Buchbesprechung: Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann: Das erste Leben der Angela M.

  • von Roland M. Horn

Ralf Georg Reuth und Günter Lachmann
Das erste Leben der Angela M.
Piper, München/Zürich, 2013
ISBN: ‎ 978-3492055819
Preis: 22,00 €
Gebundene Ausgabe, 336 Seiten, 17 Fotos (s/w), Register

Der Historiker Ralf Georg Reuth hat mich schon mit seinem Buch Hitlers Judenhass: Klischee und Wirklichkeit beeindruckt, bewies er dort doch entgegen landläufiger Meinung, dass Hitler in seiner Zeit im Männerwohnheim noch kein Judenhasser war, sondern im Gegenteil sogar jüdische Freunde hatte.

Im jetzt vorliegenden Buch kann Reuth zusammen mit dem Redakteur der Welt-Gruppe in Berlin Günter Lachmann erneut beweisen, dass die Biographie eines Politikers – in diesem Fall einer Politikerin – anders verlaufen ist als es offiziell dargestellt wird  Hier geht es um niemanden anderes als die ehemalige und langjährige Bundeskanzlerin der (erweiterten) BRD Angela Merkel (die hier natürlich keinesfalls  mit Hitler verglichen werden soll, um Missverständnissen vorzubeugen!)

Angela Merkel, geb. Angela Dorothea Kasner war die Tochter des Pfarrers Horst Kasner und dessen Frau Herlind und wurde am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in der Uckermark.

Angela Kasner hatte keine Hobbies, von Museums- und Theaterbesuchen bei ihrer Großmutter in Berlin abgesehen. Sie weder musikalisch noch sportlich. Angela war FDJ-Funktionärin und stand dem DDR-Sozialismus – wenn auch einem geänderten – nahe. Bekannte von  ihr wunderten sich später, dass sie nach der Wende CDU-Politikerin wurde.

Während ihres Physik-Studiums lernte Angela den schweigsamen Ulrich Merkel aus dem sächsischen Vogtland kennen. Dafür, dass sie mehr der “Kumpeltyp” war, ging alles sehr schnell. Die 20-jährige Angela Kasner heiratete ihn nach drei Jahren Freundschaft im Alter von 23 Jahren, doch die Ehe hielt nicht lange: Bereits mit 27 wurde Angela geschieden. Den Namen Merkel hielt sie bis heute bei. Selbst bei der Heirat mit dem Quantenmechaniker Joachim Sauer im Jahr 1998, mit dem sie schon lange Jahre in “Wilder Ehe” zusammenlebte, behielt sie den Namen ihres ersten Mannes bei, schließlich war sie zu jener Zeit schon unter dem Namen “Angela Merkel” sehr bekannt.

Später arbeitete Angela Merkel in für die Akademie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der  Wissenschaften der DDR in Berlin, einer Einrichtung, “bei der natürlich auch das gesellschaftliche Engagement und die Haltung gegenüber dem SED-Staat eine wichtige Rolle spielte”. Zur Arbeit fuhr sie mit der S-Bahn, wo sie das Neue Deutschland las, später im Büro studierte sie die Prawda. Obwohl sie nach eigenen Angaben das Individualistische mag und das kollektivistische nicht, hatte sie sich überraschend gut in das Kollektiv eingefügt.

Gegenüber ihren Aussagen von heute war Angela Merkel in ihrem “1. Leben” zweifellos Sekretärin für Agitation und Propaganda. Nach Angaben des späteren CDU-Verkehrsminister Günter Krause propagierte sie nicht etwa die idealistische Weltanschauung der CDU, sondern den Marxismus-Leninismus. Angela Merkel war eng mit dem SED-Mitglied Utz Havemann befreundet, der am Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie erarbeite und dort einige Freiheiten besaß. Angela Merkel sagte später, dass er sie damals besonders geprägt habe.

Ein Zitat von Angela M. aus ihrem ersten Leben lautet: “Wenn wir die DDR reformieren, dann nicht im bundesrepublikanischen Sinne.”

Erst kurz vor der Wende setzte sich Angela Merkel – die sich sehr zur Verwunderung ihrer Kollegen weit vorwagte – ohne Zurückhaltung vehement für die neue Politik nach dem Vorbild des “Perestroikalandes” Russland ein. Als die Mauer endlich fiel, brach Merkel – im Gegensatz zu zahlreichen anderen – nicht spontan auf, um in den Westen zu gelangen, aus dem sie gerade erst zurückgekehrt war. Doch jetzt war ihr plötzlich klar, das man – wenn man die freie Wahl habe – es das Westmodell sein müsse.

