(Quelle Beitragsbild oben: Demonstranten in Jerusalem fordern die Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln, 7. Mai 2024 (Foto: Chaim GoldbergFlash90)

Es ist unvorstellbar, dass es bei der ganzen Opposition gegen die jetzige Regierung nur um Neuwahlen oder auch nur um den Austausch des Premierministers geht.

Es hat eine immense Investition in Proteste gegen die derzeitige israelische Regierung, ihre Führung und ihre Politik gegeben. Ganz vorne befindet ich natürlich der fanatische Hass auf den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu. Dem folgt direkt die Dämonisierung von „extremen“ oder „weit rechts stehenden“ Leitungspersönlichkeiten, womit natürlich Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir gemeint sind, die eindeutig die Marionettenfäden der Macht ziehen, womit sie die Fortsetzung ihrer Amtszeit sicherstellen.

Die Anklage der Regierung ist ästhetischer als politisch detailliert: Der Premierminister ist nur an seinem eigenen Überleben interessiert und alles, was getan wird, geschieht aus politischen Gründen und stellt einen Verrat an den Interessen des israelischen Volks dar.

Gut, so verstehen wir den fanatischen Hass auf Netanyahu. Aber was genau tut er oder nicht, das einen Verrat an den Interessen des Volks ausmacht?

Dies wird nie richtig artikuliert und weil die Natur ein Vakuum verabscheut, bleibt das für Interpretation darüber offen, was die Demonstranten im Sinn haben. Die Wortwahl in der Parole „Bring Them Home Now“ impliziert eindeutig – und ich denke gezielt – dass die Befreiung der Geiseln unsere Sache ist: Dass es in unserer Macht und Fähigkeit liegt, dass sie uns zurückgegeben werden.

Das Versagen das zu erreichen, muss daher der israelischen Führung zur Last gelegt werden, die die Schuld auf sich lädt die Geiseln im Stich zu lassen. Die Schlussfolgerung lautet daher, dass unsere Führung nicht bereit ist zu tun, was nötig ist, um die Geiseln nach Hause zu „bringen“.

Was genau wäre nötig, damit das geschafft wird?

Nun, einige der Demonstranten sind ehrlich genug ihre tiefsitzende Überzeugung auszusprechen: Zahlt jeden Preis dafür. Wiederholt die Katastrophe des Gilad-Shalit-Deals, verstärkt durch die Realität, dass es hier 120 Geiseln statt nur eine gibt.

Diese Forderung stellt die Herangehensweise der Regierung an die Geisel-Situation natürlich komplett auf den Kopf, die schon beim ersten ausgehandelten Deal, der dadurch zustande kam, dass militärisches Können und Erfolge die Hamas dazu brachte an den Verhandlungstisch zu kommen.

Durch die ganze Medien-Kampagne zur Unterstützung der Demonstranten wird diese Strategie, die Hamas militärisch zur Freilassung der Geiseln zu zwingen, verschleiert und , was schlimmer ist, verteufelt.

Natürlich scheint es so, als ob der Fokus auf den Sieg über die Hamas von den Demonstranten zunehmend als eigennützige Möglichkeit betrachtet die Regierung an der Macht zu halten, statt als Wunsch der meisten Israelis.

Über dieses verdreht Denken hinaus gibt es die oben erwähnte offenkundige Verurteilung des Premierministers als Versager und jemand, der dieser Position nicht würdig ist.

Na schön. Jetzt lautet die Frage, was die Protestler neben der Verdrängung des Premierministers auf der Agenda stehen haben. Sicherlich kann einfach Neuwahlen anzusetzen nicht der Grund dafür sein, dass Demonstranten Autobahnen blockieren.

Das ist nicht die Frauenliga auf Steroiden. Es muss mehr geben auf der Wunschliste geben als Neuwahlen. Nun, was würden sich die Demonstranten z.B. als Ergebnis der Neuwahlen wünschen, außer natürlich der Absetzung des Premierministers?

Hier werden die Dinge etwas undurchsichtig und wahrscheinlich gewollt. Die Demonstranten wollen als öffentliche Treuhänder erscheinen, also scheuen sie sich davor von dem zu sprechen, was sie als Ausgang der Wahl erhoffen, die sie so verzweifelt herbeiwünschen.

Soll damit einfach die Rückkehr von Yair Lapid erreicht werden, vielleicht in Kombination mit Benny Gantz und gar Yair Golan? Mit anderen Worten: Ist das eine Vor-Wahlkampfveranstaltung für die Bildung einer Mitte-Links-Koalition, zu der vielleicht auch die Partei Ra’am gehören könnte?

Wenn dem so ist – und es scheint absolut vertretbar, das anzunehmen – was würde diese Koalition als im Interesse des israelischen Volks liegend betrachtet? Oder besser gesagt: Würde eine solche Koalition etwas voranbringen, von dem sie glaubt, es sollte im Interesse der Bürger sein, ob unsere Bürger das auch so sehen oder nicht?

Immerhin haben die Demonstranten Hilfe und Trost durch die Administration Biden erhalten, die sich sicher nicht zu schade ist, uns zu sagen, was das Beste für uns ist.

Ist es also realistisch anzunehmen, dass die wahre Agenda eine politische Plattform ist, die den Organisatoren bekannt ist, aber der überwiegenden Mehrheit der Demonstranten auf der Straße wahrscheinlich  nicht? Ist es auch möglich, dass die Agenda sich darauf konzentriert den feuchten Traum der Administration Biden zu verwirklichen sowie ein Schlüsselgrund dafür, dass die Administration gemeinsame Sache mit den Führern der Proteste macht: die Vision der Zweistaatenlösung voranzutreiben?

Die Bereitschaft dieses Luftschloss weiter zu verfolgen, kann kaum direkt artikuliert werden, obwohl Protestführer die Notwendigkeit von „nationalen Lösungen“ beschwören. Im Moment würden sie den Gedanken wahrscheinlich ablehnen, wenn nicht sogar rundheraus abstreiten und jeden verunglimpfen, der nahelegt, das stünde auf ihrer Agenda.

Allerdings dürfte dieses Ziel faktisch wesentlicher Bestandteil ihres Drängens die Regierung zu stürzen sein. Die Bereitschaft eine Zweistaatenlösung zu unterstützen könnte der Grund für die amerikanische Unterstützung der Demonstranten und die fehlende Transparenz ihrer Ziele sein.

Eine Zweistaatenlösung zu unterstützen ist nicht nur übel, sondern auch massiv naiv und ja: dumm. Die Tatsache, dass sie sehr wenig Beliebtheit genießt, ist für die Organisationen der Proteste kein strategisches Problem, da die Linke immer die Gefühle der „Erbärmlichen“ Israels geringgeschätzt hat. Das jetzt zu diskutieren, bevor die geeignete Koalition im Amt ist, wäre allerdings selbstzerstörerisch.

Also sollte jetzt sichergestellt werden, dass diese furchtbare Regierung abgelöst wird, damit wir alle beruhigt schlafen und uns rechtschaffener fühlen können. Und was dann passiert, nun… Ich schätze, Sie werden einfach abwarten müssen.

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