Ägyptens Beziehung zur Hamas

Der 7. Oktober hat starke Auswirkungen auf Ägypten, allerdings scheint Kairo die Hamas wegen des Angriffs nicht kritisiert zu haben, was Fragen aufwirft, wie es dazu kommen konnte.

Während die IDF tiefer nach Rafah hinein vorstößt, finden die Soldaten Tunnel und beseitigen Hamas-Terrorinfrastruktur. Ägypten war gegen die Offensive in Rafah, schon bevor sie stattfand, aber seit ihrem Beginn hat es weniger Äußerungen gegeben. Heute bleibt ein Mangel an Klarheit zu Ägyptens Gesamthaltung und auch dazu, was in den Jahren vor dem 7. Oktober geschehen ist.

Es ist wichtig den zu verstehen, wie die Hamas vor dem Angriff vom 7. Oktober so mächtig werden konnte. Wie konnte sie so viele Waffen horten? Woher kamen die Waffen? Die Hamas stellt viele Raketen-Typen vor Ort her, aber sie beschaffte sich auch Panzerabwehrraketen und andere Systeme, die scheinbar aus den Ausland eingeschmuggelt wurden.

In der Vergangenheit schmuggelte die Hamas Waffen durch Tunnel in Rafah, die nach Ägypten führten. Es wurde weithin angenommen, dass diese Tunnel vor Jahren zerstört wurden. Es gibt zudem einen Übergang zwischen Ägypten und Gaza, den Rafah-Übergang. Angeblich sollten über diesen nur genehmigte Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht werden. Israel unterhielt viele Jahre eine Blockade des Gazastreifens, um zu verhindern, dass Waffen dorthin gebracht werden. Allerdings kamen trotzdem Waffen. Tatsächlich dürfte der Gazastreifen am 6. Oktober einer der pro Kopf am schwersten bewaffneten Orte gewesen sein. Wenn das unter einer Blockade geschah, wie konnte das so kommen?

Die Rolle Ägyptens

In dem kommenden Monaten werden eine Menge Fragen gestellt über die Rolle Ägyptens dabei. Ägypten und Israel schienen vor dem 7. Oktober relativ warme Beziehungen zu haben. Ägyptens Regierung ist gegen die Muslimbruderschaft eingestellt und die Hamas hat ihren Ursprung in der Muslimbruderschaft. Ägypten ist auch gegen Terrorismus. Daher sind viele zu dem Schluss gekommen, dass Ägypten gegen die Hamas eingestellt ist. Weniger klar ist aber, wie Ägyptens Rolle ausgesehen hat.

Um die Formulierung zu verwenden, die ein ehemaliger US-Verteidigungsminister berühmt gemacht hat: Es gibt „viele bekannte Unbekannte“ und „unbekannte Bekannte“ zu dem, was im Gazastreifen in Sachen Hamas ablief und welche Rolle Ägypten dabei gespielt hat. Werfen wir einen Blick auf das, was wir wissen. Ägypten hatte während des Arabischen Frühlings eine Zeit des Chaos, als der langjährige Führer Hosni Mubarak 2011 das Amt verließ. Im Juni 2012 wurde Mohammed Morsi, Kandidat der Muslimbruderschaft, ägyptischer Präsident. Er war nur ein Jahr im Amt, bevor er vom Militär und einer Volkprotest-Bewegung hinausgedrängt wurde. Seit 2013 wird Ägypten von Abdel Fatah al-Sisi geführt.

Abdul Fattah Sisi (Foto: Reuters)

Es ist wichtig zu verstehen, wie entscheidend das Jahr 2012 im Nahen Osten war. Damals führte der Arabische Frühling zu einer großen Verschiebung. Die Administration Obama stützte den Arabischen Frühling und fand Gefallen daran, dass Morsi in Ägypten gewählt wurde. Sie stützt  auch die Proteste in Syrien. Gleichzeitig sollen die USA Qatar gebeten haben die Hamas-Führung zu beherbergen. Die Hamas hatte zu diesem Zeitpunkt seit fünf Jahren den Gazastreifen kontrolliert. Aber sie war nicht so mächtig, wie sie es heute ist. Sie begann gerade erst Raketen zu fertigen, die Tel Aviv und Jerusalem erreichen konnten. Sie konnte noch keine großen Raketensalven schießen und ihre Tunneloperationen hatten einen viel geringeren Umfang.