Angela M. setzte sich nun für den Demokratischen Aufbruch (DA) – eine politische Gruppierung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die sich im Oktober 1989, in der Zeit der Wende, konstituierte und 1990 mit der Ost-CDU fusionierte, um sich am 2. Oktober  mit der West-CDU zu vereinigen – ein und wurde schließlich Pressesprecherin dieser Gruppierung. Jetzt bekannte sich zur sozialen Marktwirtschaft, wie sie in der BRD praktiziert wurde und heute noch wird. Später wurde Angela M. zusätzlich Politikberaterin des damaligen Vorsitzenden der Ost-CDU, Lothar de Mazière, und scheute sich auch nicht , diesen zu korrigieren und sogar während eines Radiointerviews  zu unterbrechen und den Interviewer aufzufordern, das Tonband abzuschalten.

Auf einer Sitzung der Vorstands- und Haupausschusssitzung am 30. Juni 1990 wurde sich die DA über eine Zusammenarbeit mit der CDU einig. Eine Frage stand jedoch noch im Raum: “Sollte sie direkt mit der West-CDU fusionieren oder den Umweg über die ehemalige Blockpartei nehmen?”  Bei der Sitzung brachte Angela M. vor, dass der DA-Landesverband Berlin für ein Zusammengehen mit dem West-Berliner CDU-Landesverband sei, legte jedoch eine vorherige Vereinigung mit der Ost-CDU nahe. Reuth und Lachmann schreiben dazu: “Dies geschah wohlüberlegt und mit Blick auf ihre eigene Perspektive. Denn mit der von de Mazière geführten [Ost]-CDU im Rücken würde diese in der wiedervereinigten Union ungleich besser sein. ” (S.262)

Bald eröffnete sich für Merkel die Möglichkeit, mit Helmut Kohl zusammenzutreffen, so dass sie für ihn keine Unbekannte mehr war. Angela M. führe in jener Zeit mehrere Gespräche mit dem Bundeskanzler der BRD.

Am 27. September 1990 kam es zu einer Wahlkreismitgliederversammlung im Wahlkreis Stralsund-Rügen-Grimmen. Versammlungsleiter war Udo Timm, der  “ziemlich genau 24 Stunden zuvor mit ihr [Merkel] bei einem konspirativen Treffen in seinem Hobbykeller alles Weitere besprochen hatte”, wie Reuth und Lachmann schreiben. Im ersten Wahlgang erhielt der Kandidat Hans-Günter Zemke 45,9 Prozent der Stimmen, ein weiterer Kandidat, Klaus Hermann, 69 und Merkel  31,5 Prozent. Nachdem die Anwesenden dem vermeintlichen Wahlsieger Zemke applaudierten, verließen merkwürdigerweise  35 potentielle Zemke-Wähler den Versammlungssaal. “Offenbar nahmen sie an, dass ihr Mann gewonnen habe. Ob jemand im Saal diese falsche Nachricht verbreitete, ist heute nicht mehr rekonstruierbar,” schreiben Reuth und Lachmann. Doch es kam zu einer Stichwahl, die Merkel mit 51,8 Prozent der Stimmen gewann. Auf diese Weise kam Angela M. zu ihrem Bundestagsmandat.

Nach dem Rücktritt von Lothar de Mazière als stellvertretender CDU-Vorsitzender  im September 1991 wurde Merkel einzige Stellvertreterin des CDU-Vorsitzenden Kohl und der Grundstein für ihren weiteren Aufstieg war gelegt.

In ihrem Fazit schreiben Reuth und Lachmann unter anderem:

“Am Ende war es der Kanzler der Einheit selbst, der im Jahr nach seiner Wahlniederlage und seinem Rücktritt als Bundesvorsitzender im Zuge der Parteispendenaffäre von ‘seinem Mädchen’ vom Denkmalsockel gestoßen wurde. Diese Maßnahme gegen den Mann, dem sie ihren steilen Aufstieg in der CDU verdankte, suchte an Abgebrühtheit ihresgleichen. Fast könnte man glauben, hier wirkte bei Angela Merkel ein tief aus ihrem Inneren kommender Reflex nach, denn sie hatte die deutsche Einheit, für die der Name Helmut Kohl steht, ursprünglich ja gar nicht gewollt.

Es war intelligent, wie Angela Merkel die Parteispendenaffäre für ihre Zwecke instrumentalisierte, um Kohl die Rolle des Übervaters zu nehmen und gleichzeitig den CDU-Vorsitzenden Schäuble zu demontieren. Kalt nutzte sie das Vakuum, das allein das Ausscheiden Kohls als Pateivorsitzender hinterlassen hatte und zu dem nun durch die Parteispendenaffäre noch Orientierungslosigkeit und Ratlosigkeit trafen.” (S. 287)

Die Folge war die Wahl der Angela M. zum neuen Parteivorsitzenden der CDU am 10. April 2000.

Das Buch ist wohlrecherchiert, die Autoren griffen u. a. auf Aussagen ehemaliger Weggefährten von Angela Merkel, auf Presseberichte und Akten aus dem Bundesarchiv zurück. Reuth und Lachmann zeigen überdeutlich, wie Angela Merkel wirklich tickte. Pflichtlektüre!

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