahu, der „Status quo an der Klagemauer, die allen Juden kostbar ist, bleibt genauso wie er heute ist.“ Die Schas-Partei hat sich inzwischen von ihrem eigenen Vorhaben distanziert und erklärt, die Klauseln zu Geld- und Haftstrafen gingen auf einen älteren Gesetzesentwurf zurück und seien irrtümlicherweise in den aktuellen Entwurf gelangt.

 

(Quelle Beitragsbild ganz oben: Pixabay, Knesset-Gebäude in Jerusalem, Symbolbild)

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