Der Kern der Fehde
Dass Yair Lapid die Rolle des Interim-Premierministers Israels bis zur am 1. November 2022 anstehenden Parlamentswahl übernahm, fiel mit zunehmenden Spannungen zwischen Jerusalem und Moskau zusammen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat Lapid als pro-ukrainisch und antirussisch eingestuft. Während Lapids direkter Vorgänger Naftali Bennett sorgfältig darauf achtete die Neutralitätslinie nicht zu überschreiten, hatte Lapid sich bereits als Außenminister als pro-ukrainisch positioniert. Ob in Reaktion auf westlichen Druck zu offener Unterstützung für Kiew oder um sich bei der Administration Biden beliebt zu machen: Lapid hat im Umgang mit Russland wenig diplomatische Cleverness gezeigt. Als Konsequenz, so die Jerusalem Post (25. Juli 2022), verkündete Moskau, dass die Jewish Agency und zahlreiche weitere russisch-jüdische Organisationen Warnbriefe des russischen Justizministeriums erhalten haben, sie würden als Auslands-Agenten betrachtet, was zum Ergebnis haben könnte, dass die Agency gezwungen wird zu schließen.
Israel ist eines der wenigen westlichen Länder geblieben, das keine Sanktionen gegen Russland verhängt und auf Waffenverkäufe an die Ukraine verzichtet hat. Israel lieferte aber medizinische und Sicherheits-Ausrüstung an die Ukraine. Lapid verurteilte als ehemaliger Außenminister Russland wegen seines Einmarsches in die Ukraine, ein Schritt, den Bennett nie unternahm. Russland seinerseits rügte Lapid wegen seiner Verurteilung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine und Israel stimmte dafür Russland aus dem UNO-Menschenrechtsrat auszuschließen.
Spannungen zwischen Russland und Israel kamen früher dieses Jahr auf, weil der russische Außenminister Sergeij Lawrow sich antisemitisch äußerte, als er die Lüge von „Hitlers jüdischem Blut“ anführte und die Juden beschuldigte „die schlimmsten Antisemiten“ zu sein. Israelische Führungspolitiker äußerten angesichts von Lawrows Worten totale Empörung. Lawrows Außenministerium stoppte nicht bei Lawrows beleidigenden und antisemitischen Äußerungen, sondern gab boshafte Erklärungen aus wie „Israel unterstützt in der Ukraine Neonazis“, und behauptete, israelische Söldner würden mit dem ukrainischen Asow-Bataillon kämpfen.
Es ist klar, dass das Regime in Russland Israel als Teil des westlichen Lagers und engen Verbündeten der USA betrachtet. Im Gegenzug sind die Islamische Republik Iran, Assads Syrien, die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah alle antiwestlich. Irans Außenminister Hossein Amir Abdollahian machte in Bezug auf die Ukraine-Krise den Westen und die USA verantwortlich und erklärte, dass die „Krise in den Provokationen der NATO wurzelt“. Der syrische Diktator Baschar Assad erklärte, Syrien erkenne die Unabhängigkeit der zwei von Russland gestützten Separatistenregionen in der Ostukraine an. Das reicht dem aktuellen Kreml-Führer, um sich auf die Seite von Israels Feinden zu stellen. Trotzdem repräsentiert Israel für Putin persönlich einen Teil der russischen kulturellen Sphäre; Grund sind die fast 1,5 Millionen Russischsprachigen im Land. Geopolitische Überlegungen und politisches Überleben überwiegen jedoch für Typen wie Wladimir Putin gegenüber kulturellen Erwägungen.
In gewissem Sinne spielt Russland ein Spiel „guter Cop – schlechter Cop“. Der Kreml hat den Disput zwischen Moskau und Jerusalem auf eine rein juristische Frage verringert, während Lawrows Außenministerium Israel lange bestehenden „unkonstruktiven und einseitigen“ Verhaltens gegenüber Moskau beschuldigte. Diese beiden gegensätzlichen Botschaften aus Moskau sind von Kreml-Sprecher Dimitry Peskow gekommen, der Reportern sagte: „Die Lage sollte nicht auf die gesamten russisch-israelischen Beziehungen politisiert werden. Es gibt Probleme hinsichtlich der Einhaltung russischen Rechts.“ Eine der legitimen russischen Sorgen ist die Befürchtung des „Brain Drain“. Viele russische Juden sind Wissenschaftler und Akademiker. Aber für israelische und russische Juden ist das Recht von Juden nach Israel einzuwandern, was die Jewish Agency ermöglicht, eine fundamentale Menschenrechtsfrage. Russische Juden können vom Krieg in der Ukraine nicht als Geiseln genommen werden, auch können russische Juden nicht von ihrer historischen und emotionalen Verbindung zu Israel losgelöst werden. Diese wachsende Krise hat Erinnerungen an die Sowjet-Ära wachgerufen, als Juden verboten war die Sowjetunion zu verlassen.
