Zum Jerusalem-Tag: Die Kotel-Affäre

Illustrativ: „Menschenmengen am Versöhnungstag an der westlichen“ Tempelmauer (Library of Congress, 1920) (nach PP)

Rabbi Zvi Yehudah Kook erinnerte sich an den gewaltigen Druck, der 1930 auf seinen Vater, Rabbi Abraham Isaac Kook, an einem Abend im Jerusalemer Viertel Kiryat Mosche ausgeübt wurde.

„Wie intensiv, wie ernst, wie furchtbar waren die Warnungen und Einschüchterungen damals, mit all den bedrohlichen Gefahren. Zwei Nationen [die Araber und die Briten] drängten uns mit Lügen und mörderischen Fallen eine Vereinbarung zu unterschreiben und den [jüdischen] Besitz der Kotel, der verbliebenen Maur unseres Heiligen Tempels, abzutreten …“ (LeNetivot Yisrael, Bd. I, S. 65)

Die Ambitionen des Muftis

Bereits zur Zeit des ersten britischen Hochkommissars wurde Haddsch Amin al-Husseini zum Mufti von Jerusalem ernannt, dem spirituellen und nationalen Führer der Araber. Eines der viele Mittel, die der berüchtigte Mufti in seinem Kampf gegen die jüdische nationale Rückkehr nach Eretz Yisrael einsetze, war alle jüdischen Rechte an der Kotel HaMa’aravi, der Westmauer, zu verleugnen.

Die Araber erzielten 1922 einen Teilsieg, als die britische Mandatsregierung ein Verbot ausgab Bänke nahe der Kotel aufzustellen. 1928 unterbrachen britische Offiziere den Yom Kippur-Gottesdienst und demontierten zwangsweise die Mechitzah, die während des Gebets Männer und Frauen trennte.

Ein paar Monate später entwickelten der Mufti und seine Gefolgsleute eine neue Provokation. Sie begannen muslimische religiöse Zeremonien gegenüber der Kotel abzuhalten, genau dann, wenn die Juden beteten. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, gewährte die britische Obrigkeit den Arabern die Genehmigung, das an die Kotel grenzende Gebäude zu einer Moschee zu machen, die auch einen Turm für den Muezzin hatte, den Ausrufer, der die Muslime fünfmal am Tag zum Gebet ruft. Das lärmende Geträller des Muezzins stellte sicher, dass die jüdischen Gebete gestört wurden.

Die aktive arabische Unruhe erreichte während der blutigen Krawalle 1928 ihren Höhepunkt. Am 10. Av drängelten sich rund 2.000 Araber an die Kotel, verjagten die dort betenden Juden und verbrannten mehrere Thora-Rollen. In der folgenden Woche brachen in Jerusalem Krawalle aus und verbreiteten sich über das Land. Fast einhundert Juden wurden in den Krawallen niedergemetzelt, hauptsächlich in Hebron und Jerusalem.

Rav Kook und die Kotel-Kommission

Im Sommer 1930 schickte der Völkerbund ein Komitee nach Eretz Yisrael, um die Eigentumsrechte and der Westmauer zu klären. Die Araber behaupteten die rechtmäßigen Eigentümer zu sein, nicht nur des Tempelbergs, sondern auch der Kotel. Sie lehnten jede Vereinbarung ab, die Juden erlaubte an der Kotel zu beten. Sie sei eine ausschließlich muslimische Stätte, behauptete der Mufti; die Juden dürften nur aufgrund der Gnade der Araber an der Kotel beten.

Als Rav Kook vor der Kommission erschien, wandte er sich mit großer Emotion an den Vorsitzenden:

Was meinen Sie, wenn Sie sagen: „Die Kommission wird entscheiden, wem die Westmauer gehört?“ Gehört die Mauer dieser Kommission oder dem Völkerbund? Wer gab Ihnen die Erlaubnis zu entscheiden, wem sie gehört? Die gesamte Welt gehört dem Schöpfer, Er sei gesegnet; und Er übergab die Eigentümerschaft des gesamten Landes Israel – einschließlich der Kotel – dem jüdischen Volk [Rashi zu Gen. 1,1]. Keine Macht der Welt, nicht der Völkerbund, auch nicht diese Kommission, kann uns dieses gottgegebene Recht nehmen.

Der Vorsitzende konterte, dass die Juden fast zweitausend Jahre lang nicht die Kontrolle über das Land Israel oder die Mauer hatten. An diesem Punkt entschied Rav Kook, dass die Mitglieder der Kommission eine Lektion in jüdischem Recht erhalten sollten. Ruhig und respektvoll erklärte er:

Im jüdischen Recht gilt das Konzept des yei‘usch be’alim [Verzweiflung des Eigentümers] auch auf Grundbesitz. [Das heißt, dass der Eigentümer eines gestohlenen Grundstücks seinen Besitzanspruch verwirkt, wenn er die Hoffnung aufgibt es jemals zurückzugewinnen.] Wenn aber das Land einer Person gestohlen wird und er stets gegen den Diebstahl protestiert, dann behält der Eigentümer seinen Eigentumsanspruch auf alle Zeit.1Ob Land gestohlen werden kann, ist ein Thema, zu dem Maimonides und Rabbeinu Ascher verschiedener Meinung waren. Die Regeln des Schulchan Aruch (Choshchen Mischpat 371,1) sagen wie Maimonides, dass Land nie gestohlen werden kann. Spätere Obrigkeiten schränkten diese Entscheidung ein und schrieben, dass es Situationen gib, in denen Land gestohlen werden kann, so dass, wenn der Eigentümer um sein Leben fürchtet, wenn er sein Land nicht aufgibt (s. Aruch HaSchulchan zu dieser Stelle). Bezüglich des Landes Israel gab es jedoch nie yei’usch be’alim, da das jüdische Volk in seinen täglichen Gebeten um Rückkehr nach Jerusalem und Zion ständig gegen den Diebstahl seines Heimatlandes protestierte.

