Das Hirngespinst vom internationalen Jerusalem

Vor hundert Jahren wurde die Internationalisierung Jerusalems über einem Mittagessen irrelevant – und bleibt es.

In der Aufregung um Präsident Trumps Ankündigung der US-Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt lautet der konstante Refrain, dass man darauf besteht, dass laut langjährigem internationalen Konsens der Status der Stadt erst noch beschlossen werden muss. Die aktuelle Resolution der UNO-Vollversammlung formuliert das mit den Worten: „Jerusalem ist eine Endstatus-Frage, die über Verhandlungen in Übereinstimmung mit den einschlägigen UNO-Resolutionen gelöst werden muss.“

Die am meisten „einschlägigen“ dieser früheren Resolutionen war die Resolution vom November 1947, die eine Teilung Palästinas vorschlug und vorsah, dass zusätzlich zu zwei unabhängigen Staaten – einem arabischen und einem jüdischen – ein komplett eigener Status für Jerusalem als Stadt gehören sollte, die zu keinem Staat gehört, sondern stattdessen von einem „internationalen Sondersystem“ verwaltet wird.

Man sollte gedacht haben, dass die massive arabische Ablehnung des gesamten Teilungsplan, in all seinen Teilen, die Idee eines internationalisierten Jerusalem zunichte gemacht haben sollte. Offenbar ist dieses Hirngespinst aber zu bequem sich, als dass es sich für immer verzieht.

Das ist der Grund, dass es nützlich ist zu wissen, dass die Internationalisierung Jerusalems fast genau drei Jahrzehnte vor dem UNO-Plan von 1947 gekillt wurde – und entscheidend gekillt. Wer hat sie abgeschossen? Daran hängt eine Geschichte und hier ist ein Hinweis: Es waren weder die Araber noch die Juden.

In der ersten Dezemberhälfte 2017 beging Jerusalem den 100. Jahrestag der Kapitulation der Stadt vor dem britischen General Edmund Allenby. Am 11. Dezember 1917 krönte Allenby seinen militärischen Erfolg damit den osmanischen Türken und ihren deutschen Verbündeten Jerusalem zu entreißen mit einer Feier, die bis heute nachhallt.

In einer Vorführung scheinbarer Bescheidenheit betrat Allenby die Stadt durch das Jaffa-Tor zu Fuß, ohne Flaggen oder musikalisches Trara. Dann betrat er das Podium am Eingang zur Zitadelle (Davidturm) und verlas eine unkomplizierte Bekanntmachung: Die Stadt werde unter Kriegsrecht gestellt und der Status quo bezüglich der heiligen Orte würde weiter gelten. Nachdem er einer Auswahl Jerusalemer Honoratioren die Hand schüttelte, verließ er die Stadt, nachdem er eine ganze Viertelstunde in der Stadt verbracht hatte.

Die Illustrated London News brachte ein später berühmtes Foto Allenbys, wie er Jerusalem zu Fuß betrat; Es zeigte die Szene  als den „einfachen und ehrfurchtsvollen Einzug in Jerusalem“. Tatsächlich war der Fototermin sorgfältig inszeniert, um einen Propagandapunkt gegen den deutschen Feind zu schaffe. Kaiser Wilhelm hatte Jerusalem bei seinem Besuch 1898 auf einem weißen Ross mit wehenden Fahnen betreten. Deshalb erhielt Allenby bei seiner Ankunft drei Wochen zuvor von seinem Vorgesetzten, General William Robertson, dem Chef des Imperial General Staff, folgende Anweisung:

Im Falle der Besetzung Jerusalems wäre es von beträchtlicher politischer Bedeutung, wenn Sie beim offiziellen Betreten der Stadt am Stadttor vom Pferd steigen und sie zu Fuß betreten. Der deutsche Kaiser ritt hinein und es ging der Spruch um „ein besserer Mann, als er ging“. Der Vorteil des Kontrastes wird offensichtlich sein.

Es war in der Tat offensichtlich und mit britischen Propaganda-Fotos und –Filmen gut dokumentiert. Das ist der Grund, dass selbst heute der Einzug der Sieger und Allenbys Erklärung einen Ehrenplatz in der Erinnerung an diesen Dezember 1917 einnehmen. Vor zwei Wochen wurde in der Altstadt vor einem begeisterten Publikum von mehreren hundert Menschen sowohl der Einzug wie auch die Proklamation nachgestellt.

Aber am selben Tag 1917 gab es eine weitere Veranstaltung, abseits der Kameras, aber genauso bemerkenswert. Tatsächlich bietet diese zweite Veranstaltung die beste Erklärung dafür, warum die Internationalisierung Jerusalems 1947 niemals eine  Chance hatte – oder zu sonst einer Zeit seitdem.

Als Jerusalem fiel, war die geheime Sykes-Picot-Vereinbarung vom Mai 1916 immer noch in Kraft. Diese Vereinbarung zur Aufteilung des osmanischen Reichs war von den großen alliierten Mächten getroffen worden: Großbritannien, Frankreich und Russland. Wegen der Oktober-Revolution nur Wochen vor der Eroberung Jerusalems schied Russland aus, aber das ließ immer noch Großbritannien und Frankreich übrig (außerdem Italien, das sich dieser Allianz spät anschloss).