Moskau richtet seine letzten Maßnahmen eindeutig gegen die Jewish Agency und möglicherweise die Flüge der israelischen Luftwaffe über Syrien als Vergeltung für Yair Lapids Äußerungen und seine enge Identifizierung mit Kiew. Russland überlegte während Netanyahus Amtszeit als Premierminister keine Vergeltung gegen Israel, eigentlich auch nicht während der jüngeren Zeit Naftali Bennetts als Premierminister.
Die Times of Israel berichtete (26.07.2022), dass der Likud-Führer und ehemalige Premierminister Benjamin Netanyahu Lapid beschuldigte Israels Beziehung zu Russland schlecht zu handhaben. Bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv sagte Netanyahu: „Jahre lang haben wir eine gemäßigte, ausgewogene und verantwortliche Beziehung zu Russland geführt, aber es gab aktuell eine gefährliche Krise und Premierminister Yair Lapid und Verteidigungsminister Benny Gantz plapperten und gefährdeten unsere nationale Sicherheit.“ Netanyahu fügte hinzu: „Ich habe Sorge, dass das, was wir über Jahre aufgebaut haben, in den letzten Wochen vor unseren Augen untergraben wird.“
Die sich offenbar verschlechternde Beziehung zu Russland bereitet Israel große Sorge, besonders ihre Auswirkung auf Israels Sicherheit. Jerusalem sorgt sich wegen Moskaus möglichem Handeln zur Vereitelung israelischer Angriffe auf iranische Lieferungen tödlicher Waffen an die Hisbollah im Libanon, die über syrisches Gebiet abgewickelt werden. Israelische Kampfflugzeuge könnten Gefahr laufen bei ihren Bombardierungs-Aufträgen gegen die Islamische Republik Iran in Syrien abgeschossen zu werden. Auch wenn es zweifelhaft ist, dass russische Piloten israelische Piloten am syrischen Himmel herausfordern werden, könnte Russland das mobile Luftabwehr-System S-400 an Baschar Assad und/oder die Iraner liefern, das als wirksamste Luftverteidigung angesehen wird.
Im Dezember 2019 verriet Israel, dass es eine Vereinbarung mit Russland habe keine Waffen an die Ukraine und Georgien zu verkaufen; im Gegenzug würden die Russen keine Waffen an den Iran verkaufen. Russland könnte jetzt Lapids Schwenk zur Ukraine als Vorwand nutzen, um dem Iran Waffen zu verkaufen. Ein weiterer Zankapfel zwischen Moskau und Jerusalem hat mit Russlands Forderung zu tun, ihm die Kontrolle über den Alexander (Newsky)-Hof in Ostjerusalem zu übergeben. Am 18. April 2022 schrieb Putin einen Brief an Bennett bezüglich des Alexander-Geländes in Jerusalem, das an Russland zu übergeben Netanyahu zuvor zugestimmt hatte, um Naama Issachar aus einem russischen Gefängnis zu befreien (wo sie aufgrund falscher Drogen-Vorwürfe einsaß). Es scheint so, dass die angebliche juristische Verletzung russischen Rechts durch die Jewish Agency schlicht ein weiterer Vorwand für den Kreml sein könnte, um gegen den israelischen Obersten Gerichtshof zu protestieren, der Netanyahus Vereinbarung mit Putin annullierte.
Über die aktuellen Streitigkeiten und Spannungen hinaus gibt es im Tourismus beträchtliche Kooperation zwischen Russland und Israel. Russland und Israel haben ein Abkommen für Visa-Freiheit. Es gibt auch eine beträchtliche israelische Gemeinschaft in Russland. Die beiden Länder haben wissenschaftliche Zusammenarbeit betrieben, wozu Raumfahrt- und Atom-Technologie gehören, darunter nukleare Bildgebung und die Entwicklung radioaktiven Materials zur Zahnbehandlung. Medizinische Kooperation ist ein weiterer wichtiger Bereich, in dem Jerusalem und Moskau zusammenarbeiten. Russland ist Israels größter Lieferant von Rohöl, während Israel Russland im April 2009 Drohnen lieferte.
Der russische Einmarsch in die Ukraine mit dem fortgesetzten Krieg und den begangenen Gräueltaten seit Februar diesen Jahres hat die Beziehung zwischen Israel und Russland irritiert. Die gegen Russland verhängten Sanktionen ließ es in Richtung von Radikalen wie Iran und China bewegen, womit sich eine neue „Achse des Bösen“ bilden könnte.
Israel bereitet ein qualifiziertes Team aus Juristen und außenpolitischen Experten vor, das nach Moskau reisen und die Frage der Aktivitäten der Jewish Agency in Russland regeln soll. Hoffentlich wird das Team geschickt genug sein die Streitigkeiten zwischen den beiden Ländern zu begleichen, die Spannungen zu abzubauen. Russland und Israel sollten auf der regionalen Bühne produktive Partner sein.
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