Buchbesprechung: Michael Wolffsohn: Friedenskanzler?

  • von Roland M. Horn

Friedenskanzler?
Willy Brandt zwischen Krieg und Terror
dtv Verlagsgesellschaft mbh & co, München 2018
ISBN: ‎978-3423289924
Preis: EUR 18,00
Gebunden, 175 Seiten, Personenregister
Mit Beiträgen von Thomas Brechenmacher, Lisa Wreschniok und Till Rüger

Dieses Buch setzt dem Mythos von Willy Brandt als Friedenstifter ein Ende, auch wenn der Autor hier und da ein vielleicht zu freundliches Wort für Brandt übrig hat, und entlarvt seinen historischen Kniefall in Warschau als ein taktisches Manöver. Penibel ziert Wolffsohn aus israelischen und deutschen Dokumenten, die seinem Buch zugrunde liegen.

Der Grund von Brands Israel-feindlicher Politik hat mit seiner Ostpolitik zu tun. Der kommunistische Block hinter dem „Eisernen Vorhang, dem er näherkommen wollte, hielt im Nahostkonflikt einseitig zu den Arabern und lehnte das „Existenzrecht“ Israels strikt ab. Nun, letzteres erkannte Brandt schon an, doch auch er kam den Arabern einschließlich den palästinensischen Terroristen unverständlich weit entgegen und gefährdete letztlich sogar die Existenz Israels, was sicher nicht seine Absicht war, doch er trägt zweifelsohne eine Mitschuld am Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges im Jahr 1973, in dem es anfangs sehr schlecht für den jüdischen Staat und seine Existenz aussah.

Neben dem Jom-Kippur-Krieg thematisiert Wolfssohn das Attentat auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 und Brandts Rolle dabei sowie dessen Verhalten bei einer darauffolgenden Flugzeugentführung.

Der Autor erinnert daran, dass die Terroristen am 5. September 1972 vollkommen ungehindert ins olympische Dorf eindringen konnten. Dazu muss man zunächst aber sagen, dass neben Deutschland auch Israel keine besonderen Schutzmaßnahmen vorschlug. Wolffsohn berichtet, dass neben den arabischen Terroristen auch Links- und Rechtsterroristen an dem Massaker   beteiligt waren, bei dem zwei Sportler ermordet und neun weitere als Geiseln genommen wurden, die bei einem erfolglosen Befreiungsversuch neben einem deutschen Polizisten getötet wurden.

Die damalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir erklärte klipp und klar, dass über eine von den Geiselnehmern geforderte Freilassung von 236 palästinensischen und einem japanischen Terrorosten, als Gegenzug zur Freilassung der als Geiseln genommenen Sportler, durch Israel nicht in Frage käme. Eine weitere Forderung war die Freilassung der deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof.

Der deutsche Krisenstab erklärte sich nur widerwillig und auf israelischen Druck zur Einsetzung von Gewalt bereit und so kam es zum gescheiterten Befreiungsversuch – nicht zuletzt aufgrund von Fehlleistungen. Alle israelischen Geiseln wurden dabei getötet, sowie fünf Terroristen. Drei wurden verletzt.

Zur Aufforderung, Deutschlands Verhältnis zu Israel und der arabischen Welt zu prüfen, sagte der – ebenfalls antiisraelisch (wenn nicht noch anti-israelischer als Brandt) eingestellte – damalige deutsche Außenmister Walter Scheel wortwörtlich lakonisch: „Das Leben geht weiter“.  Brandt dagegen bekundete wenigstens sein „tiefes Mitgefühl“. Die drei inhaftierten (beim Befreiungsversuch verletzten) Terroristen – wurden letztlich freigelassen, was Brandt zuzuschreiben ist. Dem ging eine Flugzeugentführung voran, bei dem wiederum Geiseln genommen wurden und die Freilassung dieser Terroristen gefordert wurde. Wolffsohn enthüllt, dass für diese drei Terroristen bereits drei Wochen vor der Flugzeugentführung Ausreiseverfügungen vorbereitet waren und fragt sich mit Recht, warum. Der Autor zeigt weitere äußerst brisante Kuriositäten über die Rolle Brandts und der BRD-Regierung an dieser Geschichte auf und deutet an, dass die Freipressung geplant und vorbereitet gewesen sein könnte Zuvor hatte Golda Meir gefordert, dass diese Terroristen zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Sie zeigte sich erschüttert über die Freilassung der Terroristen.

Eine andere Politik gegenüber dem Terrorismus kam erst unter der Regie von Brandts Nachfolger Helmut Schmidt zustande, dem Befreiungsversuche gelangen. Man sollte aber nicht meinen, dass die BRD jetzt endlich einen Israel wohlgesonneneren  Kanzler hatte. Nein, Schmidt bezeichnete Israel als die „größte Gefahr für den Weltfrieden“.