Die Hamas profitierte vom Chaos in der arabischen Welt. Sie war in der Lage, Waffen einzuführen, die aus Libyen und woanders eingeflogen wurden. Wahrscheinlich war der Iran in diese Schmuggelversuche involviert, denn der Iran hatte Verbindungen zum Regime im Sudan und war in der Lage, das Chaos auszunutzen. Die USA hatten sich zu der Zeit aus dem Irak zurückgezogen und es gab in der Region ein deutliches Machtvakuum.

Die Hamas profitierte

Die Hamas profitierte noch mehr davon, als ihrer Führer nach Qatar zogen. Sie war keine kleine Terrororganisation mehr, da ihr Führer jetzt offen in tollen Hotels wohnen und üppige Geschenke erhielten. Die Hamas gewann 2012 Legitimität und es gab wahrscheinlich Schritte sie in der Westbank an die Macht zu bringen.

Der Aufstiegs Sisis änderte diese Kalkulationen. In Ägypten waren die Menschen wütend wegen des Chaos, durch das Morsi gedieh. Im Sinai gab es einen Aufstand und ägyptische Soldaten wurden getötet. Die Ägypter sagten damals, dass sie es ablehnen, im Blutbad zu „baden“, das sich in der Region breit machte. 2012 kam es zu einem Konflikt zwischen der Hamas und Israel. Morsi gab vor, zu einem Waffenstillstand beitragen zu wollen. Doch Israel sah sich einem zunehmenden Chaos in der Region gegenüber.

2013 sah es dann anders aus. Die neue Führung bedeutete, dass kompetente Offiziere der Armee in den Sinai geschickt werden konnten, um den Aufstand zu beenden. Der ging noch mehrere blutige Jahre weiter und selbst der Islamische Staat versuchte davon zu profitieren. Zu dieser Zeit fing ISIS bereits an den Irak und Syrien zu übernehmen. Ägyptens Durchgreifen sollte den Schmuggel an die Hamas beenden. Die Hamas profitierte von dem Chaos und 2014 gab es einen weiteren Krieg mit Israel. Israel musste in den Gazastreifen einmarschieren und Tunnel beseitigen. Allerdings waren die Hamas-Tunnel damals noch viel kleiner als heute.

2015 unterstützte Ägypten das saudische Eingreifen im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Houthis. Zusätzlich begann die ägyptische Führung in aller Stille Fühler zum Regime Assad auszustrecken. Der syrische Sicherheitschef Ali Mamluk traf sich 2016 und 2018 mit den Ägyptern.

Hier wird deutlich, dass Ägypten die Zukunft in der Region anders sah. Es ging hart gegen die Muslimbruderschaft vor und es glaubte, dass aus dem Chaos starke arabische Staaten hervorgehen müssten. Damals hatte Ägypten kühle Beziehungen zu Qatar und der Türkei, weil sie beide Morsi und die Muslimbruderschaft unterstützt hatten.

Das begann sich allerdings zu ändern. Die Niederlage des Islamischen Staats 2017 bis 2019 veränderte das Dilemma der arabischen Welt gegenüber dem Extremismus. Moris, nach seinem Sturz inhaftiert, starb 2019. Das beseitigte eines der Schlüsselprobleme zwischen Ägypten und der Türkei. Die Türkei beherbergte damals Hamasführer und war an der Intervention in Libyen beteiligt. Ankaras Eingreifen in Libyen untergrub Ägyptens Unterstützung für Khalifa Haftar in Ost-Libyen, der damit einen Rückschlag verkraften musste.

