„Nur eine Geschichte“ – aus Kapitel 6

Ziva hasste es, wenn Nathaniel erst Andeutungen machte und dann eine längere Pause einlegte. Sie wusste, dass er das absichtlich tat und sogar Vergnügen dabei hatte. Dabei redete er doch sonst wie ein Wasserfall!

Endlich setze Nathaniel wieder an zu sprechen. Erst langsam, dann wieder flüssiger, und schließlich sprudelte der Wasserfall wieder!

„Offiziell“, so sprach er, „wird diese ‚Bundeslade‘ als ein ‚Kultobjekt‘ angesehen. Doch sie war weit mehr als das. Die Lade begleitete unser Volk über sehr lange Zeit über und konnte Wunder tun.“

„Der Begriff ‚Lade‘ bedeutet nichts anderes als ‚Kasten‘ oder ‚Kiste. Wie ich Dir bereits sagte, enthielt sie die beiden steinernen Tafeln mit den zehn Geboten. In einer christlichen Schrift heißt es sogar, dass auch ein Krug mit Manna und der Stab Mose, der hier wieder als Stab Aarons bezeichnet wird, in der Lade gelagert waren.“

„Die Lade des Heiligen Bundes, den ‚Gott‘ mit unserem Volk schloss, befand sich im sogenannten Allerheiligsten der Stiftshütte, von die ich Dir ja bereits erzählt hatte. Die Bundeslade soll nach Gottes Anweisung gebaut worden sein und war, als sie fertig war, 2 ½ Ellen breit und 1 ½ Ellen hoch. Dabei soll die längere Elle von 25,5 Zentimetern gemeint sein. Sie bestand aus Akazienholz und war mit Gold überzogen und einem Goldenen Kranz, der ringsherum lief, verziert. Sie stand auf vier kurzen und nach außen gebogenen Füßen. An den Stellen, an denen diese Füße in die Kistenwände eingesetzt waren, waren an zwei einander gegenübersehenden Seite je zwei goldenen Ringe, durch die die Stangen aus goldüberzogenem Akazienholz gezogen waren, die herausgenommen werden konnten und durften, angebracht.“

„Das ist ja alles schön und gut!“, unterbrach Ziva. „Aber wer hat die Lade gebaut und welche Wunder tat sie?“

„Immer mit der Ruhe“, tadelte Nathaniel Ziva.

„Der hat es gerade nötig, von Ruhe zu sprechen“, dachte Ziva, „dabei hetzt der mich doch geradewegs durch seine Geschichten.“

Sie überlegte kurz, ob sie ihn darauf ansprechen sollte, ließ es dann aber doch bleiben.

Nathaniel ging tatsächlich auf Zivas Frage ein. Sie atmete tief durch, denn sie hatte erwartet, dass er einen langen Schwall über das Aussehen der Lade losließ. Erfreut stellte sie aber fest, dass er kurz und bündig auf ihre Frage einging.

„Nun, Moses hat sie nach ‚Jahwes‘ Anleitungen gebaut, die er während seines Aufenthaltes auf dem Berg Sinai empfangen hatte. In Wirklichkeit hatten jedoch die Zeitreisenden das Wesentliche gemacht, und Moses durfte ein bisschen mit anfassen. Als die Bundeslade fertig war, erhielt er die Tafeln mit den zehn Geboten, die von Gott selbst, also den Zeitreisenden, beschrieben waren.“

„Die Anleitungen zum Bau der Lade werden übrigens sehr detailliert beschrieben, das ging bis…“

Ziva hatte sich zu früh gefreut. ‚Jetzt fängt er doch noch damit an‘, dachte sie und Nathaniel brachte den Satz zu Ende und sagte: „…zum Schraubstocktisch, dem Goldenen Leuchtern, den leinenen Vorhängen, den inneren Vorhängen und den Altar. Und da war noch vieles mehr.“

