Netanjahu und die Frage nach Waffenlieferungen in die Ukraine

  • von Roland M. Horn

Wahlen in Israel: Netanjahu droht mit Waffenlieferungen an Kiew” titelt RT.DE am 23. Oktober 2023. Hier fällt das Wörtchen “droht” ins Auge. Doch von vorn. Wie die Seite berichtet, will Israels ehemaliger, Rekord- und möglicherweise zukünftiger Ministerpräsident Benjamin Netanjahu “eine Bewaffnung Kiews in Betracht ziehen”, sollte er wieder an die Macht kommen. “In Betracht ziehen” klingt schon deutlich neutraler als das in der Überschrift verwendete Verb “droht”.  Wie RT.de anmerkt, folgten die Äußerungen Netanjahus “nur wenige Tage, nachdem er dem amtierenden Premier Jair Lapid vorgeworfen hatte, sich der Ukraine auf Kosten der Beziehungen zwischen Israel und Russland zu sehr angenähert zu haben.”

Demzufolge sagte Netanjahu am Freitag, dem 21. Oktober, dass er hoffe, dass der russische Präsident Wladimir Putin sehe Ukraine-Poitik überdenkt und – und nun kommt wieder das scharfe und übertriebene Verb aus der Überschrift zum Tragen – “drohte, dass er Waffenlieferungen an die Ukraine in Betracht zieht, wenn er nach den israelischen Wahlen am 1. November ins Amt zurückkehren sollte.”

RT.DE interpretiert die jüngsten Äußerungen des Oppositionsführers in Israel als eine ” eine Abkehr von der seit langem vertretenen Position des ehemaligen Premierministers”, denn Netanjahu habe bislang für eine Neutralität Israels in der Ukraine-Krise plädiert. Es wird betont, dass Netanjahu stets engsten Kontakt zu Putin pflegte und sich noch eine Woche zuvor sorgte, dass Waffen, die in die Ukraine geliefert werden, am Ende noch in iranische Hände gelangen könnten. Bereits Ende Juli hatte er den derzeitigen Regierungschef Jair Lapid (der hier fälschlicherweise als Nachfolger Netanjahus bezeichnet wird, in Wirklichkeit war jedoch Naftali Bennett zwischen beiden Politikern Ministerpräsident) ” Lapid nach dessen Verurteilung der russischen Militäroperation in der Ukraine hart kritisiert. Lapids “Geplapper” über Russland habe zu einer “gefährlichen Krise” im Verhältnis beider Länder geführt.”

In einem Interview mit USA Today am Freitag habe Netanjahu erklärt:

Unsere Luftstreitkräfte fliegen Seite an Seite über Syrien. [Als Premierminister] wollte ich die Handlungsfreiheit der israelischen Luftwaffe sicherstellen, um die militärischen Stellungen Irans zu zerstören, die sie in Syrien zu errichten versuchten, um eine zweite Terrorfront gegen uns zu eröffnen”.

RT.DE betont, dass Israel in der Vergangenheit ukrainische Anfragen zur Lieferung von Waffen wie das Iron-Dome-Abwehrsystem abgelehnt habe und sich damit eine Rüge vom ukrainischen Ministerpräsident Wladimir Wolodymir Selenkskjj einfangen hatte. Die Seite gibt zu verstehen, dass die Weigerung als Versuch Israels gewertet würde, die Beziehungen zu Moskau aufrechtzuerhalten, “da Russland den syrischen Luftraum kontrolliert, in dem die israelische Luftwaffe in letzter Zeit Hunderte von Einsätzen gegen angebliche iranische Waffenlieferungen durchgeführt hat, um von Teheran unterstützte Gruppen daran zu hindern, in der Region Fuß zu fassen.” Man beachte den Ausdruck “angebliche” und erinnere sich an die von RT.DE gemachte und von mir zitierte Äußerung “Israel hat zwar Russlands Militäroperation in der Ukraine verurteilt, ist aber auf diplomatische Kontakte mit Moskau angewiesen, zumal israelische Jets häufig Luftangriffe in Syrien fliegen, wo Russland den Luftraum kontrolliert”, und bezüglich einer eventuellen Waffenlieferung Israels an die Ukraine, die vor einigen Tagen der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten Nachman Shai ins Spiel gebracht hatte, ging der ehemalige russischen Präsident Dmitir soweit zu warnen, “dass die israelische Militärhilfe für die Ukraine alle diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zerstören würde.” Man beachte die Implikationen, die das Wort “zerstören” mit sich bringen.

