Judenhass im Nahen Osten geht der Gründung Israels lange voraus
Diese Woche [1. Woche im November – d. Üb.] interviewte Piers Morgan den ägyptischen Komiker Bassem Youssef zum Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Das Interview in Piers Morgan Uncensored, das auf YouTube bereits mehrere Millionen Mal angesehen wurde, bietet eine nützliche Veranschaulichung der irreführenden Meinung zur Geschichte, die viele in der westlichen Linken übernommen haben. Diese Geschichte dient auch als Vorwand für arabischen und muslimischen Antisemitismus.
Youssef began mit einem relativ korrekten Teilhintergrund. Er erklärte, dass Jahrhunderte europäischen Antisemitismus Juden in Ghettos gezwungen hatte und sie auf Aktivitäten wie Geldverleih einschränkte, der von der mittelalterlichen Kirche als sündhaft betrachtet wurde. Doch die Juden überlebten ihre Verfolgung nicht nur, sie prosperierten auch. Und das intensivierte den europäisch-christlichen Wunsch sie zu bestrafen.
Youssef springt dann ins frühe 20. Jahrhundert, als die Verfolgung der Juden durch die Europäer ihren historischen Höhepunkt erreichte. Als die USA und Großbritannien in den 1930-er und 1940-er Jahren die jüdische Zuwanderung einschränkten, zwang das immer mehr Juden von Europa in den Nahen Osten zu emigrieren, was 1948 in der von der UNO sanktionierten Bildung des Staates Israels gipfelte. Damit wurden die Folgen des Antisemitismus Europas, seines Versagens die sogenannte Judenfrage zu beantworten, den Arabern und Muslimen untergeschoben. In diesem Kontext erwähnte Youssef das Massaker von Deir Yassin durch jüdische Milizen an den palästinensischen Arabern am 9. April 1948. Er verglich das mit dem Massaker der Hamas an Juden im Süden Europas im Oktober.
Youssefs historische Skizzierung bestätigt das vorherrschende Narrativ unserer Zeit. Nämlich, dass die Konflikte, die den Nahen Osten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs heimgesucht haben, das Produkt von Entscheidungen sind, die von weißen Europäern getroffen und einer Welt voller passiver, unschuldiger „indigener Völker“ aufgezwungen wurden. Das bedeutet, dass der ungezügelte Antisemitismus im nahen Osten praktisch als westlich-europäische Schöpfung dargestellt wird.
Als Araber und Muslim erkenne ich diese Geschichte nur allzu gut. Es handelt sich um eine, die ich erbte und selbst sehr lange erzählte. Das war so, bis ich die Unredlichkeit dieser Darstellung der arabischen und muslimischen Geschichte nicht länger ignorieren konnte.
Denn immerhin: Wäre diese Erzählung auch nur nahe an der Wahrheit, warum haben Pro-Hamas-Protestler weltweit dann „Khaybar, Khaybar ya Yahud“ gebrüllt – ein Verweis auf die Ermordung und Vertreibung jüdischer Stämme im siebten Jahrhundert aus der Oase Khaybar auf der Arabischen Halbinsel – statt etwas, das mit Deir Yassin zu tun hat? Wenn ein Massaker und die Gründung Israels 1948 der Auslöser für muslimischen Antisemitismus wäre, warum bildete Issedin al-Qassam ein Kleriker, nach dem die Hamas ihre Raketen und Mörder-Brigaden benennt – schon in den 1930-er Jahren die antisemitisch-islamistische Gruppe die Schwarze Hand? Und warum war der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini (der sowohl von den Briten als auch Nazi-Deutschland als Führer der damaligen arabischen Welt anerkannt wurde) so scharf darauf den Nazi-Holocaust in den Nahen Osten zu bringen?
Hätten Sie mir diese Fragen gestellt, als ich jünger war, hätte ich eine Liste von Beschwerden über jüdische Flüchtlinge aus Europa abgespult, die in den 1920-er und 1930-er Jahren die Rechte einheimischen arabischen Bevölkerung verletzt haben. Aber in den letzten Jahren änderte ich meine Meinung. Ich sah mich in meiner Heimatstadt London um, die von Immigranten wie mir selbst komplett umgewandelt worden ist, und sah die Arroganz und Heuchelei meiner Haltung.
Ich ordnete jüdische Flüchtlinge aus Europa als Verbrecher ein, während ich mich selbst als ehrenwertes Opfer betrachtete. Ich rechtfertigte das Tun derer, die jüdische Migration ins Mandat Palästina während des Holocaust gewalttätig ablehnten, gleichzeitig betrachtete ich mich als fraglos berechtigt im Westen Zuflucht zu finden.
Dieselbe Heuchelei durchdringt die „pro-palästinensischen“ Demonstrationen, die in ganz Europa ausgebrochen sind. Diese Proteste, durchdrungen von Pro-Hamas-Gefühlen, haben dazu geführt, dass jüdische Gemeinden um ihre Sicherheit in Ländern fürchten lassen, die versprochen hatten, sie würden das nie wieder tun müssen.
Die jüngsten Proteste in Großbritannien bestehen größtenteils aus neu Zugewanderten, den Nachkommen von neu Zugewanderten und identitären Linken, die alle zweifelsfrei darauf bestehen, dass es keine Beschränkungen für Migration von wo auch immer geben solle, egal aus welchem Grund sie flohen, egal, welchen Einfluss sie auf die britische Gesellschaft haben. Und doch sind das dieselben Leute, die ohne nachzufragen Youssefs Erzählung akzeptieren, dass jüdische Migration in den Nahen Osten den arabischen und muslimischen Antisemitismus verursachte. Ich frage ich, ob Youssef, wenn ihm beim nächsten Mal, wenn er in seiner Wahlheimat USA Vorurteilen begegnet, so verständnisvoll sein wird, wie er es gegenüber arabischem und muslimischem Rassismus gegen Juden zu sein scheint.
Es gibt in Youssefs Geschichte einen weiteren offenkundigen blinden Punkt – nämlich das Beinahe-Verschwinden von jüdischem Leben überall im Nahen Osten außer in Israel. Tatsächlich ist mehr als die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Israels dort im Verlauf der letzten 75 Jahre aus dem Rest des Nahen Ostens gekommen. In meinem eigenen Geburtsland, Libyen, ist eine jüdische Präsenz, die tausende Jahre zurückreicht, von Antisemitismus komplett ausgelöscht worden.
Der Holocaust zwang die Europäer sich ihrer dunklen Geschichte des Antisemitismus zu stellen. Aber die arabische und muslimische Welt musste nie dasselbe tun, trotz der unbequem engen Verbindung zwischen Nazi-Deutschland und den Führern dessen, was später der moderne Islamismus werden sollte.
Die Wahrheit lautet, dass arabische und muslimische Gesellschaften ihr eigenes Antisemitismus-Problem haben und dabei handelt es sich um eines, das sie selbst genährt und erzeugt haben. Es ist unbestreitbar, dass er Hass auf Juden durch Nichtjuden im Nahen Osten, der in einer Theologie und Geschichte wurzelt, der Juden als den Araber gegenüber für minderwertig erachtet, der Gründung des jüdischen Staates lange voraus geht. Und dieser Hass ist nur noch intensiver geworden, je mehr die Juden trotz ihrer Verfolgung überlebt und Erfolg hatten.
Heute ist es mehr als jemals zuvor unerlässlich, dass wir nicht auf moderne, verwestlichte Rechtfertigungen für den ältesten Hass hereinfallen.