Weil sowohl Großbritannien als auch Frankreich Palästina beanspruchten und einen Konflikt noch vor seiner Eroberung verhindern wollten, hatten sie beschlossen es zu teilen. Laut Vereinbarung sollten Jerusalem, Jaffa und die Zone dazwischen eine „internationale Verwaltung“ bekommen, über deren Form durch Konsultationen der Alliierten entschieden werden sollte. Sykes-Picot war damit der erste Plan zur Internationalisierung Jerusalems.

Aber während der Krieg in Palästina vorankam, wurden fast das gesamte Kämpfen und Sterben im Kampf gegen die Türken von den imperialen Streitkräften der Briten erledigt. Der britische Premierminister Lloyd George schreckte vor der Vorstellung zurück, eine britische Eroberung mit den Franzosen zu teilen. Im April 1917 sagte er dem britischen Botschafter in Paris: „Die Franzosen werden unser Protektorat akzeptieren müssen; wir werden durch Eroberung dort sein und bleiben.“

Die Franzosen waren allerdings genauso entschlossen ihre Rechte laut Sykes-Picot-Abkommen geltend zu machen. Und so gehörte zum Einzug der Sieger in Jerusalem am 11. Dezember nicht nur ein kleines französisches Militärkontingent, sondern auch François George-Picot, der französische Diplomat, der die Vereinbarung ausgehandelt hatte.

Picot war gerade von seiner Regierung als „Hochkommissar der französischen Republik in den besetzten Gebieten Palästina und Syrien“ ernannt worden. Er hatte zudem präzise Anweisungen des französischen Premierministers. „Sie müssen die besetzten Gebiete organisieren, um sicherzustellen, dass Frankreich einen ebenbürtigen Halt wie den Englands erhält.“. Im November 1917 erinnerte Picot Allenbys politischen Offizier, Brigadegeneral Gilbert Clayton, an diese Fakten.

„Vor mehr als einem Jahr“ sollte Clayton von Picot berichten, „wurde zwischen der britischen und der französischen Regierung vereinbart, dass, abhängig von der Endregelung zu den Friedensbedingungen, jeder eroberte Teil Palästinas gemeinsam verwaltet werden soll.“ Darüber hinaus, fügte Clayton hinzu, handelte Picot selbst „in der vollen Überzeugung, dass er der französische Vertreter in einer gemeinsamen anglo-französischen provisorischen Verwaltung sein würde, die das besetzte Feindgebiet in Palästina bis zum Ende des Krieges regieren würde – wann eine internationale Vereinbarung getroffen werden würde.“

Das ist der Grund, dass Picot sich im Gefolge von Allenbys siegreicher Armee nach Jerusalem aufmachte. Aber auch Allenby hatte seine Befehle. Generalstabschef Robertson hatte ihn zwei Wochen zuvor angewiesen, dass er „keinerlei Ideen einer gemeinsamen Verwaltung in Erwägung ziehen sollte“. Der Weg die Franzosen zu umgehen bestand darin Jerusalem und den Rest des Landes unter einer Militärregierung zu halten, solange der Krieg andauerte. Da Allenby der Oberkommandierende war, hieß Militärherrschaft die Herrschaft durch Allenby, ausgeübt über jeden Militärstatthalter, den er gegebenenfalls ernannte.

Und das ist genau das, was Allenby in seiner berühmten Ankündigung auf den Stufen des David-Turms sagte. Jerusalem, sagte er der versammelten Menge, war „von meinen Streitkräften“ besetzt worden. „Daher erkläre ich es hier und jetzt als unter Kriegsrecht stehend; unter dieser Art der Verwaltung wird es bleiben, solange militärische Überlegungen das notwendig machen.“

Aber was bedeutete das? Und schloss es die Franzosen aus? Nachdem die Zeremonie in Jerusalem vertagt worden war, zogen sich Allenby, Picot und die anderen Hauptteilnehmer zu einem Mittagessen im militärischen Hauptquartier direkt außerhalb der Stadt bei Ein Kerem zurück. Major T.E. Lawrence (d.h. „Lawrence von Arabien“) nahm ebenfalls teil; er war auf Allenbys Geheiß aus Aqaba gekommen. In seinen Memoiren Seven Pillars of Wisdom beschrieb Lawrence die Szene:

Eine Weile lang fiel eine kurze Zeit der Stille über uns, die von Monsieur Picot, dem französischen politischen Repräsentanten, dem von Allenby erlaubt wurde, beim Einmarsch  an der Seite von Clayton zu gehen, mit seiner flötenden Stimme zerschlagen wurde, der sagte: „Und morgen, mein lieber General, werde ich die notwendigen Schritte unternehmen, um in dieser Stadt die Zivilregierung zu bilden.“