Die aktuelle RT.DE-Ausgabe schließt den Artikel mit einer etwas polemischen Äußerung:

“Netanjahu, der in der Vergangenheit mit seinen engen Beziehungen zu Putin geprahlt hatte, sagte am Freitag, dass das Vermittlungsangebot ‘vermutlich wieder in Gang gesetzt wird’, sollte er wieder an die Macht kommen.”

Gegenüber USA Today (in dem leider kein Veröffentlichungsdatum angegeben wird), sagte Netanjahu in einem exklusiven Interview lediglich, er werde Waffenlieferungen an die Ukraine prüfen, wenn er zum Premierminister gewählt würde und zudem erklärte er tatsächlich eine grundsätzliche Bereitschaft andeutete, als Vermittler zu fungieren, als er sagte:

“Wenn ich Premierminister werde, wird diese Frage (der Vermittlung) vermutlich wieder auftauchen.”

Israel habe sich einer wesentlichen Beteiligung an dem Krieg widersetzt, und hinsichtlich seiner strategischen Beziehungen zu Moskau gab er zu verstehen:

“Dieser Balanceakt ist komplizierter geworden, als der Iran begann, Drohnen nach Russland zu liefern. ”

Netanjahu gab sich überzeugt davon, dass Putin von seiner Vision geleitet sei, ein großes russisches Reich wiederherzustellen, um anzufügen: “Und ich hoffe, er denkt darüber nach.” Weiter sagte er:

“Aber ich will keinen Psychologen spielen. Ich möchte in der Position sein, Premierminister zu sein, alle Informationen zu erhalten und dann Entscheidungen darüber zu treffen, was und ob wir in diesem Konflikt etwas tun, was über das hinausgeht, was bisher getan wurde.”

Das sagt bedeutend weniger aus, als RT.DE hineininterpretiert, wenn auch die Möglichkeit besteht, dass eine von Netanjahu angeführte Regierung unter gewissen Umständen Waffen an die Ukraine liefern könnte. Selbstverständlich muss Netanjahu dies davon abhängig machen, welche Informationen er als Premierminister erhält.

Zuvor hatte sich Netanjahu während eines Interviews mit MSNBC am Mittwoch, den 24. Oktober aber tatsächlich noch etwas offensiver geäußert, als er sagte, dass „immer wieder … Waffen, die wir auf einem Schlachtfeld geliefert haben, in iranische Hände gelangen, die gegen uns eingesetzt werden“.

Nethanjahu zitierte, wie “The Times of Israel” am 22. Oktober berichtet, einen Vorfall auf der syrischen Seite der Golanhöhen, “bei dem die IDF an einem Ort ‘auf israelisch hergestellte Waffen stieß’, ‘wo wir versuchen, den Iran daran zu hindern, eine zweite Libanon-Front zu eröffnen, eine zweite terroristische Front gegen uns .’“

Dabei spielte Netanjahu offensichtlich auf einen Vorfall aus dem Jahr 2016 an,

“bei dem Drohnentechnologie, die ursprünglich an Russland verkauft wurde, dann an das iranische Militär verkauft wurde, das die in Russland hergestellte Drohne gegen Israel einsetzte. “

Dies ist natürlich die Umkehrung der von RT.DE getroffenen Feststellung, dass Netanjahu Waffenlieferungen an die Ukraine bislang deswegen abgelehnt hat, weil er sich “sorgte, dass Waffen, die in die Ukraine geliefert werden, am Ende noch in iranische Hände gelangen könnten. Nun stellte sich anscheinend heraus, dass Waffen (resp. Drohnen), die nach Russland geliefert wurden, in iranische Hände gelangten. Somit hat sich die Situation und damit auch die zu treffende Einschätzung geändert.

Berichten zufolge gelang es der israelischen Luftwaffe nicht, die genannten Drohnen mit zwei Patriot-Raketen abzuschießen, sondern “forderte stattdessen die Fähigkeiten der russischen Luftwaffe auf, das Luftfahrzeug abzuschießen”, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

Wir sehen also, dass am potentiellen Begin eines Umdenken Netanjahus, dass ihm das RT.DE, das ja vom russischen Staat gegründet wurde und von ihm finanziert wird, vorwirft, die russische Regierung alles andere als unschuldig ist …

 

Beitragsbild oben: Quelle: U.S. Air Force Staff Sgt. Jack Sanders / U.S. Secretary of Defense, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons)

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