Als 1973 der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, war jedoch Brandt noch Bundeskanzler. Im Vorfeld dieses Kriegs erfuhr er vom damaligen Präsidenten der heute nicht mehr bestehenden Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens, Tito, die Nachricht, dass es fünf vor zwölf sei und die Ägypter bereit seien, Israel zu vernichten. Brandt sprach im Mai mit dem amerikanischen Präsidenten Nixon und berichtete ihm von Titos Hinweis auf Kriegsvorbereitungen seitens Ägyptens, doch der hielt sich bedeckt. Israel schätzte die Lage fälschlicherweise als nicht bedrohlich ein, glaubte nicht, „dass die Lage im Nahen Osten gefährlich sei.“

Im Juni besuchte Brandt Israel. Der Kanzler empfahl Meir die UNO „als besonders geeigneten Rahmen“ für Friedensbemühungen. Dies stieß bei Meir auf taube Ohren, da bekannt war – und auch Brandt hätte das wissen müssen – dass man – wie Wolffsohn mit Recht sagt – Israels Wertschätzung in der UNO „nur in Negativgrößen ausdrücken“ könne. Vollkommen zu Recht äußerte Meir, dass Israel immer allein dastünde und es selbst mit der USA Enttäuschungen erlebt hätte. Sie betonte, dass Ägypten und Syrien Israel zerstören wollten. Zu einem Frieden mit Ägypten wäre Meir bereit gewesen. Wolffsohn entnimmt israelischen Akten die Information, dass Meir Brandt um aktive Vermittlung in Kairo bat. Aus den freigegebenen deutschen Akten geht diese Information freilich nicht hervor. Meir war bereit  Gebietskonzessionen bereit. Brand verpflichtete sich zu nichts und schwieg offenbar, nachdem Meir ihr Anliegen kundgetan hatte.

Brandt redete Ende Juni mit befreundeten Staatsmännern aus den USA, Frankreich und der Sowjetunion und erwähnte zwar seine „positiven Eindrücke“, die er in Israel gewonnen hätte, schwieg jedoch über die gebietspolitische Nachgiebigkeit Meirs. Danach informierte Brand Meir, dass „in naher Zukunft“ eine „hochstehende Persönlichkeit in Kairo eine Mitteilung übergeben“ würde.

Als vier Monate später Ägypten und Syrien Israel angriffen, hatte Brandt den „Trumpf für den Frieden in der Hand gehabt“, schreibt Wolffsohn. Es habe ihn dadurch verspielt, dass er einerseits die Großmächte (und von ihnen Frankreich, jedoch nicht Großbritannien) „eher nebenbei zu aktivieren versuchte“. Auf der anderen hatte Brandt genau das getan, was Meir nicht wollte: Er hatte die Großmächte ins Spiel gebracht. „Soll man das als Sabotage, Gedankenlosigkeit, Fahrlässigkeit, Unfähigkeit bezeichnen?“, fragt Wolffsohn wohl eher rhetorisch.

Meir hoffte auf Brandts Unterstützung bei Verhandlungen über ein neues, für Israel günstigeres Abkommen mit der Europäischen Gemeinschaft, doch der reagierte nach Rücksprache mit Scheel äußerst kühl, in dem er verlauten ließ, dass man im Herbst der Angelegenheit im Einzelnen besprechen werde und er hoffe, dass dann eine „im Rahmen unserer Möglichkeiten liegende Lösung gefunden“ werden könne. Das war – wie Wolffsohn zweifellos richtig erkennt – eine, vielleicht sogar die letzte, Möglichkeit, den Krieg zu verhindern.

Israel wurde am 25. Oktober am Jom-Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, was (in diesem Fall ironischer Weise) „Versöhnungsfest“ bedeutet“, völlig überraschend angegriffen und stand eine Woche lang mit dem Rücken zur Wand. Die Zahl der Todesopfer infolge des Krieges in dieser Woche war enorm. Jetzt – nach einer Woche („Warum erst jetzt?“ fragt Wolffsohn vollkommen zurecht) – nachdem die Sowjetunion begonnen hatte, Ägypten und Syrien mit militärischem Nachschub zu versorgen, reagierte Nixon und baute eine massive Luft- und Seebrücke auf, brachte überlebenswichtiges Kriegsmaterial nach Israel und das Blatt wendet sich nun. Als Israel schließlich in der Offensive war, zeigte sich Scheel besorgt darüber, wie man den Arabern erklären könne, dass man den Schiffen ihres Kriegsgegners für Waffenlieferungen Einlass in deutsche Häfen gäben könnte? Dies führte zu einem handfesten Streit zwischen der USA und Deutschland. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Paul Frank, verlangte das Ende der US-Waffenlieferung unter Benutzung des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland. Und was tat Brandt: Der weilte im Urlaub an der französischen Riviera!

Nach der Lektüre dieses Buches ergibt sich folgendes Bild: Brandt war mit Sicherheit kein Friedenskanzler und auch dem Terrorismus stand er nachgiebig gegenüber, wobei die Gerüchte über „Mauschelei“ zwischen ihm und den arabischen Terroristen wohl nicht ganz unbegründet sein dürften. Im Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg gibt er ein jämmerliches Bild ab und erscheint eher schwach. Man muss zu der Erkenntnis kommen, dass er am Ausbruch des Krieges eine gewisse Mitschuld hat, muss jedoch auch sehen, dass es stärkere anti-israelische Elemente in der Brandt-Regierung gab als er selbst, wie z. B. Scheel und Frank, um nur zwei zu nennen. Auch die USA spielten nicht immer eine glückliche Rolle, beim Olympia-Attentat spielte sogar die CSU unter dem sonst so gern auf Konfrontation zur Regierung gehenden Franz-Josef Strauß brav das Spiel der Brandt-Regierung mit und wenn wir insbesondere die Rolle der Sowjetunion, ihrer Verbündeten und der arabischen Staaten sehen, kommt man unweigerlich zu der Erkenntnis, dass der Spruch „Israel ist der Jude unter den Völkern“ (bedauerlicherweise) absolut richtig ist!

Dieses Buch ist ein wahrer Augenöffner!

Erhältlich u. a.

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