Das Khazaren-Märchen

* von Roland M. Horn

Die „Khazaren“ oder „Chasaren“ waren ein Turkvolk aus der Krim, das Legenden zufolge zum Judentum übergetreten sind. So beruft sich zum Beispiel der Autor Jan van Helsing in seinem Buch Geheimgesellschaften Teil 21Heute nur noch im Internet einsehbar: http://members.kfs.at/kingralf/ufo/buch/buch2/10.html auf den Autor Des Griffin. Der habe in seinem Buch „Anti-Semitism and the Babylonian Connection“ auf S. 11 geschrieben: „Es ist eine historisch belegte Tatsache, dass etwa 90% des modernen Judentums NICHT semitischer Abstammung sind.“ Weiter beruft sich van Helsing auf jüdischen Geschichtsforscher Arthur Koestler, der gesagt habe (Der 13. Stamm, S. 210), dass die Juden Europas und Amerikas zwei Hauptgruppen angehörten: Sephardim und Ashkenazim. Genauer untermauerte van Helsing diese Aussage mit der Aussagen eines gewissen Jack Bernstein, der van Helsing zufolge sagte:

„Es gibt zwei verschiedene Gruppen von Juden auf der Welt, und sie kommen von zwei verschiedenen Gegenden der Welt: Die sephardischen Juden vom Mittleren Osten und Nordafrika, während die aschkenasischen Juden aus Osteuropa kommen. Die sephardische ist die älteste Gruppe, und sie ist es, wenn überhaupt eine, die die in der Bibel beschriebenen Juden sind, weil sie in dem Gebiet wohnten, das in der Bibel beschrieben wird. Sie sind blutsverwandt mit den Arabern – der einzige Unterschied zwischen ihnen ist die Religion.“  (Jack Bernstein in seinem Buch “Das Leben eines amerikanischen Juden im rassistischen, marxistischen Israel, S. 23; zit. n. van Helsing)

Kurz und knapp: Nach van Helsing und seinen Quellen sind die Khazaren ein Volk türkischer Abstammung, deren Leben und Entstehen der jüdischen Geschichte mit Russland verflochten sind. Im 6. Jahrhundert hätten sich die Khazaren im Süden Russlands niedergelassen und sich dort stets im Krieg befunden. Das Reich dieser Khazaren habe sich über weite Gebiete vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer erstreckt. Der Knackpunkt, um den es geht, soll hier knapp zitiert werden: „Ende des 8. Jahrhunderts traten der Chagan, der König der Khasaren, seine Herren und ein großer Teil seines Volkes der jüdischen Religion bei. Van Helsing nennt in einem langen Zitat, das er dem jüdischen Lexikon (The Jewish Encyclopedia) entnahm, den Grund, doch der soll uns an dieser Stelle nicht interessieren, weil er für unsere Betrachtung nicht wichtig ist. Schließlich soll das Khazarenreich zerschlagen worden und die Khazaren nach Westen gewandert sein und die Basis des heutigen „Ostjudentums“ gebildet haben. Van Helsing nennt noch andere Quellen (z.B.  H. Graetz), doch die genannten sollen an dieser Stelle genügen. Die Familie Rothschild, die einer der Drahtzieher der Verschwörung sein soll, […], soll von den Khazaren abstammen.

Die Theorie steht und fällt mit der Frage, ob die Khazaren tatsächlich zum Judentum übergetreten sind.

Wenn dem so wäre, wäre das sehr praktisch für die Befürworter einer Zionisten-Verschwörung, denn dann wäre der Begriff „Antisemitismus“ vollkommen falsch, weil die Juden sind ja nach dieser Idee gar keine Semiten sind…

Natürlich soll der Zionismus ausgerechnet von den Khazaren ausgegangen sein, die niemals im Nahen Osten zuhause waren.

Die Frage ist aber: Ist das überhaupt wahr?