Zudem führte Ankaras suche nach Ressourcen im östlichen Mittelmeer zu potenziellen Konflikten mit Ägypten und ließ sich Ägypten an Griechenland und Zypern annähern. Angeblich brachte es auch Ägypten und Israel einander näher.

Derweil brachen die Ägyptens enge Verbündete Saudi-Arabien und die VAE 2017 ihre Beziehungen zu Qatar ab. Ägypten und Bahrain schlossen sich den VAE und den Saudis in der Beendigung der Beziehungen zu Doha an. Das war auch in der Ära Trump und Ägypten war stark an engeren Beziehungen zur Administration Trump interessiert. Ägypten fand, die Administration Obama habe die Muslimbruderschaft unterstützt und hatte mehrere Jahre lang schwierige Beziehungen zu den USA. Sisi reiste im Mai 2017 nach Saudi-Arabien, um beim Gipfel der arabischen und muslimischen Länder den saudischen König Salman zu treffen, bei dem auch Donald Trump anwesend war. Trump, Sisi und Salman wurden mit ihren Händen auf einer leuchtenden Kugel fotografiert, einem Symbol der Partnerschaft.

In der Region verschob sich auch anderes. Ägypten und die Türkei begannen einen Versöhnungsprozess. Das kam wahrscheinlich zum Teil dadurch zustande, weil der syrische Bürgerkrieg nachließ. Russland, die Türkei und der Iran hatten über den Astana-Prozess daran gearbeitet und der Krieg wurde weitgehend beendet. Mit dem Ende des Kriegs schien das von Ägypten befürchtete Chaos unter Kontrolle zu sein. Bald darauf gab es auch einen Waffenstillstand im Jemen und China vermittelte eine Aussöhnung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Syrien kehrte in die Arabische Liga zurück. Die Spannungen in Libyen wurden reduziert.

Für Ägypten bedeuteten diese Veränderungen wahrscheinlich, dass es den Aufstieg der Muslimbruderschaft nicht erneut fürchten musste; oder dass die Eskapaden der Hamas zu Chaos im Sinai führen würden. Möglicherweise fand irgendwann in diesem Zeitraum von 2019 bis 2023 ein großer Handel statt, bei dem Ägypten von Ankara, Doha, Teheran und/oder Marokko gebeten wurde, die Beschränkungen gegenüber der Hamas zu lockern. Irgendwann bedeutete das, dass die Hamas in der Lage war, weitere Waffen in den Gazastreifen zu schmuggeln. Israel schien – überzeugt, dass die Hamas abgeschreckt war – nicht zu bemerken, dass die Hamas immer mächtiger wurde.

Im Mai 2021 begann die  Hamas mit großen Raketensalven einen Angriff auf Israel und der Iran mobilisierte seine Handlanger zum Angriff auf Israel. Der kurze, 10 Tage dauernde Konflikt endete allerdings.

Was hat sich Ägypten gedacht?

Die Abraham-Vereinbarungen und der Negev-Gipfel sowie weitere Trends in der Region sollten regionale Stabilität schaffen. Das bedeutete, dass Ägypten durch Frieden und Stabilität profitieren sollte. Warum sollte es der Hamas erlauben, einen großen Krieg zu beginnen? Der einzige Grund dafür, dass Ägypten gelockt werden könnte zu glauben, die Hamas sei eingedämmt, war durch Doha und Ankara und weitere Schritte in der Region. Ägypten könnte geraten worden sein, es solle sanft mit der Hamas umgehen und im Gegenzug würden die Türkei, Doha und andere aufhören die Muslimbruderschaft in Ägypten zu unterstützen.

Am Ende begann die Hamas den Angriff vom 7. Oktober und das hat Ägypten stark beeinflusst. Kairo scheint die Hamas für den Angriff allerdings nicht zu verurteilen, was Fragen dazu offen lässt, wie es dazu kommen konnte.

Jetzt kennen wir einige der bekannten Unbekannten dieser Geschichte.

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