Jetzt befürchtete Ziva, dass ein langer Schwall folgenden würde, in dem ihr Großvater immer mehr ins Detail gehen und kein Ende mehr finden würde. Doch zum Glück kam dazu nur noch eine kurze Bemerkung: „Die Bundeslade befand sich im Innersten Teil des Zelts – dem Allerheiligsten. Nach Osten schloss sich das Heilige an, und beides war als eigentlich Stiftshütte von einem Vorhof umgeben.“

Und er fuhr fort mit den Worten: „Als Moses auf dem Sinai war, um sich für das Verhalten seines Volkes, also den Bau des Goldenen Kalbes, zu entschuldigen, musste er die Tafeln, die er vor Wut an einem Felsen zerschlagen hat, nach Diktat selbst schreiben, obwohl ‚Gott‘ erst anders gesprochen hatte. Er sagte zu Moses, bevor er auf den Berg kam: ‚Haue Dir zwei steinerne Tafeln, wie die ersten, und ich werde auf die Tafeln schreiben die Worte, die auf der ersten Tafel waren, die Du zerbrochen hast. Und sei bereit auf den Morgen, steige am Morgen auf den Berg Sinai und harre dort meiner auf dem Gipfel des Berges.‘ Und wieder betonte ‚Jahwe‘: Und kein Mensch steige mit Dir hinauf, kein Mensch werde auch nun gesehen auf dem ganzen Berg; selbst die Schafe und die Rinder sollen nicht weiden in der Nähe des Berges. Und er haute zwei steinerne Tafeln, wie die ersten, und Moses ging mit den Tafeln auf den Berg hinauf, wo Jahwe, der ‚an ihm vorbeizog‘, sagte: ‚Schreibe Dir auf diese Worte, denn auf den Inhalt diese Worte schließe ich mit Dir einen Bund und mit Israel. Und er blieb dort beim Ewigen vierzig Tage und 40 Nächte, Brot aß er nicht und Wasser trank er nicht; und schrieb auf die Tafel die Worte des Bundes, die zehn Worte.‘

Und für diese 10 Worte – genaugenommen waren es ja Sätze – brauchte er so lange, wo eigentlich ‚Gott‘ die Tafeln selber beschreiben wollte. Doch so genau haben die Zeitreisenden das nicht genommen. Ein allmächtiger Gott hätte sich jedoch an seine Versprechen gehalten. Und ich bezweifle, dass er tatsächlich 40 Tage brauchte, um die Tafeln zu schreiben. Hier war sicher die Bauzeit der Bundeslade mit eingerechnet.“

„Wenn in der Thora steht, dass die Lade erst gebaut wurde, nachdem Moses vom Berg heruntergekommen war, so bedeutet das, dass sie nur noch den letzten Schliff ausführten.“

„Als Moses bereits wieder unten war, sprach Jahwe noch einmal zu ihm. Er sagte: ‚Gehe, ziehe hinauf von dannen, Du und das Volk, das Du herausgeführt wirst aus dem Lande Mizrajim, in das Land, das ich zugeschworen habe dem Abraham, Isaak und Jakob und gesprochen: Deinem Samen werde ich es geben. Und ich werde einen Engel vor Dir her senden und austreiben die Kenaani, die Emosi und die Chitti und die Perisi, die Chiwi und die Jebusi. In ein Land, fließend von Mich und Honig, denn ich werde nicht hinaufziehen in deiner Mitte, weil Du ein hartnäckiges Volk bist, dass ich Dich nicht vertilge auf dem Wege. Als das Volk diese Kunde hörte, hüllten sie sich in Trauer und keiner legte seinen Schmuck an‘.

„Heißt das, dass der ewige und unfehlbare Gott Schwierigkeiten mit seiner Beherrschung hatte? Musste er sich deswegen zurückziehen?“, frage Ziva und fügte hinzu: „Das waren dann doch wohl die Zeitreisenden und nicht der allmächtige Gott. Sehe ich das richtig?“

Dieser Gedanke war dem Teenager aber selbst nicht geheuer, denn irgendwie hing Ziva an ihrem Gottesbild, wie sie es in der Schule gelernt hatte. Doch Nathaniel gab ihrem Gedanken Recht und fuhr mit einem weiteren Bibelzitat fort: „Und Moses nahm das Zelt und schlug es sich auf außerhalb des Lagers, fern vom Lager und nannte es: ‚Versammlungszelt‘. Und es geschah, wenn Moses in das Zelt kam, stieg die Wolkensäule herab und stand am Eingange des Zeltes und redete mit Moses, von Angesicht zu Angesicht, so wie ein Mensch mit dem anderen redet. Und er kehrte in das Lager zurück, aber sein Diener Jehoschua, Son Nuns, der Jünger, wich nicht aus dem Zelte.

