Das Heilige Land „in Naturfarben“: Deutsche Postkarten aus dem Jahr 1932

Weniger als ein Jahr, bevor die Nazis an die Macht kamen, wurde in München eine Postkartensammlung der heiligen Stätten und der sich entwickelnden jüdischen Siedlung im Land Israel veröffentlicht…

Neben den tausenden Büchern, die ihren jedes Jahr ihren Weg in die Nationalbibliothek Israels finden, gibt es auch hunderte anderer historischer Gegenstände, die den Sammlungen jährlich hinzugefügt werden: Fotoalben, Poster, Briefe und hin und wieder der gelegentliche, rätselhafte Karton.

Ein solcher Karton wurde von Chana und Yoram Harel gespendet. Auf seinem Decke steht eine Beschreibung in Deutsch, die einen ersten Hinweis auf seinen Inhalt liefert: Das Heilige Land: 126 Ansichten in Naturfarbenphotographie. Preiss & Co., München.

Als wir den Karton öffneten, beinhaltete er, was wir erwarteten – mehrere Dutzend Postkarten von Landschaftsmotiven des Heiligen Landes, zwei Landkarten Palästinas (Nord und Süd), einen Karte Jerusalems und ein Heft auf Deutsch. Ein genauerer Blick auf die Postkarten enthüllte, dass diese unter Nutzung der Photochrom-Technik erstellt wurden.

Ein junger Beduine

Landschaften des Heiligen Landes

1880 entwickelte eine schweizerische Druckerei namens „Orell Füssli“ einen Technik zur Erstellung von Farbbildern. Diese Methode wurde als Photochrom-Technik bekannt. Lange vor der Entwicklung von analoger Farbfotografie, die die Originalfarben der fotografierten Motive einer Rolle Film einfängt, ermöglichte die Photochrom-Technik Farbdrucke eines Schwarzweiß-Fotos. Orell Füsslis Erfindung war die Verwendung der Jahrhunderte alten Technik der Lithografie, um diese Farbabzüge zu erstellen.

Ironischerweise verhalf die Photochrom-Technik das Aufkommen eines seltsamen Sachverhalts: Im Fall, dass die Koloristen keine genauen Anweisungen zu den Originalfarben des Bildes hatten, das sie drucken sollten, hatten sie keine andere Wahl als ihre Fantasie und gesunden Menschenverstand zu nutzen.

Das war bei vielen Photochrom-Alben der Fall, bei denen die Beziehung zwischen den tatsächlichen Farben des fotografierten Motivs und den später künstlich hinzugefügten Farben oft rein zufällig waren. Bei den hier vorliegenden Postkarten hingegen scheint es so, dass die Firma „Uvachrom“, die sie veröffentlichte, alles unternahm, um der Realität so nahe wie möglich zu kommen.

Das Begleitheft zu den Postkarten liefert den nötigen Hintergrund. Die 126 Fotos der Sammlung wurden bei einer „Reise ins Heilige Land im Frühjahr 1931“ aufgenommen, ein Jahr vor dem Druck der Postkarten in München. Die Titelseite des Heftes verweist auf einen „Hohen Hirten“, der dem Projekt seine Genehmigung erteilte. Es scheint so, dass diese Postkarten-Sammlung für ein deutsch-katholisches Publikum erstellt wurde, gedruckt mit der Genehmigung eines ranghohen Bischofs, möglicherweise des Papstes selbst.

Das Heilige Land: 126 Ansichten in Naturfarbenphotographie. Preiss & Co., München

Aber lassen Sie sich von dieser Tatsache nicht irreführen. Trotz der vielen Bilder christlicher heiliger Stätten (darunter natürlich die Dormitions-Kirche, die nach dem Besuch Kaiser Wilhelms II. im Heiligen Land gebaut wurde) zeigen viele andere den Fortschritt des zionistischen Vorhabens im Land Israel. Es gibt z.B. Bilder der Hebräischen Universität, die Nationalbibliothek an ihrem früheren Standort auf dem Scopus-Berg, des Grabs von Rabbi Meir in Tiberias und des von Pinchas Rutenberg gebauten Kraftwerks.

Das Grab von Rabbi Meir in Tiberias

Achtzig der ursprünglichen 126 Postkarten in der Sammlung verbleiben in ihrem Originalkarton. Der Rest wurde vermutlich von den Eigentümern der Sammlung an Freunde und Familie verschickt. Das führt uns zur offensichtlichen Frage: Wer waren die Zielgruppe einer solchen Sammlung? Wir kennen zwar nicht die Identität des ursprünglichen Eigentümers der Sammlung, aber das Begleitheft macht deutlich, für wen sie bestimmt war. Die Sammlung wird beschrieben als „kostbares Souvenir für jeden, der glücklich genug ist das Land mit eigenen Augen zu sehen, was allen anderen einen anschaulichen Anblick seiner Schönheit bietet.“

Das 67 Seiten starke Heft beinhaltet detaillierte Informationen über das Heilige Land: allgemeine topografische Informationen, eine Erklärung der ständigen Wasserknappheit, eine Geschichte des Zionismus und der hebräischen Sprache, einer tiefgehenden Diskussion Jerusalems einschließlich Informationen zum Tempelberg und der Westmauer, dazu Details der verschiedenen Stationen im Leben Jesu in Jerusalem und dem Land Israel. Das Heft schließt mit einer Zeichnung des Tempelbergplatzes.

Das Veröffentlichungsdatum der Sammlung ist von besonderer historischer Bedeutung. Sie wurde 1932 in München veröffentlicht; weniger als ein Jahr später, am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler als Kanzler Deutschlands vereidigt.

Die Synagoge Yohanan Ben Zakai in Jerusalem
Das jüdische Viertel in Jerusalems Altstadt. Die Kuppeln der Synagogen Hurva und Tiferet Yisrael sind beide zu sehen.
Kinder in Jerusalem genießen lokal gezogene Orangen
Das Grab von Rabbi Akiva
Das Rachel-Grab
Dieses Gebäude auf dem Scopus-Berg beherbergt die Jüdische National- und Universitätsbibliothek, heute die Nationalbibliothek Israels
Ein Blick von der Hebräischen Universität auf dem Scopus-Berg

 

Die Kuppel des Felsendoms

Zur Vorbereitung dieses Artikels hat Dr. Stephen Litt, Kurator der Geisteswissenschaftlichen Sammlung der Nationalbibliothek beigetragen.

 

(Zum Beitragsbild oben: Das Jaffa-Tor)

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