Dies ist die erste Leseprobe aus meinem neuen Merkel-Buch, das sie ab jetzt im Verlag bei Achgut erwerben können.
Als Ex-Kanzlerin Angela Merkel am 17. Juli 2024 70 Jahre alt wurde, hat das kaum einer bemerkt. Die Innenministerin der Ampelregierung Nancy Faeser hatte das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer verboten. Das dominierte die Schlagzeilen. Zwar erschienen in einigen Zeitungen, wie der Süddeutschen, die Merkel prominent ihre Seite Drei widmete, mehr oder weniger lange Artikel, die aber auch mehr oder weniger unbeachtet blieben. Bei ihrem Abgang hatten viele Journalisten noch Tränen vergossen und behauptet, man würde Merkel schmerzlich vermissen. Dies war allerdings nicht der Fall. Das lag weniger daran, dass die Ex-Kanzlerin nur noch selten in der Öffentlichkeit auftrat, sondern vor allem daran, dass es kein einziges positives Projekt gibt, das mit ihrer Kanzlerschaft verbunden wäre.
Die Süddeutsche stellte die Frage, ob Merkel eine große oder nur eine halbgroße Kanzlerin gewesen sei, und präsentierte gleichzeitig eine lange und nicht vollständige Liste ihrer Fehlentscheidungen. Was der Autor der Süddeutschen aber nicht einmal zu denken wagte, ist das Folgende: Sie war die schlechteste Kanzlerin seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Sie war die Kanzlerin der Zerstörung des Erfolgsmodells Bundesrepublik Deutschland. Während ihrer vier Regierungen wurden die Weichen für die Demontage des Rechtsstaates, des Grundgesetzes, der Wirtschaft und der Gesellschaft gestellt. Keiner hat das besser gewusst als sie selbst. Sie ist deshalb nicht wieder zur Wahl angetreten, damit nicht ihr, sondern ihrer Nachfolgeregierung die Schuld an dem sich abzeichnen den Desaster gegeben wird.
Allerdings bemüht sich die Ampel redlich, das Erbe Merkels zur vollen Wirkung kommen zu lassen. Während das ehemalige Erfolgsmodell Bundesrepublik Deutschland mit jedem Tag und wachsender Geschwindigkeit zerstört wird, hat Merkel unbeirrt den Kampf um ihr Bild in der Geschichte aufgenommen. Ihre vorläufig letzte Inszenierung ist ihre Autobiografie mit dem Titel „Freiheit“. Auf dem Werbebanner für das Buch, das in mehreren Dutzend Ländern erscheint, präsentiert sich die Ex Kanzlerin im schicken AfD-Blau. Wer immer ihr dazu geraten hat, lag nicht falsch. Wenn es ein bleibendes Merkmal ihrer Kanzlerschaft gibt, dann ist es die Partei „Alternative für Deutschland“, AfD. Der gewünschte Mythos der „Freiheitskanzlerin“ wird allerdings keinen Bestand haben.
Am 2. Dezember 2021 wurde die Kanzlerin mit dem „Großen Zapfenstreich“ der Bundeswehr verabschiedet. Merkel saß einsam und allein neben ihrer damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und versuchte vergeblich, mit der Auswahl ihrer Musikstücke ihr zukünftiges Bild in Umrissen zu entwerfen. Als Leitmotiv für ihren Ab schied wählte Merkel Nina Hagens 1974er Osthit: „Du hast den Farbfilm vergessen“ Aber: Ein Farbfilm würde ihre Bilanz auch nicht retten.
Die Musikauswahl der Ex-Kanzlerin war – wie viele ihrer symbolischen Handlungen, die meist missverstanden wurden – durchaus beachtlich. Ich konzentriere mich dabei auf die wichtigste Entscheidung und lasse Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ und das traditionelle Kirchenlied beiseite: „Du hast den Farbfilm vergessen“ ist ein cooler, schmissiger Song, ein ostdeutscher Ohrwurm, den die damals 19-jährige Nina Hagen umwerfend darbot. Man kann ihren Auftritt bei „Ein Kessel Buntes“, der erfolgreichsten Unterhaltungssendung des DDR-Fernsehens, noch heute im Internet bewundern. Merkel und Nina Hagen sind fast der gleiche Jahrgang: Ich bin mir sicher, dass Angela Merkel auch besondere persönliche Erinnerungen mit dem Lied verbindet – und die haben einen Pferdefuß. Schon zwei Jahre nach der Premiere des Ohrwurms verließ Nina Hagen im Zuge der Biermann-Affäre die DDR. Sie folgte ihrer Mutter Eva-Maria Hagen – die ehemalige, viel besungene Geliebte von Biermann – und machte im Westen Karriere außerhalb des süßlichen Schlagerbetriebs. Nach ihrem Weggang wurde der Hit in der DDR kaum noch gespielt und erlebte seine Renaissance erst nach dem Mauerfall. Er ist einer der ganz großen Hits diverser Ostalgie- und Erinnerungswellen.
(Anm. RMH: Das Buch ist auch bei Kopp erhältlich.)