„Das Chasaren-Märchen“ nennt der Theologe, Judaist, Linguist und  Nahost-Korrespondent für deutsche Medien mit Sitz in Jerusalem Ulrich Sahm einen Artikel, in der „Jüdischen Allgemeinen“ vom 12.08.2018, der den Untertitel „Der Historiker Shaul Stampfer widerlegt eine populäre Legende“ trägt.2https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19555

Sahm schreibt, dass der israelische Historiker Shlomo Sand die Legenden, nach denen die Khasaren zum Judentum übergetreten sind, bereitwillig aufgenommen und in seinem Bestseller „Die Erfindung der jüdischen Volkes“ verbreitet habe. Antizionisten wie der Bethlehemer Pastor Mitri Raheb hätten das Motiv aufgegriffen, damit sie behaupten konnten, dass heutige Juden ethnisch nicht mit dem biblischen Volk Israel verwandt sind, sondern von den Khazaren abstammen. So hätten sie niemals in Israel gewohnt, und aus diesem Grund hätten sie auch keine Rechte auf eine Heimstatt in „Palästina“.

Nun kommt Shaul Stampfer, ein Experte für sowjetisches und osteuropäisches Judentum an der Fakultät für Geschichte des Jüdischen Volkes von der hebräischen Universität Jerusalems ins Spiel. Er habe jahrelang die schriftlichen und archäologischen Quellen dieser Legende durchforstet und sei zu dem Schluss gelangt, dass es keine zuverlässige historische Quelle für die Behauptung gibt, dass die Khasaren Juden waren. Nicht das Volk der Khasaren, ja nicht mal die Elite dieses Volkes sei zum Juden konvertiert, wie Stampfer Sahm zufolge in der Fachzeitschrift „Jewish Social Studies“ schreibt.

Das Khasarenreich, das zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer existierte, hinterließ Sahm und Staufer zufolge keinerlei schriftliches Erbe, und auch die archäologischen Funde seien rar. Im Jahr 969 soll Svyastoslav von Kiew das Khasarenreich überrannt haben, und seither habe man nichts mehr von ihnen gehört. Nur die Erzählung über die Konversion der Khasaren zum Judentum habe überlebt, und die ersten Berichte darüber seien in muslimischen und zwei hebräischen Schriften aus dem 10. Jahrhunderts aufgetaucht.

Dieses Motiv wurde vom Dichter Jehuda aus dem Toledo, der von 1075-1141 lebte, in seinem philosophischen Werk „Kusari“ als Rahmenhandlung um das Judentum gegen Attacken von Muslimen, Karäern und anderen „Häretikern“ zu verteidigen, aufgegriffen. Neuen Aufwind habe die Story von den zum Judentum konvertieren Khazaren 1976 mit dem bereits erwähnten Buch „Der dreizehnte Stamm“ von Arthur Koestler bekommen.

Forscher hätten nicht allzu lange gebraucht, um Fehler und Irrtümer in diesem Buch nachzuweisen, aber Antisemiten hätten sich darauf berufen, um die Legitimität des Staates Israel zu bestreiten. Was wir aus van Helsings Ausführungen nicht hervorgeht, ist dass Koestler nachweislich überzeugter Zionist war, wie aus folgendem Zitat entnehmen, das Sahm Koestler entnimmt:

„Ob die Chromosomen seines Volkes nun die Gene der Chasaren oder solche semitischer, romanischer oder spanischer Herkunft enthalten, ist irrelevant und kann nicht das Existenzrecht Israels (infrage stellen)“,

und fügt noch hinzu, dass die Khasasrentheorie in der Sowjetunion zur Rechtfertigung für Antisemitismus herangezogen wurde.

Stampfer habe alle Quellen geprüft, die von anderen Wissenschaftlern ungeprüft übernommen worden waren, um dem Ursprung der Konversions-Theorie herauszufinden. Sahm hebt hervor, dass Archäologen im Khasarenreich keinerlei Gräber mit typisch jüdischen Symbolen fanden, und auch andere archäologische Hinweise fehlten. Als einziger Hinweise blieben Textdokumente wie ein Briefwechsel aus dem Jahr 960 zwischen dem spanisch-jüdischen Diplomaten Chasdai ibn Schaprut in Spanien und Josef, dem König der Khasaren und Beschreibungen arabischer Autoren. Sahm führt aus:

„Stampfer fand, dass alle diese Dokumente eine ‚Kakophonie von Verdrehungen, Widersprüche, eigene Interessen und andere Anomalien‘ enthielten. Manche Texte seien falschen Autoren zugeschrieben worden. Historische Berichte, etwa eines ‚Sallam, der Übersetzer‘, 842 vom Kalifen von al-Wathiq ausgesandt, erwähnen zwar die Chasaren, aber mit keinem Wort deren Konversion zum Judentum.“