Ziva konnte kaum Luft holen, da setzte Nathaniel schon zum nächsten Zitat an: „Und die Wolke bedeckte das Stiftszelt und die Herrlichkeit des Ewigen füllte die Wohnung. Und Moses konnte nicht hineingehen in das Stiftszelt, denn die Wolke war gelagert darüber und die Herrlichkeit des Ewigen füllte die Wohnung. Und wenn sich die Wolke erhob von der Wohnung, brachen die Kinder Israel auf, auf all ihre Züge. Und wenn sich die Wolke nicht erhob, so brachten sie nicht auf bis zum Tage da sie sich erhob. Denn die Wolke des Ewigen war über der Wohnung des Tages, und eine Feuerflamme darin des Nachts vor dem ganzen Hause Israel auf all ihren Zügen.

„Opa, Du hast mir doch gesagt, dass die Lade Wunder wirken konnte; welche Wunder hat sie denn bewirkt?“, fragte Ziva.

„Langsam!“, sagte Nathaniel. „Ich will Dir erst erzählen, wie gefährlich das Gerät war: Da heißt es in der Thora, dass die Söhne Aarons, Nadab und Abihu jeweils eine Rauchpfanne nahmen und ‚Feuer hineintaten und unheiliges Feuer vor den Ewigen brachten‘, was er ihnen nicht geboten hatte. ‚Da fuhr eine Feuerflamme vom Ewigen aus und verzehrte sie und sie starben vor dem Ewigen, heißt es. Daraufhin soll Moses zu seinem Bruder gesagt haben: ‚Das ist, was der Ewige geredet und gesprochen: An den mir Nahen will ich geheiligt werden und vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden. Und später sagt Moses, dass unser Volk den ‚Brand derer, welche der Ewige verbrannt hat‘ beweinen sollte.“

„Warum sollte unser Volk die Toten beweinen, wenn sie doch von Gott für ein unheiliges Opfer bestraft worden sind?“, fragte Ziva.

„Nun, Ziva“, sagte Nathaniel, jetzt in einem ruhigen und langsamen Ton: „Natürlich war es wieder einmal nicht Gott, der den Tod der Männer absichtlich herbeigeführt hatte, um sie zu ihrer Bestrafung für ihr ‚unheiliges Opfer‘ zu töten. Dies diente nur als Ausrede. In Wirklichkeit war es die Maschine, von der Gefahr ausging. Es war schlicht und einfach ein Unfall. Doch von der Gefahr, die von der Lade ausging und warum sie das tat, will ich Dir später erzählen.“

„Wie immer, wenn es spannend wird“, grummelte Ziva in sich hinein. „Dabei hat er doch selbst damit angefangen.“

Doch Nathaniel blieb näher beim Thema, als Ziva befürchtet hatte. „Bei der Lade handelte es sich um eine elektrische Apparatur, mit der ein persönlicher direkter Kontakt zwischen Moses und Jahwe möglich war. Denn man wollte ja die Wüstenwanderung fortsetzen, und da war nicht immer ein Berg, auf den Moses hinaufkrabbeln konnte“, schmunzelte er.

Und er fuhr fort: „Es heißt in der Thora: ‚Und wenn Moses hineinging in das Stiftszelt mit ihm zu reden, hörte er die Stimme, sich unterredend mit ihm zu dem Deckel herab, die über die Lade des Zeugnisses zwischen den beiden Cheruben, und so redete er mit ihnen.‘ Und an einer anderen Stelle heißt es: ‚Eine gold’ne Schelle und ein Granatapfel, wieder eine kleine Schelle und ein Granatapfel an dem Saume des Oberkleides ringsum. Und Aaron habe es an beim Dienste, dass dessen Klang gehört werden, wenn er in das Heiligtum geht vor den Ewigen, und wenn er herauskommt, auf dass er nicht sterbe.‘ Die Bundeslage war nicht nur eine Sende-, sondern auch eine Empfangsstation – der Kontakt funktionierte in beide Richtungen. Auch Jahwe sprach durch sie mit Moses und Aaron.

