Die Zuschauer machten sie zum Star.
Hätten Sie die Berichterstattung der Medien zum Eurovision Song Contest vor dem Finale am Samstag gelesen, dann hätte man Ihnen dafür vergeben können gedacht zu haben, Europa befinde sich am Rande einer Revolte – nicht wegen der Musik, sondern weil Israel erlaubt wurde anzutreten.
Tage lang brachten die großen Medien tröpfchenweise einen Strom an Artikeln, sie sich weniger auf die Musik und mehr auf die „spalterische Wirkung“ des israelischen Beitrags konzentrierten. Der Wettbewerb fand im schweizerischen Basel statt – aufgrund der Tradition, dass der Vorjahressieger Gastgeber der nächsten Veranstaltung ist. Aber statt Berichterstattung über Kostüme, Bühnenshow oder Lied-Vorhersagen schoss sich ein Großteil der Presse auf Israel ein.
Nehmen wir z.B. Associated Press, die am 16. Mai einen Artikel veröffentlichten, Schlagzeile: „Israels Anwesenheit trübt den ESC ein Jahr nach den großen Protesten wegen des Kriegs im Gazastreifen immer noch.“ Der Artikel beschrieb detailliert einen Protest in Basel am Abend vor dem Finale – an dem 200 Personen teilnahmen, „viele in Palästinenserflaggen gehüllt“; sie forderten Israels Ausschluss aus dem Wettbewerb.
Das waren 200 Leute. In einer Stadt, die Gastgeber einer Veranstaltung mit 160 Millionen Zuschauern war.
Aber über die Entscheidung von AP hinaus einen ganzen Artikel einem relativ kleinen Protest zu widmen, ist das darin nicht gesagte das, was auffällt. Der Artikel beschreibt feierlich Demonstranten, „die schweigend eine laute Straße mit Musik und ESC-Feiern“ entlangmarschieren – was der Szene eine stille Würde verleihen soll – lässt aber aus, dass nur ein paar Tage zuvor Demonstranten in derselben Stadt gefilmt wurden, die Morddrohungen brüllten und ein Mann wurde erwischt, wie de reine Geste machte, wie er Yuval Raphael die Kehle durchschneidet.
Der Artikel zählt auch die Themen der Demonstranten auf: „Russland wurde nach dem Einmarsch in die Ukraine ausgeschlossen, warum also nicht Israel?“ Eine verantwortungsvoller Journalist hätte ein klein wenig Schlüsselkontext hinzugefügt: Der ESC ist ein Wettbewerb zwischen Sendern und Russlands Staatssender wurde disqualifiziert, weil er gegen die Wettbewerbsregeln verstieß. Israel hingegen wurde am 7. Oktober von der Hamas angegriffen und sein Sender KANN wurde nicht beschuldigt irgendetwas falsch gemacht zu haben.
NBC News legte einen noch dramatischeren Ton an den Tag; die Schlagzeile lautete: „Vereint durch Musik, gespalten aufgrund von Israel: ESC-Spannungsblase in der bekanntlich neutralen Schweiz.“ Den Lesern wird erzählt, dass Proteste wegen Israels Teilnahme einen „fiebernden Höhepunkt“ erreicht hätten und dass „Basel und Europa insgesamt alles andere als vereint sind“.
Ein fiebernder Höhepunkt? Ein gesamter Kontinent gespalten? Mehr als 200 Leute mit Flaggen – und wenige mehr als Morddrohungen gegen eine 24-jährige Frau?
AFP fiel mit einer Schlagzeile vom 11. Mai in den Chor ein: „Parade, Proteste zum Auftakt der ESC-Woche.“ Aber selbst dieser Artikel eröffnete mit einer widersprüchlichen Aussage: „Die schweizerische Stadt ist Gastgeber der 69. Ausgabe der weltgrößten jährlichen, live übertragenen Musikveranstaltung, die etwa 160 Millionen Zuschauer erreicht.“
Mit anderen Worten: massives globales Interesse. Und doch sollen wir glauben, die Veranstaltung sei von einem Protest überschattet, der kaum einen Marktplatz füllen konnte.
CNN demonstrierte derweil, wie abgehoben von der öffentlichen Stimmung es ist; dazu diente ein Artikel mit dem Titel: „Die Guten, die Schlechten und die Anzüglichen: Alle 26 ESC-Songs, vom schlechtesten bis zum ersten.“ Der Artikel setzte Yuval Raphaels „New Day Will Rise“ auf einen abschätzigen 20. von 26 Plätzen, beschrieb ihn als den zweiten israelischen Beitrag nacheinander, der „implizit auf die Angriffe der Hamas anspielt“; fügte aber hinzu, dass „auf er auf musikalischem Niveau schwächer als der Durchschnitt sei“.
Man muss sich fragen: Würde CNN den künstlerischen Ausdruck eines Überlebenden irgendeines anderen Massakers auch so salopp kritisieren? Und abgesehen von der geschmacklosen Darstellung – was das schlicht falsch. Die öffentliche Abstimmung erzählt etwas völlig anderes.
