(zum Beitragsbild oben: Ein Soldat der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) hält am 27. August 2024 Wache im Gebiet von Marjayoun gegenüber der libanesischen Stadt Khiyam und der israelischen Ortschaft Metula nahe der libanesisch-israelischen Grenze im Südlibanon. Foto: EPA-EFE/STR)
- von Roland M. Horn
Itamar Eichner – ein prominenter Journalist und Kommentator in den israelischen Medien – fragt sich am 29.11.2024, ob das Abkommen wirklich ein Wendepunkt war, oder ob es eher einen weiteren Versuch darstellt, den fragilen Status Quo zu wahren.
Im November 2024 wurde nach Wochen intensiver Kämpfe an der Nordgrenze Israels ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und dem Libanon abgeschlossen. Diese Kämpfe sind durch die ständige Aufrüstung der Terror-Organisation Hisbollah und deren Versuche, die israelische Abschreckungsfähigkeit herauszufordern, verursacht worden. Das Abkommen basiert auf der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats und zielt darauf ab, die Stabilität in der Region wieder herzustellen sowie eine Eskalation zu einem umfassenden Krieg zu verhindern.
Die Kernpunkte des Abkommens
Eichner weist darauf hin, dass das Waffenstillstandsabkommen mehrere zentrale Punkte enthält, die auf die Sicherheitsbedrohungen in der Region abzielen. Eichner listet Punkte auf die dazu gehören:
- Neuaufstellung der libanesischen Armee im Süden:
Im Rahmen des Abkommens wurden rund 10.000 libanesische Soldaten entsandt, um Stellungen der Hisbollah entlang der Grenze zu übernehmen und deren Infrastruktur bis zur Litani-Grenze zu zerstören. Diese Kräfte erhielten westliche Unterstützung, um den Waffenschmuggel zu unterbinden und die illegale Infrastruktur zu beseitigen. Israel gab den westlichen Staaten grünes Licht für die Aufrüstung der libanesischen Armee, damit diese das Abkommen durchsetzen konnte.- Rolle der UNIFIL-Truppen:
Das Abkommen stärkt die Rolle der UN-Truppen bei der Überwachung der Grenze und führt neue internationale Kontrollmechanismen ein, die von den USA unter Beteiligung Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs geführt werden. Im Gegensatz zur Resolution 1701 wird es diesmal eine physische US-Präsenz geben, um gegen Verstöße vorzugehen. Ein US-General des CENTCOM-Kommandos ist bereits in Israel eingetroffen, um den Überwachungsmechanismus einzurichten. Die Amerikaner haben angekündigt, dass es zwar keine US-Soldaten vor Ort geben wird, aber eine aktive amerikanische Einmischung in Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee und der UNIFIL, um eine schnelle und effektive Behandlung von Verstößen sicherzustellen.- Verpflichtung zur Abrüstung illegaler Waffen:
Der Libanon wird verpflichtet, die Entwaffnung der Waffenlager und der militärischen Infrastruktur der Hisbollah im Süden des Landes durchzusetzen, und es werden Sanktionen für den Fall angedroht, dass dies nicht geschieht.- Wahrung der israelischen Handlungsfreiheit:
Israel behält sich das Recht vor, im Falle einer Verletzung des Abkommens durch die Hisbollah militärisch zu handeln und betont, dass es eine Stärkung der Organisation an der Grenze nicht zulassen wird. Bereits am ersten Tag des Abkommens kam es zu erheblichen Verstößen, als Bewohner des Südlibanons in ihre Dörfer zurückkehrten, obwohl das Abkommen eine Rückkehr in den ersten 60 Tagen verbietet.