„Unser Volk nahm nun die Bundeslade zu all ihren Schlachten mit, und mit ihrer Hilfe fuhren sie Sieg auf Sieg. Dafür war sie ja auch entworfen worden“, schmunzelte Nathaniel.

„Ich habe Dir doch einmal von der Geschichte erzählt, als unser Volk Jericho eingenommen hat“, fuhr er fort. „Was ich Dir aber bisher noch nicht erzählt habe, ist, wodurch die Stadtmauern zerstört wurden – natürlich nicht durch den Lärm von Himmelposaunen.“

Nun setzte Nathaniel wieder zu einem seiner berüchtigten Zitate an. „Pass‘ gut auf, ob Dir etwas auffällt: ‚Jericho aber hatte seine Tore geschlossen und blieb den Israeliten gegenüber verriegelt, sodass niemand aus- und eingehen konnte. Da sagte der Herr zu Josua: Hiermit gebe ich Jericho und seinen König samt den streitbaren Männern in Deine Gewalt. So zieht denn um die Stadt herum, alle Kriegsleute, einmal rings um die Stadt her. So sollst Du es sechs Tage lang tun; dabei sollen sieben Priester sein mit sieben Lärmposaunen, und die Priester sollen dabei in die Posaunen stoßen. Wenn aber man dann ein Zeichen mit dem Lärmhorn gibt, soll das gesamte Volk, sobald ihr den Posaunenschall hört, ein lautes Kriegsgeschrei erheben, dann wird die Stadtmauer von selbst in sich zusammenstürzen und das Volk soll sie ersteigen, wo ein jeder gerade steht.

‚Darauf berief Josua, der Sohn Nuns, die Priester und befahl ihnen: Hebt die Bundeslade auf und sieben Priester sollen sieben Lärmposaunen vor der Lade des Herrn hertragen! Hierauf befahl er dem Volk: Zieht rings um die Stadt herum, und zwar sollen die Gewappneten vor der Lade des Herrn herziehen. Als nun Josua dem Volk diesen Befehl erteilt hatte, da setzten sich die sieben Priester in Bewegung, welche die sieben Lärmposaunen vor dem Herrn hertrugen und stießen in die Posaunen, während die Bundeslade des Herrn ihnen nachfolgte: die Gewappneten aber zogen vor den Priestern einher, die in die Posaunen stießen, und die Nachhut zog hinter der Lade her, während man dabei fortwährend in die Posaunen stieß. Dem Volk aber hatte Josua streng geboten: Ihr dürft kein Kriegsgeschrei erheben und eure Stimme hören lassen, und kein Wort darf aus eurem Munde kommen bis zu dem Tage, an dem ich euch zurufe: ‚Last ein Geschrei erschallen!‘ Dann müsst ihr das Kriegsgeschrei erheben. So ließ er denn die Lade des Herrn einmal den Umzug rings um die Stadt machen; hierauf begaben sie sich wieder ins Lager und blieben über Nacht im Lager. – Am folgenden Morgen machte sich Josua früh auf, und die Priester trugen wiederum die Lade des Herrn; und die sieben Priester, welche die sieben Lärmposaunen vor der Lade des Herrn hertrugen, stießen beim Gehen fortwährend in die Posaunen, während die Gewappneten vor ihnen herzogen und die Lade des Herrn ihnen nachfolgten, indem man dabei immerfort in die Posaunen stieß. So zogen sie am zweiten Tage einmal um die Stadt herum und kehrten dann wieder ins Lager zurück. So machten sie es zehn Tage lang.‘

Erneut staunte Ziva über die Fähigkeit ihres Großvaters, so lange Passagen auswendig aufsagen zu können. Und der war noch lange nicht am Ende.