Stampfer gelangte schließlich zu der Erkenntnis, dass die Konversion der Khasaren zum Judentum nicht mehr als eine Legende ohne faktische Basis ist. Zu groß waren der Mangel an zuverlässigen Quellen und einleuchtenden Gründe für einen Übertritt der Khasaren  zum Judentum. „Ich hätte nicht gedacht, wie schwierig es sein kann, den Beweis für etwas zu bringen, was nie passiert ist“, sagt Stampfer, und er betont, dass Geschichtsschreibung zwischen Wahrheit und Erfindung unterscheiden müsse. Das sei umso wichtiger, wenn eine unbewiesene historische Legende bis heute dazu dient, die Existenz des jüdischen Volkes und die Legitimität des Staates Israel infrage zu stellen.

Der leitende Redakteur für Geschichte der Welt, Berthold Seewald, sagt im Rahmen einer Besprechung des Buches: „Licht aus dem Osten: Eine neue Geschichte der Welt“ von Peter Frankopan:

„Die Erinnerung an die Chasaren, die keine eigene Schriftkultur entwickelten, verblasste schnell. Erst 1000 Jahre später begaben sich Wissenschaftler und Schriftsteller auf die Spurensuche. Populär wurde die These des jüdischen Publizisten Arthur Koestler, der in seinem Buch „Der dreizehnte Stamm“ (1976) die These aufstellte, das aschkenasische (osteuropäische) Judentum stamme überwiegend von den Chasaren ab. Neuere DNA-Untersuchungen konnten das nicht bestätigen. Dennoch geistert die Behauptung immer noch durch das Reservoir antisemitischer oder antiisraelischer Polemik.

Die Chasaren, macht Peter Frankopan mit seinen Ausführungen deutlich, haben diese Instrumentalisierung nicht verdient. “3https://www.welt.de/geschichte/article161864828/Dieses-juedische-Imperium-reichte-weit-nach-Europa.html

Es hätte so gut gepasst: Der Antisemitismus-Vorwurf wäre aus der Welt, da man ja nichts gegen irgendwelche semitischen Völker hatte, sondern nur gegen die „bösen Khasaren“ aus Ostasien. Dessen ungeachtet bleibt der Begriff „Antisemitismus“ ungenau, weil er auch andere semitische Völker, wie die Araber, miteinschließt. Mir schweben da eher Begriffe wie „Antijudaismus“ oder „Judäaphobie“ vor, da sie die Begriffe „Antisemitismus“ und „Antizionismus“, die so oft versucht werden, auseinander dividiert zu werden, zusammenbringt. Hier bleibt mir nur Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu zu paraphrasieren, der sinngemäß sagte: „Wir heißen Juden, weil wir aus Judäa stammen.“ Und dieses Judäa, ein Teil des sogenannten Westjordanlandes, gehört zu den Gebieten, die von den sogenannten Palästinensern4„Sogenannte“ steht deswegen in Anführungszeichen, weil viele, die sich so nennen, einfach gar keine Palästinenser (früher sagte man „Palästina-Araber“ und bezeichnete die Juden als Palästinenser), sind, da sie gar nicht im britischen Mandatsgebiet Palästina geboren wurden, sondern erst nach dem Entstehen der zionistischen Bewegung ins Land einreisten oder aus existierenden arabischen Ländern stammten, die sich nach der Gründung des Staates Israel plötzlich als „palästinensische Flüchtlinge“ bezeichneten. Der prominenteste Vertreter dieser Gruppe ist der Ägypter Yassir Arafat. , als „von Israel besetztes Gebiet“ bezeichnet werden. In Wahrheit ist es urjüdisches Land. Somit ist der Zionismus das, was er immer war: Der legitime Wunsch der Juden, in ihre Urheimat zurückzukehren.

Der Versuch, „die Zionisten“ für die Bildung einer Weltverschwörung verantwortlich zu machen, steht auf mehr als wackeligen Beine und scheint einer hasserfüllten judäophoben  Ideologie zu entspringen, die auch für die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion verantwortlich ist und die Hitler das Märchen von der „Jüdisch-bolschewistischen-Verschwörung“ auf dem Silbertablett präsentierte.

Quelle:

Roland M. Horn: Freimauer im Weltraum. Ancient-Mail-Verlag/Groß-Gerau 2019

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