Rav Kooks stolzer Auftritt vor der Kommission machte einen mächtigen Eindruck auf die jüdische Gemeinschaft. Die Zeitung Hator kommentierte:

Wir können nicht darauf verzichten einmal mehr den Oberrabbiner von Eretz Yisrael zu erwähnen, der Gott und Israel mit seiner Zeugenaussage weihte. Die Zeugen vor ihm waren Kleinlaut und schlotterten mit den Knien. Nach dem Auftritt des Oberrabbiners fühlten wir uns etwas erleichtert, als wäre uns ein Gewicht vom Herzen genommen. Er erhob unsere Häupter, richtete Rückgrat gerade und stellten die Würde der Thora und unserer Nation wieder her.

Der Vorschlag des Va’ad Leumi

Die britische Mandatsregierung schlug einen Kompromiss vor, mit dem die Juden das arabische Eigentumsrecht an der Kotel anerkennen sollten und die Araber im Gegenzug den Juden erlauben würden an die Mauer zu gehen. (Das Recht der Juden an der Kotel zu beten wurde nicht ausdrücklich erwähnt.)

Infolge der angespannten politischen Lage – insbesondere angesichts der mörderischen arabischen Krawalle im Vorjahr – war das Va’ad Leumi (das Exekutivkomitee der jüdischen Nationalversammlung im vorstaatlichen Israel) bereit den arabischen Besitz der Kotel anzuerkennen. Allerdings legte das Va’ad Leumi fest, dass die Araber das Recht der Juden dort zu beten ausdrücklich anerkennen mussten.

Weil das eine religiöse Angelegenheit war, forderte die Mandatsregierung, dass der Vorschlag des Va’ad Leumi von der religiösen Obrigkeit der Juden anerkannt wird, nämlich dem Rabbinat. Um stärkeren Druck auf die Rabbiner auszuüben, schickte das Va’ad Leumi gleichzeitig Delegationen an die zwei Oberrabbiner, Rav Kook und Rabbi Yaakov Meir, sowie zu Rabbi Zonnenfeld, der Agudat Israel repräsentierte.

Eine von Yitzchak Ben-Zvi geleitete Delegation des Va’ad besuchte Rav Kook und versuchte ihn zu überzeugen den Plan zu genehmigen. Es ist eine Frage von Leben und Tod, argumentierten sie; nur mit dem Verzicht der jüdischen Eigentümerschaft werden wir die Araber besänftigen und Israel Frieden bringen.

Rav Kooks Antwort

Trotz des intensiven Drucks des Va’ad Leumi lehnte Rav Kook es ab den Vorschlag zu genehmigen.

Wir haben nicht die Befugnis so etwas zu tun. Das jüdische Volk hat uns nicht bevollmächtigt, in seinem Namen die Westmauer aufzugeben. Unser Besitz an der Kotel ist von Natur aus gottgegeben und aufgrund dieses Besitzes kommen wir zum Beten an die Kotel.

Ich kann nicht preisgeben, was Gott dem jüdischen Volk gab. Wenn wir, was der Himmel verhüten möge, die Kotel aufgeben, wird Gott nicht zu uns zurückkehren wollen!

Wie sich herausstellte, lehnten die Araber es ab das Recht auf jüdisches Gebet an der Kotel auch nur in Erwägung zu ziehen und der Vorschlag wurde hinfällig. Tatsächlich ignorierten die Araber nach dem Unabhängigkeitskrieg, obwohl die Waffenstillstandsvereinbarung den Juden das Recht an die Kotel zu gehen vorsah, diese Regelung. Erst neunzehn Jahre später, als Gott die Kotel im Sechstage-Krieg ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgab, verdiente es das jüdische Volk erneut ungehindert an der Westmauer zu beten.

Nachtrag

R. Menachem Porush, der Vorsitzende von Agudat Israel, trug zu diesem Vorfall das folgende Detail bei:

Rav Kook erklärte bei Erhalt des Vorschlags, dass er nicht zustimmt den jüdischen Anspruch an der Kotel unter welchen Umständen auch immer zuzustimmen. Er schickte auch einen persönlichen Boten zu Rabbi Zonnenfeld, um ihn über seine Ablehnung zu informieren und ihn anzuflehen den Briten in der Sache keinerlei fehlende Entschlossenheit zu zeigen.

Als er die Nachricht über den Vorschlag erhielt, lehnte auch Rabbi Zonnenfeld es ab ihm zuzustimmen. Aus Angst, dass Rabbi Kook bei der Ablehnung des Vorschlags nicht standhaft genug sein könnte, sandte Rabbi Zonnenfeld seinen eigenen Boten zu Rav Kook, um ihn über seine Politik zu informieren und ihn aufzufordern in der Sache keinerlei Bereitschaft zu Kompromiss zu zeigen.

Die beiden Boten, die zufälligerweise Freunde waren, trafen sich auf der Straße und diskutierten ihre Aufträge. Beide waren erleichtert, als sie erkannten, dass es nicht nötig war ihre jeweiligen Botschaften abzuliefern. Damit wurde der Plan, der die jüdischen Rechte an der Kotel auf Generationen hinaus gefährdet hätte, im Keim erstickt.

(Stories from the Land of Israel. Angepasst von Celebration of the Soul, S. 244; An Angel Among Men, S. 206/7, 215-217, 219; R. Porushs Brief, zitiert von Rabbi Berel Wein.)

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