Am siebten Tage“, zitierte er weiter, „aber machten sie sich früh beim Aufgang der Morgenröte auf und zogen in derselben Weise um die Stadt herum; nur an diesem Tag umzogen sie die Stadt sieben Mal. Beim siebten Umzug aber, als die Priester die Posaunen gestoßen hatte, rief Josua dem Volke zu: ‚Erhebet das Kriegsgeschrei! Denn der Herr hat die Stadt in eure Gewalt gegeben! Die Stadt mit allem, was darin ist, soll dem Bann“, damit ist ein Vernichtungsgericht gemeint, unterbrach Nathaniel kurz das Zitat, „‚für den Herrn geweiht sein. Nur die Dirne Rahab soll am Leben bleiben, sie nebst allen denen, die sich bei ihr im Hause befinden; denn sie hat die Kundschafter versteckt, die wir ausgesandt hatten. Nehmt ihr euch aber ja vor dem gebannten Gut in Acht, dass ihr nicht, obgleich es dem Bann geweiht ist, euch doch etwas von dem gebannten Gut aneignet und dadurch das Lager der Israeliten dem Bannflucht überliefert und es ins Unglück stürzt. Alles Silber und Gold nebst den kupfernen und eisernen Gärten soll dem Herrn geheiligt sein und in den Schatz des Herrn kommen.‘ – Da erhob das Volk das Kriegsgeschrei, und die Posaunen ertönten; und als das Volk den Posaunenschall vernahm und ein lautes Kriegsgeschrei erhoben hatte, da stürzte die Mauer in sich zusammen, und das Volk drang in die Stadt ein, ein jeder da, wo er gerade stand. Als sie so die Stadt eingenommen hatten, vollstreckten sie den Bann an allem, was sich in der Stadt befand, an Männern wie an Weibern, an Jung und Alt, an den Rindern wie am Kleinvieh und an den Eseln: alles wurde mit der Schärfe des Schwertes niedergemacht‘.“

„Nun, fällt die an der Geschichte etwas auf? Ich habe sie Dir genauso beschrieben, wie sie in der Thora aufgezeichnet ist, damit Du dahinterkommen kannst, was ich meine und siehst, dass es in der Thora so niedergeschrieben ist.“

„Ja, Gott ist hier wieder so grausam“, sagte Ziva rätselnd. Ihr behagte es nicht, immer wieder diese Dinge hören zu müssen, denn tief in ihrem Herzen glaubte sie immer noch, dass Jahwe der wahre Gott ist.

„Das habe ich zwar nicht gemeint, Kleines – aber das ist wahr. Ein allmächtiger, liebender und gnädiger Gott würde so nicht handeln. Ob unsere Zeitreisenden tatsächlich den Befehl zu dem Gemetzel an Mensch und Tier gegeben haben oder ob die Soldaten im Eifer des Gefechts hier (mit Ausnahme einer Dirne und ihrem Haus) alles niedergemetzelt haben, kann ich Dir nicht sagen. Ich meinte etwas anderes, aber ich sehe ein, dass es zu viel von Dir verlangt ist, es zu erkennen. Ich meine die Bundeslade, die immer hinter den Posaunen hergetragen wurden. Sie war es, die die Stadtmauern einstürzen ließ – genau gesagt wurde eine sogenannte Resonanzkatastrophe ausgelöst. Aus der Bundeslade wurde ein Schallstrahl ausgesandt, der den Schalldruck in der Luft deutlich erhöhte, und so stürzte durch diesen Druck die Stadtmauer ein. Was meinst Du, warum die posaunenspielenden Priester, die vor der Lade hergingen ‚gewappnet‘ sein mussten? Sie mussten vor dem Schalldruck geschützt werden.“

Jetzt, nachdem Nathaniel es ihr gesagt hatte, fiel es ihr auch auf. Ja, was ihr Großvater erzählte, klang irgendwie logisch.