Es war das mutigste aktenkundige Wort; es folgte Stille, als ob sie im Himmel das siebte Siegel geöffnet  hätten. Salat, Hühnchenmayonnaise und Foie-Gras-Sandwiches hingen ungekaut in unseren feuchten Mündern, während wir uns Allenby zuwandten und starrten. Selbst er schien für den Moment in Verlegenheit zu sein. Wir begannen zu fürchten, dass das Idol eine Schwäche verraten könnte. Aber sein Gesicht wurde rot: Er schluckte, sein Kinn ging nach vorne (so wie wir das liebten), während er mit grimmiger Miene sagte: „In der militärischen Zone ist die einzige Obrigkeit, die des Oberkommandierenden – meiner selbst.“ „Aber Sir Grey, Sir Edward Gre…“, stammelte M. Picot. [Grey, inzwischen Lord Grey, war 1916 britischer Außenminister, als das Sykes-Picot-Abkommen beschlossen wurde.] Ihm wurde das Wort abgeschnitten. „Sir Edward Grey bezog sich auf die Zivilregierung, die eingerichtet wird, wenn ich urteile, dass die militärische Lage es erlaubt.“

Es wird weithin anerkannt, dass die Verlässlichkeit von Lawrence als Zeuge für Ereignisse draußen in der Wüste viel zu wünschen übrig lässt. Aber diese Episode ereignete sich an Allenbys Seite in Jordanien und in der Anwesenheit anderer britischer Offiziere. Sein Bericht kann daher, so farbenfroh er auch formuliert wurde, als vertrauenswürdig betrachtet werden.

In der Tat mag Lawrence sogar die Kanten weicher gemacht haben. Philip Chetwode, der Kommandant eines Corps in Palästina nahm ebenfalls an dem Mittagessen teil; in einem Brief aus dem Jahr 1939 an einen anderen Offizier, der anwesend gewesen war und der eine Allenby-Biografie verfasste, schrieb Chetwode:

Ich wünsche um Himmels willen, Sie würden einbringen, was der Franzose Allenby gegenüber sagte und was Allenby ihm sagte, als der Franzose sagte, er werde sofort die Zivilverwaltung Jerusalems übernehmen. Aber das kann natürlich niemals in einem Buch erscheinen.

Weil bereits eine Version in Lawrence‘ Seven Pillars of Wisdom erschienen war, könnte der Teil mit Allenbys Zurechtweisung, der „nie in einem Buch erscheinen“ könne, durchaus noch schroffer gewesen sein. (Louis Massignon, ein Picot zugewiesener französischer Offizier, schrieb: „Allenby drohte Picot barsch mit Verhaftung, sollte er sich einmischen.“)

Picots Bemühungen waren damit nicht erschöpft, aber die Würfel waren gefallen. Zehn Tage später beschwerte sich Picot, es habe keinen Fortschritt hin zu „anglo-französischer Verwaltung“ gegeben und sagte einem britischen Gesprächspartner, er „hätte nie zugestimmt nach Palästina zu kommen, hätte er das gewusst“. Obwohl Picots französische Kommission versuchte, für katholische heilige Orte wieder ein „religiöses Protektorat“ durchzusetzen (meistens in Gegnerschaft zu den Italienern), sollte es in Jerusalem keine „internationale Verwaltung“ geben, nur rein britische Kontrolle.

Obwohl Allenby militärische Notwendigkeit angeführt hatte, entwickelten die Briten darüber hinaus eine voll entwickelte These, warum sie – und nur sie – qualifiziert waren Jerusalem zu regieren. Die Briten, behaupteten sie kurz gesagt, waren völlig neutral. Lloyd George formulierte es so: „Da wir keines bestimmten Glaubens sind, sind wir die einzige Macht, die fähig sind Mohammedaner, Juden, Römisch-Katholische und alle Religionen zu regieren.“

Auf diese Weise scheiterte die erste Vereinbarung Jerusalem zu internationalisieren.

Warum ist das heute von Bedeutung? Hätte Allenby gezaudert und wäre nach dem Ersten Weltkrieg eine Art gemeinsamer Administration entstanden, könnte das Institutionen internationaler Führung geschaffen haben. Das hätte bis 1947, als die UNO die Teilung Palästinas und die Internationalisierung Jerusalems empfahl, 30 Jahre Erfahrungen angesammelt. Stattdessen zogen es die Briten in diesen Jahrzehnten vor Jerusalem genauso zu regieren, wie es die Osmanen vor ihnen gemacht hatten – nämlich durch Diktat.

1947 gab es für die Internationalisierung daher keinen Präzedenzfall, keine bürokratische Grundlage und keinen Mechanismus zur Umsetzung. Wie 1916 war es keine echte Option, sondern ein Platzhalter für Unentschlossenheit.

In den hundert Jahren seit Allenbys Einzug in Jerusalem hat die Stadt nicht einen einzigen Tag internationaler Verwaltung erlebt. Tatsächlich hat es in 3.000 Jahren keinen solchen Tag gegeben. Die Vorstellung, das stelle eine Art Standardlösung für die Zukunft Jerusalems darstellt, ist nur ein weiteres Beispiel versteinerter Frömmigkeit. Internationalisierung wurde vor einem Jahrhundert bei einem Mittagessen irrelevant und ist es seitdem immer geblieben.

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