Israels neuer Verbündeter? Warum Syriens Annäherung die Türkei in Panik versetzt

Der neue syrische Präsident Ahmed al-Sharaa flirtet mit den Abraham-Abkommen – nicht aus Liebe zu Israel, sondern aus strategischem Kalkül. Die Folge: Ein tektonischer Riss in der türkischen Nahost-Strategie.

Was sich derzeit in Damaskus abspielt, könnte die geopolitische Ordnung des Nahen Ostens nachhaltig verändern. Der neue syrische Präsident Ahmed al-Sharaa, Nachfolger des gestürzten Diktators Bashar al-Assad, hat hinter den Kulissen erste Schritte unternommen, um sich Israel anzunähern – und womöglich einem erweiterten Abraham-Abkommen beizutreten. Der Grund ist dabei weniger ein ideologischer Wandel, sondern ein eiskalter Machtpoker gegen die Türkei.

Während Recep Tayyip Erdoğan weiter mit aller Härte versucht, Israel international zu isolieren und moralisch zu delegitimieren, könnte ausgerechnet ein Land, das jahrzehntelang eng mit der „Achse des Widerstands“ verbandelt war, plötzlich auf die Seite Israels kippen. Für Ankara ist das ein strategischer Albtraum – und für Israel ein unverhoffter Hebel in einem sich neu ordnenden Mittleren Osten.

Der wahre Grund hinter Syriens Kurswechsel

„Sharaa ist kein Zionist, und er macht diesen Schritt nicht aus ideologischer Überzeugung“, sagt der Nahost-Analyst Dr. Hay Eytan Cohen Yanarocak vom Moshe-Dayan-Zentrum der Universität Tel Aviv. „Er will sich schlicht aus der Umklammerung der Türkei lösen.“

Nach dem Sturz Assads 2024 hatte die Türkei in Syrien schnell an Einfluss gewonnen. Türkischer Geheimdienst, Infrastrukturprojekte, gezielte Personalpolitik – Ankara nutzte das Machtvakuum im Norden Syriens konsequent aus. Viele Minister der neuen syrischen Regierung haben in der Türkei studiert, manche besitzen sogar die türkische Staatsbürgerschaft. Der türkische Einfluss war nicht nur sichtbar, sondern strukturell verankert.

Doch Sharaa scheint erkannt zu haben, dass dieser Weg in eine neue Abhängigkeit führt. Die türkische Einflussnahme wurde zunehmend als kolonial empfunden – als Versuch, Syrien aus dem Schatten Assads in den Schatten Erdoğans zu führen. Die Reaktion: eine vorsichtige, aber deutliche Hinwendung Richtung Jerusalem.

Israel als Türöffner in die arabische Welt

Die Annäherung an Israel dient Sharaa nicht nur als Gegengewicht zur Türkei, sondern auch als Schlüssel zur arabischen Welt. Ein Beitritt zu den Abraham-Abkommen könnte wirtschaftliche Hilfe und politische Anerkennung durch die Golfstaaten bringen – insbesondere aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien, die Syrien unter Assad lange Zeit gemieden hatten.

Gleichzeitig hoffen viele in Damaskus, dass dieser Schritt auch internationale Sanktionen lockern könnte. Der Wiederaufbau Syriens ist dringend nötig – und ohne Zugang zu westlichem Kapital und Investitionen aus dem Golf faktisch unmöglich.

Israel wiederum gewinnt durch diese Bewegung eine neue strategische Tiefe. Ein befriedetes Syrien mit pragmatischer Regierung würde nicht nur den iranischen Einfluss weiter zurückdrängen, sondern auch die Hisbollah im Libanon schwächen. Jerusalem hat kein Interesse an einem pro-israelischen Syrien – aber an einem Syrien, das nicht mehr zur iranischen Raketenbasis wird.

Warum die Türkei jetzt nervös wird

Erdoğan sieht das anders. Für ihn ist jedes Nahostland, das sich Israel nähert, ein diplomatischer Rückschlag. Insbesondere Syrien – das Ankara nach dem Assad-Sturz als Satellitenstaat betrachtete – darf nicht in das israelische Lager abdriften. Schon jetzt tobt in der Türkei eine hitzige Debatte über die Syrien-Politik: War das Engagement im Norden wirklich sinnvoll, wenn Damaskus nun einen eigenen Kurs wählt?

Yanarocak bringt es auf den Punkt: „Ein Abkommen zwischen Israel und Syrien untergräbt Erdoğans gesamte Strategie.“ Es isoliert die Türkei nicht nur von der arabischen Welt, sondern lässt sie in einem neuen Nahen Osten alt aussehen – als Macht, die sich in Ideologie verbeißt, während andere Staaten auf Pragmatismus und Partnerschaft setzen.

Denn die Türkei ist – trotz aller Rhetorik – keineswegs unglücklich über die iranische Niederlage im letzten Krieg. Im Gegenteil: Die Schwächung Teherans durch Israel spielt Ankara in die Hände. Nun aber gerät sie zwischen die Fronten: Einerseits profitieren, andererseits verhindern wollen, dass Israel zu viel Einfluss gewinnt.

Syrien als neuer Brennpunkt im Schattenkrieg

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Sharaa seinen Kurs hält – oder ob Ankara Druckmittel findet, um ihn zurückzuziehen. Der Kampf um Syriens künftige Ausrichtung wird zu einem verdeckten Stellvertreterkrieg zwischen Israel und der Türkei. Und das auf einem Terrain, das einst als unrettbar verloren galt.

Ein offizielles Abkommen zwischen Damaskus und Jerusalem wäre ein geopolitisches Erdbeben. Noch ist es nicht so weit. Doch allein die ernsthafte Diskussion darüber zeigt, wie dramatisch sich der Mittlere Osten wandelt. Wer gestern noch Feind war, könnte morgen Partner sein. Und wer heute noch Einfluss hat, könnte ihn über Nacht verlieren.

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