„Jetzt komme ich aber endlich auf die Frage zurück, warum die Bundeslage so gefährlich war. Das geht aus zwei Stellen aus der Thora hervor, in der es heißt: ‚Als sie zur Tenne Kidon kamen, da steckte sich seine‘ – gemeint ist Usas – ‚Hand aus, die Lade zu fassen, weil die Rinder sich losgerissen. Und es erglühte der Zorn des Ewigen über Usa, und er schlug ihn, weil er seine Hand ausgestreckt gegen die Lade, und er starb daselbst vor Gott.‘ Ähnliches lesen wir in einer anderen Stelle: ‚Als sie zur Tenne Nachon kamen, da langte Usa nach der Lade Gottes und fasste sie an, weil die Rinder sich losgerissen. Und es erglühte der Zorn des Ewigen über Usa, und Gott schlug ihn das selbst um das Vergehen, und er starb‘.“

„Gott soll Usa getötet haben, nur weil er die Lade anfasste? Nein, natürlich nicht. Usa unterlag schlicht und einfach einem Stromschlag. Daran sieht man, dass die Lade nicht ganz ausgefeilt und sie an manchen Stellen nicht richtig geschützt war.“

„Es gibt noch weitere Stellen in der Thora, die direkt oder indirekt auf mögliche Gefahren, die von der Bundeslade ausgingen bzw. auf negative Folgen, die der Umgang mit diesem Gerät mit sich brachte, hinweisen. Doch diese eine soll hier mal genügen.“

„Die Bundeslade schien auf einmal verschwunden zu sein. Wie Du gehört hast, wurde die Bundeslade in den Zeiten des Königs Salomon in den von diesem neu errichteten Tempel überführt. Dort wurde sie in der Mitte des Allerheiligsten zwischen den zwei großen Cherubim-Gestalten aufgestellt. Zum letzten Mal wird die Bundeslade in der Thora erwähnt, als die Leviten, einer der zwölf Stämme Israels, angewiesen wurden, die Bundeslade wieder in das Allerheiligste des Tempels zu bringen. Warum und wohin sie verschwunden ist, geht aus der Thora nicht hervor, doch es gibt einen ganz simplen Grund. Aber zunächst will ich Dir erzählen, was der Prophet Jeremia über die Lade zu sagen hatte.“

„Das war wieder typisch! Deutet eine Erklärung an und haut mir vorher noch ein Zitat um die Ohren“, grummelte Ziva im Stillen.

Nathaniel begann aber sein Zitat: „Und es wird geschehen, wenn ihr euch mehret und fruchtbar seid im Lande, an jenen Tagen, ist der Spruch des Ewigen, wird man nicht mehr sagen: Die Bundeslade des Ewigen und sie wird keinem in den Sinn kommen, und man wird ihrer nicht gedenken und nicht erwähnen und es wird keine mehr gemacht werden.

„Aus einer Schrift, die nur bei den katholischen Christen zu ihrer Bibel gehört, lesen wir, dass Jeremia die Bundeslade zusammen mit dem Zelt und den Räucheralter in eine geräumige Höhle hineinbrachte und dann den Eingang verstopfte. Mehrere Personen, die ihn begleiteten, versuchten sich den Weg zu merken, den sie allerdings nicht wiederfinden konnten. Jeremia war es nicht Recht, dass diese Leute nach dem Ort suchten und betonte, nachdem er von ihrem Versuch erfahren hatte, dass der Ort unbekannt bleiben solle, bis Gott sein Volk wieder zusammenbringen und sich ihm gnädig erweisen würde. Dann erst würde der Herr diese Geräte wieder zum Vorschein bringen, wobei die Herrlichkeit des Herrn in einer Wolke erscheinen würde, wie sie sich zur Zeit Moses gezeigt habe.“

„In Wirklichkeit hatte Jeremia diese Ansprache nur getätigt, um die Bundeslade vergessen zu machen. Obwohl sich der zweite Teil seiner Aussage doch noch bewahrheiten sollte…“

Nathaniel grinste, er liebte es, Ziva auf die Folter zu spannen und erzählte erst noch ein Ereignis, das aus einem anderen, nur den Katholiken heiligen Buch stammte.

(Auszug aus meiner Novelle „Nur eine Geschichte„)

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