Eichner erklärt, dass das Abkommen eine neue Grenzlinie – die sogenannte Rote Linie vorsieht, zu der die Bewohner in dieser Phase nicht zurückkehren dürfen, doch die Libanesen warteten nicht und versuchten, in ihre Häuser zurückzukehren. Die Reaktion Israels ließ nicht lange auf sich warten und feuerte Warnschüsse ab, in der Intention, die Bewohner zurückzudrängen. Eine israelische Drohne feuerte Warnschüsse auf ein Fahrzeug ab, das in das Sperrgebiet eindrang, doch es kam zu einem Irrtum und die Insassen wurden verletzt – natürlich ohne dass eine Absicht bestand, sie zu treffen. Eichner weist auf den schwerwiegendsten Vorfall hin: Den Abschuss einer Rakete durch ein israelisches Kampfflugzeug auf ein Haus in das Hisbollah-Terroristen eingedrungen waren.
„Auf den ersten Blick erscheint das Abkommen löchrig wie ein Schweizer Käse“, stellt der Journalist fest, „doch im Gegensatz zum zweiten Libanonkrieg, als Israel den Waffenschmuggel vom ersten Tag an ignorierte, scheint Israel diesmal seine Lehren gezogen und neue Spielregeln aufgestellt zu haben: Israel wird auf jede Verletzung des Abkommens mit Härte reagieren, egal ob es sich um eine unmittelbare Bedrohung oder um den Wiederaufbau terroristischer Infrastruktur und Waffenschmuggel handelt.“
Nur mit Gewalt und Feuer kann die Abschreckung wiederhergestellt werden, die 18 Jahre nach dem Libanon völlig verblasst ist, stellt Eichner fest und bemerkt, dass Jerusalem dies erkannt hat und der Hisbollah klarmachte, dass es auf jeglichen Vorstoß hart reagieren würde. Eine Provokation der Hisbollah würde nicht geduldet werden.
Im Gegensatz zu früheren Abkommen gibt es, wie Eichner feststellte eine internationale Beteiligung. Die internationale Gemeinschaft, die von den USA angeführt wird, ist diesmal aktiv an der Überwachung und Durchsetzung des Abkommens beteiligt.
Weiter wird die libanesische Armee gestärkt. Die Streitkräfte des Landes haben finanzielle sowie militärische Unterstützung aus dem Westen erhalten und das könnte ihre Fähigkeit, gegen die Hisbollah vorzugehen, verbessern. Darin sieht Israel eine Chance für den Libanon, sich aus den iranischen Fesseln zu befreien.
Schwachstellen im Abkommen
Doch Eichner sieht auch Schwachpunkte des Abkommens:
- Die Durchsetzungsfähigkeit des Libanon:
Die libanesische Armee ist trotz ihrer erweiterten Befugnisse noch schwach und die Hisbollah konnte das System in der Vergangenheit manipulieren.- Provokationen der Hisbollah:Erste Berichte deuten darauf hin, dass die Hisbollah weiterhin neue Infrastruktur aufbaut und Entwaffnungsaufforderungen ignoriert.
- Abhängigkeit von internationalem Engagement:
Israels Erfolg hängt von der Unterstützung westlicher Staaten ab, die je nach regionalen Interessen schwanken kann.
Hat Israel aus den Geschehnissen im Jahr 2006 gelernt?
Der Journalist weist darauf hin, dass das aktuelle Abkommen in vielerlei Hinsicht den damaligen Vereinbarungen ähnelt, aber auch wesentliche Unterschiede aufweist. So fordert Israel umfassendere Kontrollmechanismen sowie ein stärkeres militärisches Engagement des Libanon im Süden des Landes und die israelische Handelsfreiheit wird in höherem Maße gewahrt. Dies hindere die Hisbollah daran, die Ruhe für eine erneute Aufrüstung zu nutzen.
Wird das Abkommen Erfolg haben?
Ob das Abkommen erfolgreich sein würde oder nicht, hinge von der Analyse der kurz- sowie langfristigen Ziele ab. Das Abkommen verhindere kurzfristig einen weiteren Konflikt an der Grenze und würde s Israel ermöglichen, ein positives Ergebnis vorzuweisen. Letztlich hinge der Erfolg aber auf lange Sicht davon ab, ob der Libanon tatsächlich in der Lage sein würde, mit den internen Herausforderungen umzugehen.
