- von Albrecht Künstle
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- Oder verkommt es zum Recht des Stärkeren?
- Referenden werden anerkannt oder ignoriert
- Einblicke in umstrittene Krisenregionen Europas
Der Tag der Deutschen Einheit bot sich an, einmal über das sogenannte Völkerrecht nachzudenken. 1989 nahmen die Ostdeutschen ihr Schicksal selbst in die Hand und schickten ihre Regierung einfach in den Ruhestand (warum geht das eigentlich nicht auch bei uns?). Und am 3. Oktober 1990 schlossen sich die beiden deutschen Staaten BRD und DDR zusammen. Es war das Recht der Deutschen, dies zu tun und somit auch Ausdruck des Völkerrechts.
Genauso war es das Recht der Ostdeutschen, am 7. Oktober 1949 die DDR zu gründen, nachdem sich die drei Westzonen zuvor am 23. Mai 1949 ohne die Ostzone zur Bundesrepublik Deutschland zusammengeschlossen hatten. Aber wenn zwei das Gleiche tun ist das anscheinend doch nicht immer das Gleiche. Denn der ostdeutsche Staat wurde immer nur als „sog. DDR“ bezeichnet, während der BRD ein abwertender Zusatz erspart blieb.
Völkerrechtsfragen sind Machtfragen, was man auf dem Balkan sah. Kroatien machte sich aus dem Vielvölkerstaat Jugoslawien aus dem Staub, nachdem die Kroaten das am 19. Mai 1991 in einem Unabhängigkeitsreferendum zu 93 Prozent so wollten. Deutschland gehörte zu den ersten Ländern, die Kroatien als eigenen Staat anerkannten. Andere folgten der Anerkennung, einige lehnten das ab. Aber niemand kam auf die Idee, das Recht auf das stattgefundene Referendum zu bestreiten. Auch die Ukraine erkannte Kroatien im Dezember 1991 an – in der eigenen Ukraine wurde dieses Völkerrecht den östlichen Regionen jedoch verwehrt.
Auch dem Kosovo wird von Kerneuropa das Recht auf einen eigenen Staat zuerkannt – sogar ohne ein Referendum durchgeführt zu haben! Zwar anerkennen 100 Länder die Republik Kosovo als unabhängigen Staat, 120 Länder lehnen sie ab? In Wikipedia werden umgekehrte Zahlen gehandelt. Grund für den Konflikt ist, dass sich der Kosovo 1999 mit Nato-Hilfe von Serbien abgespalten und 2008 für unabhängig erklärt hatte. Die internationale Gemeinschaft hat darauf unterschiedlich reagiert. Die europäischen Kernländer und die USA brauchen anscheinend ein Bollwerk gegen den Nachbarn Serbien, was liegt da näher als die völkerrechtliche Anerkennung? Ist man das den Kosovaren schuldig, nachdem man den Widersacher Serbien im Jugoslawienkrieg völkerrechtswidrig zusammenbombte? Auch diese Anerkennung beruhte auf dem Recht der Stärkeren.
Nicht anders im Fall Autonomes Gebiet Berg-Karabach, das sich für unabhängig von Aserbaidschan erklärte – und es bis vor wenigen Tagen war. Auch in diesem Fall schlug sich jetzt die „Völkergemeinschaft“ auf die Seite des Stärkeren, des islamischen Aserbaidschan. Berg-Karabach wurde das Existenzrecht verweigert und die armenischen Christen vertrieben. Nicht jenes Volk erhielt ein Recht auf das Land, das es bewohnte, sondern Fremde bestimmen, was „Völkerrecht“ ist. Übrigens, auch im Fall Kosovo scheint die UN aufseiten des zu 95 Prozent muslimischen Landes zu sein. Wer Zweifel daran hat, dass es um Vorherrschaft des Islam geht: Die 57 Mitglieder der Organisation für Islamische Zusammenarbeit haben die Republik Kosovo geschlossen als unabhängigen Staat anerkannt.
Die Ukraine erklärte sich am 24.08.1991 als unabhängig. Erst vier Monate später wurde das Volk am 1. Dezember 1991 in einem Referendum befragt, was es davon hält. Es stimmte zu 90 Prozent für die Loslösung von der Sowjetunion, die Autonome Republik Krim allerdings nur zu 54 Prozent. Die Anerkennung durch Russland erfolgte prompt einen Tag später; Gorbatschow war noch im Amt. Die Sowjetunion löste sich erst am 26. Dezember 1991 auf. Interessant ist, dass bei Wikipedia nichts zu finden ist, welche Länder die Ukraine ebenfalls anerkannten. Finden Sie als Leser etwas dazu? Erst im Jahr 1994 soll die Anerkennung im Zusammenhang mit dem Budapester Memorandum auch durch die USA und Großbritannien erfolgt sein. Aber egal, der Ukrainekrieg zeigt, dass das Land anerkannt ist – jedenfalls als Kriegsschauplatz der Weltmächte.
Was der Ukraine 1991 zugestanden wurde, hat sie 2014 ihren Oblasten im Osten verweigert. Die Bewohner der Regionen Donezk, Lugansk und der Krim führten ebenfalls Referenden durch und erklärten sich nach diesen wunschgemäß als von der Ukraine unabhängige Volksrepubliken. Doch das Recht der dortigen Völker sei „völkerrechtswidrig“, wird behauptet.
Welche Willkür wird doch an den Tag gelegt, Referenden hier als Okay und anderswo als unrechtmäßig zu geißeln? Zwar lagen zwischen dem Referendum in der Ukraine 1991 und 2014 nur 23 Jahre, was aber immerhin eine ganze Generation ausmacht. Polen z.B. ging in einem kürzeren Zeitraum hin und her. Hat eine Nachfolgegeneration nicht das Recht, eine frühere Entscheidung zu ändern? Mit der DDR war es doch auch nicht anders, zuerst gehörte sie zum Osten, jetzt zum Westen. Geschichte ist nichts Statisches.
Wer der Ukraine das Rechts zuspricht, sich die östlichen Republiken zurückzuerobern, der würde auch Deutschland legitimieren, an Polen verlorene Gebiete zurückzuholen. Gott bewahre. Aber unsere Ministerin des Äußersten Baerbock hat als selbsternannten „Völkerrechtlerin“ sicher eine Erklärung für alle diese Ungereimtheiten – wahrscheinlich aber doch nicht. Warum setzt sie auf den Endsieg gegen Russland, statt sich an die Volksabstimmungen_infolge_des_Versailler_Vertrags zu erinnern? Das Gebot der Stunde ist: Anerkennt die stattgefundenen Referenden, und wenn nicht, dann lasst die Bevölkerung diese wiederholen! Besser zwei Referenden statt des eines Krieges ohne Ende!
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