Die britischen Medien leisteten ebenfalls ihre Anteil. Am 10. Mai meldete die BBC: „Israel auf dem Weg ins ESC-Finale, trotz Protesten“ – eine Schlagzeile, die suggerieren sollte, dass Raphael unter einem Sturm der Empörung so gerade eben durchgekommen sei.
Derweil behauptete der Independent vage, wegen Israels Aufführung seien „Spannungen“ ausgebrochen, ohne zu sagen, wer angespannt war und warum.
Dieselbe Publikation versuchte sogar einen der israelfeindlichen Demonstranten, der bei Raphaels Auftritt im Finale die Bühne stürmen wollte, als Opfer darzustellen; sie brachte eine Schlagzeile, die jeder Beschreibung spottet: „Pro-Palästina-Protester am Haar gezogen, als der Versuch einer Störung blockiert wurde.“
Und der Guardian brachte zahlreiche Tete, die unterstellten, Israels Teilnahme sei gefährdet, nachdem die nationalen Sendeanstalten Spaniens und Irlands eine „Diskussion“ der Einbeziehung Israels forderten.

Yuval Raphael, eine Überlebende des Massakers des Nova-Musikfestivals, ist Israels ESC-Teilnehmerin. Trotz ihres kraftvollen Liedes über Widerstandskraft wurde ihr gesagt, sie solle nicht über ihre Erfahrung sprechen – weil Terrorismus zu verurteilen „zu politisch“ ist.
Derweil haben andere Nationen in Wettbewerben in der Vergangenheit die Plattform offen für unverhohlene politische Äußerungen genutzt.
Das ist die Wirklichkeit des ständigen Kampfs Israels mit zweierlei Maß. Eine Überleblende sollte für ihren Mut gefeiert werden, nicht darüber schweigen müssen, woher sie kommt.
Israels Triumph beim Public Voting
Aber was passierte nach all dem Lärm?
Israel kam bei der Publikumsabstimmung auf Platz 1.
Yuval Raphael kam in der Gesamtwertung mit 357 Punkten auf Platz 2. Österreichs Sieger erhielt 436 Punkte. Aber es gibt da so ein kleines Detail: Israel erhielt vom Publikum 297 Punkte, von den Jurys nur 60. Österreich erhielt hingegen 178 Punkte vom Publikum und 258 von den Jurys.
Mit anderen W orten: Wenn das Publikum alleine entschieden hätte, hätte Israel gewonnen.
Israel erhielt bei der Publikumsabstimmung die maximale Punktzahl von 12 aus Großbritannien, Spanien, Schweden, Australien und Portugal – deren Jurys ihm allesamt 0 Punkte gaben. In Irland, wo der Sender die Diskussion über Israels Teilnahme anführte, gab das Publikum Israel 10 und die Jury 7 Punkte.
Bei allem Beharren der Medien, Israels Anwesenheit sei nicht willkommen, stimmten Millionen gewöhnlicher Zuschauer anders ab.
Und doch untergruben die Sender, als das Finale ausgestrahlt wurde, Israel weiter. Spaniens RTVE ignorierte Warnungen der Eurovision und erlaubte seinen Moderatoren nicht verifizierbare Opferzahlen anzuführen: „Die Zahl der Opfer der israelischen Angriffe im Gazastreifen überschreitet jetzt die 50.000, darunter mehr als 15.000 Kinder, so die Vereinten Nationen.“ (Die UNO hat keine solch eindeutige Zahl veröffentlicht.) Bevor die Sendung begann, strahlte RTVE eine Meldung aus: „Angesichts der Menschenrechte ist Schweigen keine Option. Frieden und Gerechtigkeit für Palästina.“
Droht Spanien nächstes Jahr die Disqualifikation wegen Politisierung des Wettbewerbs? Man darf nicht gespannt sein.
Selbst Graham Norton von der BBC schien sich dem Muster der Auslassungen anzuschließen; er beschrieb Yuval Raphael als Newcomerin, die erst 2023 zu singen begann, nachdem sie in Israels Sendung „Rising Star“ auftrat. Er versäumte es, zu erwähnen, dass sie auch eine Überlebende des Massakers auf dem Nova-Musikfestival vom 7. Oktober ist – wo sie sich unter den Leichen anderer versteckte, die ermordet wurden.
Wollen wir ehrlich sein: Viele der Medien berichteten nicht über den ESC – sie führten eine Kampagne dagegen. Die Presse wollte Israels Teilnahme als kontrovers erscheinen lassen. Sie wollte, dass Raphael verliert. Das wäre für sie das ultimative Urteil gewesen: eine musikalische Abstimmung über Israel.
Aber sie sind gescheitert.
Das Publikum hat das durchschaut. Die Öffentlichkeit hat abgestimmt. Und Israels Yuval Raphael hat gesungen – und ist hoch emporgestiegen.