Weiter stellt der Journalist fest, dass die Geschichte der Region zeigt, dass Waffenstillstände häufig lediglich vorübergehende Pausen sind, doch wenn das jetzige Abkommen hielte, könnte es einen neuen Rahmen für Stabilität an der Nordgrenze Israels schaffen. Sollte dies nicht gelingen, würden Israel und der Libanon wieder in denselben Konfliktkreis geraten, der die Region in die andauernde Instabilität führe.
Die Politik Israels
Eichner erscheint es so, als ob die Basis des Premierministers Benjamin Netanjahu Schwierigkeiten haben, das Abkommen zu akzeptieren. Über ein Jahr lang wurden sie darauf eingeschworenen, dass Israel sich nicht weniger als einem vollständigen Sieg zufrieden geben, doch jetzt sei die „israelische Rechte“ erwacht und habe erkannt, dass Netanjahu einen Kompromiss eingegangen ist und somit eine diplomatische Einigung erzielt hat.
Warum sich letztlich Netanjahu für das Abkommen entschieden hat – darüber werden in Netanjahus Umfeld drei Gründe genannt:
- Vermeidung von UN-Sicherheitsratsbeschlüssen: Israel will eine Resolution des Sicherheitsrates sowohl im Norden als auch im Süden ohne amerikanisches Veto verhindern. In den verbleibenden zwei Monaten der Übergangsregierung in den USA ist sich Israel der Komplexität und Sensibilität der Situation bewusst und möchte dies vermeiden.
- Militärische Erholung: Munitionsengpässe und fehlende Ausrüstung wie die 130 Bulldozer, die von den USA zurückgehalten werden, stellen eine Herausforderung dar. Diese Maßnahmen retten Soldatenleben. Darüber hinaus müssen die Truppen, insbesondere die Reservisten, die seit mehr als einem Jahr zwischen Libanon und Gaza pendeln, wieder aufgebaut werden.
- Trennung der Kriegsschauplätze: Der Waffenstillstand unterbricht die Verbindung zwischen Gaza und dem Libanon, was die Hamas nicht will. Diese Trennung schwächt die Hamas, insbesondere durch den erhöhten militärischen Druck. Dies könnte auch die Chancen für eine Freilassung der Geiseln erhöhen.
Das Abkommen selbst sei nichts weiter als ein Stück Papier sagt Eichner und weiter: „Das Wichtigste für den Ministerpräsidenten ist, sich ein amerikanisches Begleitdokument zu sichern, das Israel die Legitimität gibt, zu handeln, wenn es notwendig ist“, um anschließend – zumindest in der Übersetzung von Israel heute offensichtlich etwas frei, s. deshalb hier – Netanjahu zu zitieren:
„Wenn gegen uns vorgegangen wird, wenn terroristische Infrastruktur aufgebaut wird, wenn Raketen transportiert werden und so weiter. Und wenn wir so etwas sehen, haben wir das Recht, das Feuer zu eröffnen und auf die Hisbollah und den Libanon zu reagieren, einschließlich einer Situation, in der sie südlich des Litani-Flusses vorrücken – wir werden das Feuer eröffnen.
Wenn es Versuche gibt, Waffen von Syrien in den Libanon zu transportieren, werden wir das Feuer eröffnen. Und wenn es notwendig ist, auch gegen Ziele des Assad-Regimes, wie wir es schon mehrfach getan haben – wir werden das Feuer eröffnen.
Wichtig ist die Durchsetzungsfähigkeit, und die haben wir. Der Waffenstillstand wird vor Ort überprüft. Wenn der Waffenstillstand hält, was er verspricht, wird die Situation so bleiben. Wenn es keinen Waffenstillstand gibt, werden wir die Hisbollah angreifen.
Es muss gesagt werden, dass unser Interesse darin besteht, zumindest die nächsten zwei Monate zu überbrücken, bis wir beginnen, Waffenlieferungen zu erhalten, da wir davon ausgehen, dass die Trump-Administration das Embargo aufheben wird und uns größere Waffenlieferungen und eine stärkere Legitimation für Operationen im Libanon ermöglichen wird, falls dies erforderlich sein sollte. Im Moment sind wir in gewisser Weise eingeschränkt und ziehen daher einen Waffenstillstand vor. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Hisbollah nach Inkrafttreten des Waffenstillstands eine völlig andere Organisation sein wird als am 6. Oktober.
Wir haben die gesamte Führung der Hisbollah eliminiert, einschließlich Nasrallah, den der Premierminister als „Achse der Achse“ bezeichnet. Nasrallah war nicht nur ein Werkzeug des Iran, sondern manchmal auch der Iran selbst. Sein Einfluss in der schiitischen religiösen Welt war so groß, dass seine Beseitigung dramatische Folgen hat.
Wir haben 70 Prozent der Raketenkapazität der Hisbollah zerstört. Wir haben die Infrastruktur und die Tunnel der Hisbollah weitgehend zerstört. Die Zerstörung der Gebäude im Stadtteil Dahiya ist größer als im Zweiten Libanonkrieg.
Wir haben 3.500 terroristische Aktivisten eliminiert. Wir haben die Bedrohung durch die Radwan-Kräfte an der Grenze beseitigt und die Hisbollah nach Norden zurückgedrängt.
All dies, zusammen mit der Möglichkeit und der Legitimität, die wir von den USA erhalten haben, um den Waffenstillstand im Libanon durchzusetzen, stellt zumindest für den Moment eine dramatische Veränderung dar. Es ist wichtig zu betonen, dass es sich um einen Waffenstillstand und nicht um das Ende des Krieges handelt.
Im Rahmen des Abkommens wird es Grenzkorrekturen zugunsten Israels geben. Es wird keine Rückgabe von Gefangenen der Hisbollah geben. Das sieht das Abkommen nicht vor.
Was die Bewohner des Nordens betrifft, so rufen wir sie nicht zur Rückkehr auf. Wir verstehen die Komplexität der Situation und die Sensibilität. Genauso wie wir die Bewohner des Südens nicht zur Rückkehr aufgerufen haben, haben wir der Zeit Raum gegeben, die Realität zu bestimmen. Die Tatsache, dass die meisten Bewohner des Südens trotz unseres Schweigens zurückgekehrt sind, spricht für sich. Wir erwarten, dass unsere Bewohner mit der Zeit in ihre Häuser zurückkehren. Wir haben den Krieg nicht beendet, deshalb sagen wir, dass wir die Menschen im Norden weiterhin unterstützen werden, bis sie sicher nach Hause zurückkehren können. Wir werden niemanden aufgeben. Wir verstehen die Situation. Wir verstehen, dass dieser Waffenstillstand zerbrechlich sein könnte, und wir erklären auch, dass er nicht das Ende des Krieges bedeutet, und deshalb sind wir sehr vorsichtig, was die Rückkehr der Bewohner betrifft. Auch nach den 60 Tagen werden wir sie nicht zur Rückkehr auffordern. Wir lassen die Zeit und die Situation vor Ort entscheiden. Wir verpflichten uns, weiterhin gegen die Hisbollah und jede Bedrohung vorzugehen.
Der Norden reagiert
Gemeindevertreter im Norden Israels griffen Netanjahu scharf an. Sie warfen ihm vor, sie im Stich zu lassen. Netanjahu wüsste, dass er ein Problem mit seiner rechten Basis hätte. In solche Situationen suche er Unterstützung bei ihm vertrauten Medien wie dem israelischen Fernsehsender Channel 14.
In einem Interview habe Netanjahu versucht, das Abkommen als Erfolg darzustellen, schließlich sei ja, die Gefahr einer Bodenoffensive abgewendet worden. Der Premier habe versichert, dass die Bewohner des israelischen Nordens kein neues 10/7-Szenario erleben würden.
Für den Fall eines massiven Vertragsbruchs sie die IDF auf einen intensiven Krieg vorbereitet, sagt Netanjahu, aber trotzdem bleibe der Waffenstillstand fragil und hänge vor der Einhaltung und Umsetzung der Vereinbarungen ab.